Teamermittlung. Jill Waldhofer
acht sich nach dem Kurs noch einmal bei Sekt und Schnittchen getroffen und gemeinsam die IHK-Zertifikate („Herzlichen Glückwunsch zu einem guten „Ausreichend“ für alle außer zwei Teilnehmerinnen!“, hatte Kursleiter Günther zum Abschluss verkündet.) in einem ihrer Vorortgärten verbrannt. Bei der Vorstellung grinste Cara vor sich hin, während sie in ihre Straße etwas außerhalb der Innenstadt einbog und – Glück der früh heimkommenden Freiberuflerinnen – direkt vor ihrem Mehrfamilienhaus einen Parkplatz fand.
Japsend erreichte sie ihre Wohnungstür im fünften Stock, schloss auf und warf erst einmal ihren Ballast aus Taschen und schmuddeliger Kleidung in den Flur. Sie brauchte eine Dusche, bevor sie irgendetwas anderes tat. Als sie im Bad den Jogginganzug von sich riss, hörte sie ihr Smartphone irgendwo draußen im Flur klingeln. Sie überlegte kurz, beschloss dann jedoch, für heute keine Gespräche mehr anzunehmen. Duschen, Bademantel, dann ein Glas Wein mit einem Krimi auf dem Sofa.
„Der Mensch braucht auch mal Abstand“, erklärte sie ihrem Spiegelbild, bevor sie in die Kabine stieg.
Die Dusche war herrlich! Sie ließ das heiße Wasser minutenlang über ihr Gesicht laufen und genoss die Wärme auf ihrer Haut. Als sie aus der Dusche heraustrat, war ihr ganzes Bad in Wasserdampf gehüllt. Sie öffnete das Fenster, stellte es auf Klappe und wischte mit dem feuchten Handtuch über den Spiegel. Wunderbar! Wie konnte man es nur ohne den Luxus einer heißen Dusche aushalten? Wie hatten die Menschen früher ohne diese Lebenshilfe auskommen können? Ein ewiges Rätsel.
Sie schlüpfte in eine alte Jogginghose und einen ausgeleierten Pullover und schlurfte in die Küche. Aus dem Kühlschrank griff sie sich eine offene Weißweinflasche und aus dem Küchenschrank ein Glas. Solchermaßen ausgerüstet, wanderte sie weiter ins Wohnzimmer, ließ sich auf ihr Sofa sinken und deckte sich mit ihrer dicken Wolldecke zu. Sie nippte an ihrem Glas, sah ein wenig an die Decke, nahm wieder einen Schluck und schaffte es, an absolut gar nichts zu denken.
Die Detektivin schlief ein.
Sie wurde wach. Wieso eigentlich? Draußen war es inzwischen dunkel geworden und sie lauschte in ihre Wohnung. Irgendwo war ein Geräusch, ein Brummen, wie von einer eingesperrten Hummel. Ihr Handy summte in ihrer Handtasche. Träge rappelte sie sich auf, suchte das inzwischen wieder ruhige Gerät in ihrer Handtasche und schaltete es ein. Ach, du Schreck, mehrere Nachrichten, die sie überhört hatte. Und sie erinnerte sich, dass das Handy auch geläutet hatte, als sie ins Bad gegangen war. Mehrmals Bella und ein Anruf von einer unbekannten Nummer. Was wollte Bella? War etwa schon wieder was passiert?
Plötzlich fiel es ihr siedend heiß ein: Sie hatte sich ja für diesen Abend wieder verabredet, um das weitere Vorgehen abzusprechen, und sie hatte verschlafen. Sie fühlte sich jetzt auch absolut außerstande, ins Auto zu steigen und nochmal durch die Nacht zu fahren. Nicht mit ihr! Und getrunken hatte sie ja auch. Wenn das kein Grund war!
Rasch wählte sie Bellas Nummer, worauf diese sich sofort meldete und beunruhigt fragte: „Ist alles okay mit dir? Wir haben hier gewartet, haben auch öfter angerufen, aber du bist nicht rangegangen. Wo warst du?“
„Bella, es tut mir leid! Ich habe eine heiße Dusche genommen, mir ein Glas Wein eingeschenkt und war so erledigt, dass ich eingeschlafen bin und nichts mehr mitbekommen habe. Ich bin gerade aufgewacht, weil das Handy gebrummt hat. Ehrlich gesagt, fühle ich mich jetzt nicht mehr in der Lage, zu euch zu kommen. Wie spät ist es denn eigentlich?!“
„Es ist gleich 10 Uhr, und ich will jetzt auch ins Bett. Also vertagen wir unsere Verschwörungskonferenz auf morgen, okay? Ich bin nur froh, dass mit dir alles in Ordnung ist. Ich hatte schon die Phantasie, dass du wieder irgendeinen Alleingang unternommen hast und irgendwo in der Falle sitzt. Schlaf gut, meine Liebe!“
„Ich doch nicht“, versetzte Cara und fügte hinzu, dass sie im Augenblick so gar nicht unternehmungslustig, geschweige denn abenteuerlustig sei. Sie würde jetzt sofort ins Bett gehen und vor morgen früh nach dem dritten Kaffee sei sie nicht ansprechbar. Sie legte auf und machte ihre Vorhersage wahr.
Sie verschwand in ihrem Schlafzimmer, zog die Vorhänge zu, kroch in ihr gemütliches Bett und war im Nu eingeschlafen.
Kapitel 12: Nachbarschaft
Ein dumpfes Wummern aus dem Untergeschoss schien den Boden und ihr Bettgestell zum Schwingen zu bringen und rüttelte sie unsanft aus dem Schlaf. Cara drehte sich stöhnend auf den Bauch, griff nach ihrem Holzpantoffel rechts neben dem Bett und hämmerte mit dem Absatz dreimal wütend auf den Parkettboden. Das Geräusch aus dem vierten Stock wurde spürbar leiser, was sie dankbar zur Kenntnis nahm. Sie fiel zurück in die Kissen, drehte sich auf die linke Seite und stopfte ihre zwei Bettdecken wieder um sich fest. Augen zu und nochmal einschlafen – sie war noch längst nicht bereit für einen neuen Tag.
Doch im nächsten Moment schreckte sie auf und war vollends wach. An der Tür klingelt jemand Sturm.
„Oh, Jakob! Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, schimpfte sie vor sich hin, während sie sich aus dem Bettzeug schälte und schnell aus dem eiskalten Schafzimmer hinüber ins warme Badezimmer humpelte, um sich etwas überzuziehen. In ihren weißen Frotteemantel gehüllt lief sie zur Tür und warf einen überflüssigen Blick durch den Spion. Die Klingel rasselte unaufhörlich und jetzt schien auch noch jemand mit der flachen Hand gegen die Tür zu bollern. Ein blonder Schopf, etwa auf der gleichen Höhe wie der ihre, bestätigte ihren Verdacht.
Sie riss die Tür auf.
„Sag mal, geht’s no–?!“, begann sie ihre Schimpftirade, kam aber nicht weit damit. Vor ihr stand, sichtlich aufgebracht, ihr jugendlicher Nachbar vom Stockwerk unter ihrer Dachgeschosswohnung. Waren das Tränen in den blauen Teenageraugen?
„Das hätte ich nie von dir gedacht!“, brüllte es in ihre Richtung. „Ich dachte, du bist auf unserer Seite! Dabei tust du nur so und schnüffelst dann hinter uns her!!“
Der Junge vor ihrer Eingangstür hatte rote Wangen vor Wut. Er haute mit der rechten Faust gegen die Wand neben der Tür und verzog das Gesicht.
„Was–?! Pass auf, das ist doch Rauputz. Hast du dich verletzt?“, stotterte Cara verwirrt und ging zur Seite, um den rätselhaften Beschwerdeführer in die Wohnung zu lassen. Der drehte sich jedoch um und stampfte die Treppe hinunter. Auf dem Absatz angekommen, trat er gegen das Metallgeländer, dass es nur so schepperte.
„Jetzt warte doch mal, Jakob!“, rief sie ihm hinterher. „Ich weiß echt nicht, was du meinst, ehrlich! Komm wieder hoch und ich mach uns einen Cappuccino.“ Das war Bestechung und illegal, denn die Eltern erlaubten dem 15-Jährigen immer noch keinen Kaffee zum Frühstück, wie sie genau wusste. Cappuccino könnte also in dieser merkwürdigen Beziehungskrise funktionieren. Sie wartete fröstelnd vor ihrer Eingangstür, mit einem Sockenfuß im Flur, mit dem anderen draußen auf der Fußmatte. Stille von unten – zumindest auch keine Tür, die zornig zuschlug.
Sie musste grinsen. Da schlurfte es wieder die erste halbe Treppe hinauf und um die Ecke bog ein schlaksiger, blonder Junge mit den üblichen löchrigen Jeans, riesigen Sneakers und einem überdimensionierten Karohemd, das um den dünnen Oberkörper schlabberte. Jakob schlängelte sich blicklos an ihr vorbei und verschwand rechter Hand in der Tür zur Wohnküche. Ein Stuhl wurde lauthals quietschend über gefliesten Boden geschleift. Cara seufzte, halb erleichtert, halb entnervt, schloss die Tür und gesellte sich zu ihrem langjährigen, jungen Freund, der mit verschränkten Armen und hängendem Kopf am runden Küchentisch saß.
Sie wandte sich ihrer Espressomaschine zu, schaltete auf Heizen und kramte Kaffeebohnen aus dem Küchenschrank.
„Was weckst du mich denn mit deinem Dauerklingeln so früh am Morgen auf? Hatten wir das Thema nicht schon mal?“, fragte sie in Richtung blonden Hinterkopf. Der drehte sich zumindest halbwegs um und nahm so etwas wie Blickkontakt auf.
„Du hast doch geklopft. Ich hatte ja gewartet, dass du endlich aufstehst“, murrte er. „Außerdem ist es schon fast halb zwölf!“, kam es empört aus seinem Langschläfermund. Erwachsene hatten wach und zu Diensten zu sein, wenn er geruhte, das Tageslicht zu erblicken.
Cara ließ heißen Dampf