Teamermittlung. Jill Waldhofer
es Bella hin, die den Umschlag mit einem prüfenden Blick ins Gesicht ihrer Freundin nahm, langsam den Inhalt herauszog und einen Blick darauf warf. Ihr Gesicht versteinerte sich für einen Moment.
„Wow, ganz schön ähnlich, muss man sagen.“ Bella setzte sich mit einem Ruck auf und sah Cara merkwürdig prüfend an. „Kein Wunder, dass du dich gewundert hast. Man könnte fast glauben, da wäre einer wieder auferstanden.“
Cara konnte kaum ihren Ohren trauen. Was redete Bella da? Das Bild war gestochen scharf und ließ keine Zweifel zu.
„Ähnlich?! Gewundert? Bella! Hast du nicht richtig hingesehen? Es ist ja schon ziemlich dunkel und das Oberlicht in dieser Kiste geht auch nicht mehr. Komm setzen wir uns in deinen Wagen und du guckst ihn dir noch mal an!“ Sie stieg aus, lief um Bellas geräumigen SUV und öffnete die Beifahrertür. Sie setzte sich und knipste die Innenbeleuchtung an. Bella glitt in ihren Fahrersitz und reichte Cara den Umschlag, in den sie das Foto wieder hatte verschwinden lassen.
„Nein, warum? Ich brauche nicht noch einmal nachzusehen. Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass es Jost ist, oder? Wir sind doch nicht bei Twilight Zone.“
Bella schnallte sich beim Sprechen an und gab einen merkwürdigen Laut von sich, der wohl ein Kichern sein sollte. Dann drehte sie sich in Caras Richtung und sah sie mit besorgtem Ausdruck an.
„Ach je, entschuldige bitte! Da mache ich dumme Witze und du hast dir den Kopf verletzt. Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und siehst nicht allzu deutlich. Ich fahre dich sofort in die Notaufnahme!“ Sie startete den Motor.
„Schnall dich bloß an. Nicht, dass noch mehr passiert.“
Cara glaubte es nicht. War das ein verrückter Traum?
„Bella! Spinnst du? Ich habe noch mein ganzes Zeug im Auto und nicht abgeschlossen. Was ist denn los mit dir?“ Sie stieg mit einem Bein wieder aus dem SUV, musste sich aber sofort an der offenen Beifahrertür abstützen, weil ihr schwindlig wurde. Sie sackte zurück auf den Sitz.
„Kannst du bitte meine Sachen rausholen, Bella? Ich habe vielleicht doch mehr als eine Beule“, flüsterte sie.
Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf auf die Hände sinken. Keine gute Idee! Cara stöhnte kurz auf, als sie ihre Stirn berührte. Die Beule schien größer geworden zu sein. Sie lehnte sich zurück und schloss seufzend die Augen. Der SUV hatte Sitzheizung und war so schön warm und behaglich nach all der Kälte und Aufregung. Jemand ließ eine flauschige Decke auf sie sinken und steckte diese behutsam an ihren Seiten fest. Im Nu war sie in einen herrlich gleichgültigen Halbschlaf versunken und kümmerte sich nicht mehr um Bella, die sich sonderbar verhielt, eingebildete Kranke, geheimnisvolle Umschläge, Jost auf dem Fahndungsfoto und dann Jost, der im Hafenbecken trieb…
Kapitel 4: Kopfschmerzen
Sie wachte auf zu einem merkwürdigen, monotonen Tuckern – von draußen? – und Sonnenschein, der rechts von ihr durch einen Spalt zwischen dicken geblümten Vorhängen blitzte und einen schmalen vertikalen Streifen auf die Wand gegenüber ihrem Bett warf. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ sie sich zurück in ihr weiches Daunenkissen sinken, betrachtete mit Wohlgefallen das zarte Rosenmuster des Bettbezugs und schloss noch einmal kurz die Augen. Gleich würde sie aufstehen und sich für die Arbeit fertigmachen. Nur noch fünf Minuten dös–. Moment mal!! Das war nicht ihr Bett und schon gar nicht ihr Schlafzimmer! Statt romantisch tuckernden Traktoren und krähenden Hähnen gab es für sie morgens die lieblichen Laute von Güterzügen oder Presslufthammern, wie es sich für Bewohnerinnen der Innenstadt gehörte. Und zur Arbeit brauchte sie auch nicht, denn so etwas wie einen festen Job hatte sie ebenso wenig wie geblümte Vorhänge oder rosenbesteckte Daunendecken.
Sie ließ den Blick durch das Zimmer wandern und allmählich erkannte sie, wo sie sich befand. Offenbar hatte Bella sie doch nicht ins Krankenhaus gefahren, sondern in ihrem Gästezimmer ins Bett verfrachtet. Cara konnte sich an gar nichts mehr erinnern, nicht wie sie aus dem Auto gekommen war, noch wie sie die Treppe hoch und in diesem Bett gelandet war. Die Kollision mit dem Lenkrad musste doch eine ganz schöne Wirkung gehabt haben.
Doch so langsam kam die Erinnerung wieder - an diesen furchtbaren gestrigen Tag, der mit dem Blick auf das Foto und dem Zusammenstoß mit dem Müllwagen für sie nach ihrer Erinnerung geendet hatte.
Wie spät mochte es sein? Die Sonne schien schon recht hoch am Himmel zu sein, also musste der Vormittag schon weiter fortgeschritten sein. Ob Bella wohl zuhause war und auf sie wartete?
Vorsichtig brachte sie ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Sie wartete auf Schwindel oder eventuelle Übelkeit. Nichts? Also weiter! Sie stemmte sich langsam hoch, hielt sich an der Wand fest, um dann mit vorsichtigen Schritten zur Tür zu gehen. Sie trat hinaus auf den Flur und ins Badezimmer, wo sie langsam versuchte, mit Hilfe von Wasser und Bellas Kosmetik wieder einen (weiblichen) Menschen aus sich zu machen.
Währenddessen flogen ihr nur so die Gedanken durch den Kopf. Das Foto zeigte eindeutig Jost, den früheren hochgeschätzten Kollegen und späteren Gegner von Bella bei der Steuerfahndung. Und es war ein recht aktuelles Bild von ihm. Es war eindeutig keins, das vor seinem „Tod“ vor einigen Jahren geschossen worden war. Das war gut zu erkennen, denn das Ambiente, das ihn zeigte, offenbarte ihr das Kasino, das sie mit Bella einmal besucht hatte. Dieses Kasino hatte einen ganz eigenen Stil, und das Foto zeigte eindeutig den berühmten vor Kurzem renovierten Spielsaal. Es gab also keinen Zweifel: Jost war am Leben und zu allem Überfluss auch noch ganz in der Nähe!
Ihr war zutiefst unbehaglich zu Mute. Erstens generell, weil ihr Kopf immer noch schmerzte, und dann, weil ihr nicht klar war, was das alles für Bella bedeutete. Fing die ganze Katastrophe wieder von vorn an? Wie würde Bella damit umgehen? Würde das sonderbare Ereignis alles wieder aufrühren, was gerade begann zu heilen?
Die Beule auf der Stirn sah eigentlich gar nicht mehr so dramatisch aus – nur ein bisschen zu braun von der Schminke. Sie trank ein paar Schlucke kaltes Wasser aus dem Hahn, trocknete sich die Hände an Bellas flauschigem Handtuch, ging barfuß hinaus in den Flur und stieg die Holztreppe hinunter ins Erdgeschoss. Ihre Sachen waren im Gästezimmer nicht zu sehen gewesen, also hatte sie über ihre Unterwäsche den seidigen himbeerfarbenen Morgenmantel angezogen, der im Bad am Haken hing.
„Bella!“, rief sie, unten ankommend. „Bella, bist du da?“
Die Küchentür war offen und ein köstlicher Duft von Espresso stieg ihr in die Nase. In dem Raum war niemand, aber durch eins der beiden Küchenfenster konnte sie Bella sehen, die draußen am Zaun stand und hinter einem abfahrenden Pick-Up herwinkte. Im nächsten Moment stand Bella in der Tür.
„Cara! Du bist ja schon auf! Wie geht’s dir denn? Komm, lass dich mal drücken, du Arme!“ Mit rechts umarmte sie die lädierte Detektivin, mit der linken Hand goss sie Kaffee in einen großen Becher. „Setz dich doch. Ich schäume dir noch Milch auf, ja?“
Mit einem dankbaren „Oh, ja, gern!“ setzte Cara sich an den großen Küchentisch, auf einen der schönen alten Holzstühle, die so gut in dieses ländliche Ambiente passten.
„Mit geht’s wieder gut. Danke, danke, danke für all deine Hilfe gestern! Und das, nachdem ich mit Jimmie so schusselig war. Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass wir zu euch gefahren sind. Und ich weiß auch gar nicht, wie ich ins Bett gekommen bin.“
Bella löffelte eine Portion schaumiger Milch in einen Kaffeebecher und stellte ihn vor Cara ab. Sie schenkte sich selbst eine kleine Espressotasse ein und setzte sich zu ihr.
„Bist du sicher, dass es schon wieder geht, Liebe?“ Sie sah ihr prüfend ins Gesicht. „Du warst gestern richtig benommen. Aber keine Angst“, kicherte sie. „Erlinger musste dich nicht raufschleppen. Du bist aus dem Auto, ins Haus und nach oben getorkelt, hast deine Klamotten von dir gerissen und bist ins Bett gefallen. Ich glaube aber nicht, dass du dabei irgendwann richtig wach warst.“ Bella warf einen Blick in Richtung Küchenfenster.
„Er ist mit Jimmie auf dem Weg zu einem Bekannten, der eine Autowerkstatt hat. Die beiden wollen sich den Golf vornehmen.“