Teamermittlung. Jill Waldhofer

Teamermittlung - Jill Waldhofer


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nicht allzu leichtfüßig – aus der Küche und die Treppe hinaus.

      „Deine Sachen sind trocken und liegen auf der Kommode oben im Flur“, rief Bella ihr hinterher. Ein Rumpeln und Poltern durch die Holzdecke bedeutete wohl, dass Cara sich im Gästezimmer hastig in ihre Kleidung warf.

      Erlinger ging noch einmal die Frageliste durch.

      „Den Taggert habe ich, glaub ich, mal getroffen. Ich kann mich nur nicht erinnern, wann und wo das war.“

      Bella sah ihn verwundert an. „Was kann das gewesen sein? Ein Typ vom Finanzamt. Bestimmt kein kleiner Sachbearbeiter; dann hätte er keine Sekretärin, auf die er Cara ansetzen könnte. Er muss aber dermaßen neu sein, dass auf der Website nichts zu seinen Aufgaben steht. Da stand nur ‚Profil folgt in Kürze‘, allerdings mit Stand von vor einem Vierteljahr…“

       Kapitel 9: Dämpfer

      Es klingelte an der Tür und Jimmie fing ein wildes Gebell an, wie es sich für einen Hütehund gehörte. Wenn sich auf dem Lande jemand so an der Haustür zur Straße meldete, war es immer ein Mensch aus der Stadt. Die Nachbarn aus dem Dorf kamen einfach ihr Anliegen rufend durch die Seitentür, die niemand je abschloss.

      Bella seufzte tief.

      „Ok, dann mal los. Da kommt die Kavallerie.“ Sie erkannte die großgewachsene, kräftige Gestalt im dicken Steppmantel schon durch die Glasscheibe, öffnete und ließ Hauptkommissar Witzig ins Haus. In dieser ländlichen Gegend, die kleine Stadt als Versorgerin, waren gelegentliche Begegnungen unvermeidlich. Sie tauschten also ab zu Grüße aus. Doch so sympathisch er als Mensch auch war – er erinnerte sie an Dinge, die sie vergessen wollte, und sie hätte vorgezogen, ihn nie wieder zu sehen.

      „Tag allerseits! Wo brennt‘s denn diesmal? Habt ihr euch schon wieder in die Nesseln gesetzt?“ Mit diesen reichlich unpassenden Worten kam Witzig ins Haus gestapft, zog seinen Mantel aus und schmiss ihn über das Treppengeländer. Er machte seinem Namen nie wirklich Ehre, sondern brillierte mehr im ernsthaften Fach.

      Zielstrebig fand er den Weg in die Küche, wo Erlinger ihn herzlich begrüßte. Die beiden mochten sich und fanden einander sympathisch, dachte Bella so bei sich, bevor auch sie in die Küche trat und sogleich anfing, die Espressomaschine für eine neue Runde vorzubereiten. Witzig trank Espresso fortlaufend, ohne seine dauerhafte Koffeinzufuhr war er nicht zu gebrauchen.

      „Also, was kann ich für euch tun?“, fragte er und schaute erwartungsvoll um sich. Jimmie machte sich an ihm zu schaffen und versuchte, bei ihm ein paar Streicheleinheiten abzugreifen, die er pflichtschuldigst verabreichte. Jimmie mochte ihn, hatte ihn als temporären Kumpel akzeptiert und freute sich immer, ihn zu sehen. Doch im Augenblick schien Witzig nicht so konzentriert auf den Hund zu sein. Dies war verständlich, denn Bella hatte ihn mit eher vagen Andeutungen hergelockt. Diese hatten in ihm die Überzeugung entstehen lassen, dass Bella und Erlinger in anderweitige Schwierigkeiten geraten waren, so dass hier eventuell eine berufliche Niederlage ausgebügelt werden konnte. Denn er rechnete es sich durchaus als persönliches Versagen an, dass es ihm nicht gelungen war, seinerzeit Jost festzunageln und ihm seine Verfehlungen nachzuweisen.

      Bella antwortete ihm, dass er sich einen Moment gedulden müsse, bis Cara eingetroffen sei, denn sie solle erzählen, was passiert sei. In dem Moment kam Cara mürrisch in die Küche, grüßte Witzig, ohne ihn anzusehen und setzte sich an den Küchentisch. Sofort war die Atmosphäre um einige Grad kühler geworden, was Witzig natürlich sofort registrierte, denn er war feinfühlig und offen für atmosphärische Strömungen. Bella beeilte sich, den Espresso durchlaufen zu lassen und überließ es Erlinger, die Stimmung zu retten.

      „Ja“, meinte er, „Cara wird dir jetzt eine lange Geschichte erzählen, die einiges von dem Desaster von vor sechs Jahren wieder aufrühren wird. Uns ist nicht so recht klar, wie und ob wir da weitervorgehen sollen, ob mit oder ohne polizeiliche Hilfe oder Rückendeckung, und da haben wir uns gedacht, wir holen dich – erst einmal inoffiziell dazu – und hören deine Meinung.“

      „Ich bin gespannt“, meinte Witzig und wandte sich erwartungsvoll zu Cara. Die wich seinem Blick aus und erzählte von ihrem Auftrag und von der Frau, die sie überwachen sollte, von wem der Auftrag kam und Jimmie, die sie geradezu entführt hatte. Etwas kleinlaut berichtete sie von ihrem Diebstahl des Briefumschlags und was sie in ihm entdeckt hatte. Zuletzt beschrieb sie den Unfall mit dem Müllwagen, der sie hier an diesen Küchentisch gebracht hatte.

      Witzig sah besorgt auf.

      Cara ignorierte den Blick und schloss mit den Fragen, die sie und Bella notiert hatten. Sie schob ihm die beschriebene Pappe zu. Witzig las die Fragen und schaute auf.

      „Ich muss gestehen, dass ich nicht sonderlich überrascht bin. Ich hatte schon damals damit gerechnet, dass das Ganze irgendwann wieder hochkochen wird, denn wir haben damals den Fall nicht abgeschlossen. Das heißt, wir haben nicht wirklich herausbekommen, worin die Korruption bestand. Wir haben nicht die Hintermänner dieser ganzen Affäre enttarnen können und das bedeutet, dass sie vermutlich genauso weitergemacht haben, vielleicht nach einer Zeit der Zurückhaltung, aber dann wieder ihre lukrativen Geschäfte fortgeführt haben.“

      Er holte Luft und fuhr fort.

      „Dass Jost wohl doch nicht in Hamburg zu Tode gekommen ist und nun wieder mitmischt, wundert mich auch nicht so sehr. Ich hatte schon damals meine Zweifel an diesem doch sehr gelegen kommenden Ende. Aber wieso geht er das Risiko ein, ausgerechnet in diesem Kasino gesehen zu werden? Was hat ihn dazu gebracht, genau dort zu erscheinen, wo er von jeher gut bekannt ist? Das verstehe ich nicht.“

      Vorsichtig meldete sich Cara zu Wort und wies auf eine weitere Unverständlichkeit hin: „Und was hat diese Frau damit zu tun? Wieso bekomme ich den Auftrag von einem aus dem Finanzamt, um sie zu überwachen und was hat sie für ein Interesse an dieser Sache? Denn sie muss ja ein elementares Interesse haben, wenn sie sich ein Bild von Jost im Kasino besorgt, oder was meint ihr?“

      Sie fuhr fort. „Vielleicht wäre es sinnvoll, mit der Frau Kontakt aufzunehmen und sie direkt zu fragen? Sie machte eigentlich einen ganz sympathischen Eindruck. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit ihr reden könnte.“

      Alle um den Tisch herum Versammelten schwiegen und überdachten die Optionen, bis Jimmie sehr vernehmlich seufzte, sich aufsetzte und dann einen Blick zur Tür warf. Es war ihre Zeit hinaus zu gehen, und bei allem Verständnis für die Nöte ihrer Erwachsenen, hier war die Grenze. Bella stand auf und meinte, dass der Hund jetzt mal sein Recht bekommen müsste, und sie möchten bitte alle warten, bis sie wieder zurück sei. Sie sollten keine Entscheidungen ohne sie treffen, denn sie sei schließlich erheblich involviert und wollte nicht, dass irgendetwas ohne ihr Einverständnis geschehe.

      Cara und Erlinger nickten zustimmend, und während Cara aufstand, um Bella und Jimmie zu begleiten, begannen Erlinger und Witzig, über andere Dinge zu sprechen.

      Witzig war allerdings nicht völlig bei der Sache, als die beiden sich über das ewige Thema der Hausbesitzer austauschten, nämlich die nie endenden Reparaturen am Altbau, die stets mit Lärm, Dreck und schier tränentreibenden Kosten verbunden waren. Witzig bewohnte ein paar Dörfer weiter allein ein noch älteres Gemäuer als das von Bella und Erlinger, ein großes, unpraktisches Fachwerkhaus, das er von seinen Großeltern geerbt hatte. Während er mit Erlinger über marode Wasserleitungen und morsche Fensterläden fachsimpelte, arbeitete sein scharfer Verstand im Hintergrund an einem ganz anderen Problem. Erlinger, Bella und Cara schienen tatsächlich zu glauben, dass sie die unerwartete „Wiederauferstehung“ von Jost Hansen mit seiner Hilfe wie eine private Angelegenheit behandeln konnten.

      Er hatte Erlinger nicht unterbrochen, als dieser von „inoffizieller Hilfe“ und einer „Meinung“ sprach, die er, Witzig, nun beisteuern sollte. Er hatte großen Respekt vor dem in gewissen Kreisen sehr bekannten, doppelt promovierten Wissenschaftler. („Bitte vergessen sie die Doktoren. Ich heiße einfach Erlinger, wenn ich zuhause auf dieser Holzbank sitze“, hatte dieser ihn lächelnd korrigiert, als Witzig vor Jahren zum ersten Mal etwas schüchtern in dieser Küche saß. Dieser hatte ihn formvollendet mit allen Titeln adressiert. Außerdem sei er schon lange im Ruhestand.) Davon abgesehen war Erlinger


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