Melodie des Herbstes. Anna Maria Luft

Melodie des Herbstes - Anna Maria Luft


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Frühstücksgeschirr weg und mache mich für die Fahrt nach München fertig.

      Als ich vor meine Wohnungstür trete, steht mir zu meiner großen Überraschung Gloria mit einem Blumenstrauß gegenüber. Ihr hübsches Geschenk nehme ich staunend und dankend entgegen. „Woher weißt du, dass ich Geburtstag habe? Vielleicht von Edgar?“, frage ich. Sie sagt: „Nein, von ihm nicht. Ich möchte aber nicht verraten, wer mir den Tipp gegeben hat.“

      „Darf ich dich für morgen Nachmittag zum Kaffee einladen? Heute fahre ich nach München.“

      „Gerne! Nachmittags habe ich morgen etwas Zeit.“

      „Schön! Du könntest gegen 15 Uhr kommen.“

      „Oh, danke! Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen in München“, sagt sie lächelnd. Wahrscheinlich ist sie glücklich darüber, mir eine Freude bereitet zu haben. Manchmal kommt die Freude, die man anderen schenkt, wieder ins eigene Herz zurück. Ich selbst habe das schon oft erlebt.

      Ich gehe in meine Wohnung zurück, stelle die Blumen in meine bauchige Glasvase, die ich mit Wasser fülle. Dann rieche ich an den verführerisch duftenden gelben Rosen. Ich frage mich, wie Gloria darauf kommt, mir diese wunderschönen Blumen zu schenken. Ich sehe es als Bestätigung dafür, dass sie mich mag, und so freue ich mich darüber, dass ein so aufgeschlossenes junges Mädchen mich betagten Menschen sympathisch findet. Ich stelle immer wieder fest, dass mir die Anerkennung der jungen Generation sehr viel bedeutet.

      Ein paar Momente setze ich mich in den Sessel, weil mir so viele Gedanken durch den Kopf schießen. Dabei wird mir bewusst, dass heute bereits zwei wunderbare Ereignisse geschehen sind, die ich vorher nie vermutet hätte: Die Gratulation meiner Tochter und die Glorias.

      Jetzt will ich mich beeilen, zur S-Bahn-Station zu kommen.

      Als ich in München beim Eingang des Kaufhauses Karstadt vorbeikomme, das noch vor einiger Zeit das Kaufhaus Herde gewesen ist, sitzt ein Mann auf dem Boden, - ich schätze ihn auf etwa fünfzig. Er hebt die Hand, um mich zum Stehenbleiben zu bewegen. Seine Kleidung ist schäbig, die Jacke an den Ärmeln schon sehr abgewetzt. Das Hemd - man kann nicht erkennen, ob es weiß oder grau ist - ist halb geöffnet. Ungepflegt wuchert der Bart in seinem faltigen Gesicht. Neben seinen zerbeulten Schuhen liegt ein Rucksack. Mir scheint, dass auch das Hand wägeichen daneben ihm gehört.

      „Bitte, Madame, bleiben Sie einen Moment stehen“, ruft er mir zu. „Ich muss Ihnen unbedingt etwas sagen.“ Ich wundere mich über die Anrede Madame und trete näher. „Ja, was möchten Sie mir sagen?“

      „Ich bin ohne meine Schuld verarmt. Weil ich lange krank war, hat man mich aus der Firma geworfen.“

      Ich sage: „Aber das geht doch nicht so leicht. Wenn man krank ist, kann man nicht.

      „Ich habe keine Lust gehabt, das Sozialgericht einzuschalten, denn ich dachte nicht daran, wieder in diese Firma zurückzukehren, weil mein Chef ein unmöglicher Mensch ist und ich nicht mehr mit ihm Zusammenarbeiten möchte. Er hat nämlich eine wilde Geschichte über mich erfunden. Die meisten, auch meine Kollegen, haben sie ihm geglaubt.“

      „Sie haben doch sicher Arbeitslosengeld erhalten.“

      „Ja, habe ich. Und dann hat man mir eine Stelle vermittelt. Ich musste Kisten auf einen Lastwagen laden. Meine Rückenschmerzen nahmen wieder zu. Ich war doch schon einmal an der Wirbelsäule operiert worden und…“ Er seufzt tief. „Ich bin zusammengebrochen.“

      „Das ist bitter“, sage ich, „aber Sie hätten die Arbeit verweigern können, weil sie für Sie körperlich unzumutbar war. Da gibt es einen Paragraphen.“

      Ich will seine Geschichte noch weiter hören, obwohl ich sie nicht völlig glauben kann. Etwas stimmt da nicht. „Warum haben Sie keine Rente beantragt?“, frage ich. „Habe ich doch. Man hat sie mir nicht bewilligt. Ich sei noch arbeitsfähig, hat man mir gesagt. Ich habe dann eine Arbeit in einem Büro angenommen. Sie war stinklangweilig. So bin ich öfter eingeschlafen. Man hat mich entlassen.“

      „An der Entlassung waren Sie selber schuld.“

      „Kann sein. Inzwischen sind mir meine Frau und mein Sohn davongelaufen. Ich habe nicht einmal eine Adresse und nie mehr etwas von ihnen gehört. - Eine dritte Stelle habe ich auch noch besetzt: Ich musste im Winter auf einem riesigen Gelände Schnee schippen, was ein Unding war. Täglich war ich zum Umfallen müde.“

      Ich schüttle den Kopf. „Aber so viel Schnee gab es letzten Winter doch bei uns nicht. Außerdem - warum nehmen Sie eine solche Stelle an, wenn Sie schon einen körperlichen Schaden haben und damit überfordert sind?“

      Der Mann wird leicht ärgerlich. „Sie glauben nicht, was ich Ihnen erzähle? Es war ein großes Gelände, auf dem gebrauchte Autos ausgestellt werden sollten.“

      Ich atme erst tief ein und aus. Dann sage ich: „Ich bezweifle nicht, dass Sie diese Arbeit verrichtet haben, aber Sie hätten sie verweigern können.“

      „Ich bekam eine schwere Lungenentzündung und musste ins Krankenhaus. Nach meiner Heilung war ich nur noch ein Wrack. Sie sehen ja selbst, wie ich heruntergekommen bin.“

      Ich lache. „Sie müssten sich nur etwas besser kleiden, dann würden Sie gar nicht so schlecht aussehen. Außerdem riechen Sie nach Zigaretten- oder Zigarrenrauch. Sie werden Ihr Geld verrauchen.“

      „Stimmt nicht. Ich habe in einer Suppenküche gegessen. Da wurde so viel geraucht, dass es in meine Kleidung gezogen ist.“

      „In einer Suppenküche wird niemals das Rauchen erlaubt.“

      „Es stimmt aber. Jetzt gehe ich jeden zweiten Tag zur Tafel und bekomme billige Lebensmittel. Aber meine Miete ist in die Höhe gegangen, weil das Haus renoviert wurde. Die Arbeitslosenhilfe, die ich bekomme, reicht nicht weit. Ich habe die Wohnung verlassen müssen. Ich bin jetzt Hartz 4“

      „Sie werden doch einen Weg finden, ein bisschen Geld dazu zu verdienen? Es werden überall Leute gesucht. Außerdem erhalten Sie doch auch Leistungen der Grundsicherung, sie bekommen Arbeitslosengeld II. Ist das so wenig? Wie ist es mit Wohngeld? Außerdem könnten Sie einen Mini-Job annehmen, der Sie körperlich nicht zu sehr belastet?“

      „Suchen Sie mir einen! Keiner will mich haben.“

      Ich seufze! Dann fallt mir ein zu sagen: „In diesem Outfit würde ich Sie auch nicht einstellen. Oder haben Sie sich extra so zum Betteln angezogen?“

      Der Mann schüttelt den Kopf. „Jetzt werden Sie unverschämt. Bitte, gehen Sie weiter.“

      „Entschuldigung! Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Ich möchte Ihnen etwas geben, wie auch immer Ihre Geschichte verlaufen ist. Alles kann ich nicht glauben, was Sie mir erzählt haben, aber dass Ihre finanzielle Lage sehr schlecht ist, kann ich mir denken.“

      Ich hole meine Geldbörse aus der Handtasche, nehme einen Zwanzigeuroschein heraus und überreiche ihn dem Hilfsbedürftigen.

      „Danke“, sagt er, nachdem er das Geld an sich genommen hat und verbeugt sich vor mir.

      Ich gehe weiter und denke nach: Habe ich einem armen Menschen mit meinen 20 Euro wirklich geholfen? Ich glaube schon, auch wenn die Geschichte des Mannes etwas unwahrscheinlich geklungen hat. Ich höre ein paar Vorübergehende sagen: „Es ist Dummheit, einem Bettler etwas zu geben. Er wird sich für dieses Geld nur alkoholische Getränke oder Zigaretten kaufen.

      Ich denke mir: Wenn er wirklich arm ist, wird er sich dafür Lebensmittel besorgen und wenn nicht, ist er selber schuld.

      Jetzt fühle ich mich nicht mehr in der unbeschwerten Stimmung, mir ein Kleid zu kaufen und fahre nach Hause.

      Bei meiner Rückkehr sehe ich zu meiner großen Überraschung vor meiner Wohnungstür ein Päckchen liegen. Der Absender ist Edgar. Als ich es später öffne, finde ich drei Goethe-Bände darin vor. In einem der Bücher stehen Gedichte, im anderen Die Leiden des jungen Werther und im dritten Band Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ich finde, dass Edgar viel zu viel Geld für mich ausgegeben hat. Dennoch freue ich


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