FREUNDE, DIE KEINE SIND. Suman Lederer
ihrer Schule in eine andere Stadt, in die ebenfalls Gruppen von anderen Städten des Bundesstaates Maharashtra kamen, für diverse Wettbewerbe aus dem Bereich des Militärtrainings. Für den Zeitraum zwischen Juni und Oktober wurden verschiedene Camps geplant, anschließend wären die Jungen und Mädchen für die Parade für den Tag der Republik am 26. Januar ausgewählt worden. Das wäre doch eine tolle Ehrensache, wenn Suwarna dafür ausgewählt würde.
Beim ersten Wettbewerb zeigte Suwarna ein angeborenes Talent für Schießen. Natürlich wusste sie nicht, dass sie gut darin sein würde, es gefiel ihr, in das Magazin des 0,22-Gewehrs die fünf Patronen hineinzugeben, als sie aufgerufen wurden, hinzumarschieren, sich in die richtige Position hinzulegen, das Gewehr richtig zu halten und zu schießen! Fünf Schüsse, anschließend aufstehen, nach hinten gehen und warten. Das Schiesstraining war jeweils für mindestens den halben Tag angelegt, da sie dafür woanders hinfahren mussten, denn man konnte doch nicht einfach so irgendwo in der Stadt herumballern!
Zwischen Juni und Oktober nahm Suwarna an vier Camps teil. Obwohl sie sehr gern bei der Parade im Januar mitgemacht hätte, stellte sich heraus, dass sie besser schoss als marschierte – ihrer Meinung nach war sie sehr gut in beiden Disziplinen, aber die vorgesetzten Militärs sahen das anders, sie sahen irgendein Talent in Suwarna für Schießen. Also sollte sie beim Schießwettbewerb auf Bundesebene, sprich ganz Indien, teilnehmen.
Während der vier Camps freundete sie sich mit Bharati an. Bharati war im gleichen Alter, sie waren in derselben Schule. Sie kannten sich von früher, waren aber früher nicht befreundet. Die Camps, dieselbe Situation, dieselben Schwierigkeiten mit den Vorgesetzten, mit dem Essen hatten die beiden Mädchen zusammengeschweißt. Sie waren grundverschieden. Bharati war ziemlich extrovertiert, lachte viel, konnte mit allen viel reden, konnte sehr gut tanzen – konnte sogar auf Knopfdruck anfangen zu tanzen, war aber nicht sehr gut in der Schule, und wegen ihrer etwas rauen und lauten Art bei allen anderen Schülern nicht sehr beliebt. Suwarna war anders, sie war sehr gut in der Schule, sehr beliebt bei allen Lehrern und Eltern zugleich, und bei den meisten Schülern, hatte eine etwas ernste Art an sich, war stets freundlich und vor allem höflich, wirkte souverän, war ehrgeizig, fleißig, wollte etwas bewirken und etwas werden.
Mit Bharati hatte sie eine gute Zeit, beide fingen an, sich am Abend zu treffen, zusammen spazieren zu gehen, nach dem Spaziergang einen Chaat3 zu essen, über dies und das zu reden, das Leben, Jungen, die Eltern, die Geschwister, die anderen Schüler, die Schwierigkeiten des Lebens usw. Ihnen gingen die Themen nie aus. Während der Camps hatten sich beide gegenseitig moralisch unterstützt. Da sie beide grundverschieden waren, hatten sie während der Camps teilweise auch unterschiedliche Sachen, über die sie sich aufgeregt hatten. So konnte jeweils eine die andere besänftigen, beruhigen und unterstützen. Suwarna war froh, so eine gute Freundin in den Camps dabei zu haben. In der Zukunft würde Bharati Schicksalsschläge erleiden und in ein soziales Loch fallen. Suwarna würde sie in den sozialen Netzwerken suchen, ihren Bruder finden, und über ihren Bruder, sie erreichen. Unter anderem würde Suwarna ihr beistehen, aus dem sozialen Loch herauszukommen. Dennoch würde sich Bharati sehr leicht von der Frauengruppe einlullen lassen, sich auf die Seite der Frauengruppe stellen und Suwarna verraten, das wusste Suwarna natürlich damals noch nicht, denn das hatte noch viele Jahre Zeit, fast noch dreißig Jahre.
Es war noch ein Monat bis zum Wettbewerb in Neu-Delhi. Das Management für das Schulmilitär hatte entschieden, dass Suwarna am Schießplatz zweimal in der Woche schießen üben sollte. Der Vorschlag gefiel ihr. Das Hin- und Herfahren war lästig, da die Busse immer so voll waren, dass man immer so schwitzte und nach der Rückkehr immer sehr müde war, aber toll fand sie das Schießen.
Beim fünften und letzten Camp war Suwarna in Neu-Delhi, Bharati war nicht dabei, da sie für keinen der Wettbewerbe ausgewählt worden war. Aber mittlerweile kannte Suwarna die anderen Mädchen in ihrem Team genauso gut, sodass sie sich keine Gedanken machte, sich einsam zu fühlen.
Endlich kam der Tag, die beste Uniform angezogen, gebetet, sich mental darauf vorbereitet, und los ging sie. Mit dem Militärlastwagen wurden alle für das Schießen ausgewählten Mädchen zu dem Schießplatz in den Bergen gebracht. Die Nummern wurden ausgeteilt. Die Zeit wurde plötzlich so langsam wie in Zeitlupe. Endlich waren Suwarna und vier weitere Mädchen an der Reihe. Sie bekamen jeweils fünf Patronen, Magazin aufgeladen, Magazin ins Gewehr geschoben, das Klicken beim Einrasten gehört, noch mal überprüft, eins, zwei, drei Schritte nach vorne, dann auf den Bauch gelegt, sich in Position gebracht, das Gewehr richtig und fest gehalten, die Figur vorne, die so groß war wie die eigene Hand, ins Visier genommen, Gewehrposition angepasst, noch mal gezielt, angepasst, gezielt, angepasst, dann still gehalten. Erster Schuss – geschossen, zweiter Schuss – geschossen, dritter Schuss – geschossen, vierter Schuss – geschossen, und fünfter Schuss – geschossen. Dann beim Befehl „Gewehr hinlegen“ aufgestanden, hingerannt, die Figur gehoben und zurück.
Sie sah auf ihre Figur, konnte vier Löcher erkennen, die so dicht beieinander waren, dass jeweils ein Teil von allen vier Schüssen zusammenkam, sodass alle Löcher zusammen so aussahen wie ein vier blätteriges Kleeblatt. Super, der fünfte Schuss würde in der Mitte sein, das Loch in der Mitte war groß genug. Stolz übergab sie ihre Figur den Offizieren. Sie prüften sie und fragten:
„Wir sehen nur vier Löcher, wo ist das fünfte?“
Suwarna sagte ganz stolz: „In der Mitte der vier, es ist genug Platz. Wenn vier so dicht beieinander sind, kann das fünfte doch nicht so weit sein, dass man es gar nicht auf der Figur sieht.“
Die Offiziere waren damit nicht einverstanden, sie sagten, es müssten fünf Schüsse zu erkennen sein, aber es waren lediglich vier Teilränder zu erkennen. Suwarna versuchte ihnen das noch mal und noch mal zu erklären, aber sie schüttelten nur den Kopf und wiederholten nur, dass fünf Schüsse zu erkennen sein müssen. Na toll, dachte sie. Na gut, dann sollte man ihr noch eine Chance geben, dann würde man schon sehen. Nein, das ging nicht!
Am Abend gratulierte sie der Gewinnerin und verabschiedete sich von allen Mädchen aus allen Bundesstaaten, die sie kennengelernt hatte. Sie kannte sie mit ihrem Namen, wo sie herkamen, in welche Schule sie gingen, was ihre Eltern vom Beruf waren, ob sie Geschwister hatten, was sie mochten und viel wichtiger, was nicht, und so weiter. Sie hatte sie gern, obwohl sie sie erst ein paar Tage kannte. Es war irgendwie schade, dass das Camp zu Ende ging. Enttäuscht war sie, dass man ihr keine zweite Chance geben wollte, aber es war alles halb so schlimm.
Das Camp war super, sie hatte so viele andere Mädchen aus anderen Teilen Indiens kennengelernt, sie waren sogar zwischendurch einmal nach Agra gefahren, um das berühmte Taj Mahal zu sehen, das sie aber bereits gesehen hatte, als sie für Tischtennis als Mitglied der Maharashtra-Delegation die letzten zwei Male in Neu-Delhi war, sie hatten alle viel Spaß zusammen bei den Schießübungen, bei anderen Übungen, beim Lernen, es war insgesamt eine tolle Erfahrung, und eine tolle Zeit. Beim Schießen könnte sie ein anderes Mal vielleicht gewinnen!
Mittlerweile hatte sie mit Tischtennis ziemlich aufgehört, sie war für die vier Camps jeweils sieben bis zehn Tage weggewesen, sie musste zweimal in der Woche Schießen üben gehen, es war alles anstrengend, und die Schularbeit durfte sie auch nicht vernachlässigen. So blieb kaum Zeit übrig für andere Aktivitäten, selbst für ihr geliebtes Tischtennis nicht. Aber alles halb so schlimm, dachte sie.
Im Laufe des Jahres wurde sie an der Schule im akademischen Bereich als eine der fünf begabtesten Schülerinnen ausgewählt und durfte in den Sommerferien einen 10-tägigen Sonderkurs für begabte Schüler in der weit entfernt liegenden Stadt Indore besuchen. Als es soweit war, fuhr Suwarna mit vier anderen Schülern und zwei Lehrern dorthin. Tagsüber hatten sie Kurse in Mathe, Naturwissenschaften, Gehirn-Joggen und dergleichen. Am Nachmittag waren Freizeitaktivitäten geplant, die Abende waren frei zum Spazieren gehen, Einkaufen gehen oder nur Herumhängen. Wieder eine tolle Erfahrung für Suwarna!
Nach den Sommerferien kam Suwarna in die zehnte Klasse. In Indien galt der Abschluss nach der zehnten Klasse als sehr wichtig, die Abschlussprüfungen wurden in der Regel entsprechend schwer gestaltet. Außerdem bekam man abhängig von den Noten die Zulassung für das entsprechende Fach im Abitur, das zwei Jahre ging, nämlich die elfte und zwölfte Klasse, wie man sie in Indien nannte. Schule, lernen,