Teamermittlung. Jill Waldhofer
Hundeführung ungeübt, schlecht vorbereitet. Ein paar Häuser weiter sah sie eine Frau, das Ende einer langen Leine am Handgelenk, aus ihrer Eingangstür treten. Der Hund stand schon in der Hofausfahrt und blickte in Caras und Jimmies Richtung.
‚Was für ein Kalb‘, dachte Cara träge. Die arme Frau musste offensichtlich bei diesem Regen und Sturm zum Spazierengehen hinaus, damit das Tier sich erleichtern konnte. Sie lief ein bisschen näher an den Rand des Bürgersteigs, um an der Dogge vorbeizukommen und warf einen schnellen Blick auf die Uhr. ‚Oh Gott‘, stöhnte sie lautlos ‚erst halb vier!‘
„Ah!“, schrie sie erschrocken auf. Das Kalb hatte ein wildes Bellen angestimmt und war von rechts aus der Einfahrt auf Jimmie zugestürmt. Zu spät begriff Cara, dass Doggen es wohl nicht schätzten, wenn andere Hündinnen frech an ihrem Haus entlangliefen. Jimmie, die Angegriffene, suchte ihr Heil in einer schnellen Flucht in Richtung Wendeplatz.
Überrascht von der Attacke ließ Cara die Leine los. Jimmie preschte vorwärts, dicht gefolgt von der ergrimmten Dogge, die allerdings noch an ihrem ledernen Riemen hing, der von der wohl überraschten Doggenherrin krampfhaft festgehalten wurde. Die erzürnte Dogge wurde abrupt abgebremst; Jimmie – nun mit Oberwasser – rannte ihrerseits bellend zurück und auf das Kalb zu. Die Hunde jagten sich schließlich im Kreis um Cara herum.
Es kam, wie es kommen musste. Die Leine des Kalbes wickelte sich in höchster Geschwindigkeit um Caras Knie und ließ sie, wie vom Lasso gefangen, zu Boden stürzen. Noch im Fallen versuchte Cara das zu beobachtende Objekt im Blick zu behalten. Sie sah voller Verzweiflung das Sujet ihres Auftrags. Die Frau saß mit einem gleichgültigen Blick auf das Hunde-Desaster in einem Auto am Wendeplatz und ließ gerade den Motor an, um ausgerechnet jetzt mit unbekanntem Ziel davonzufahren.
Oder doch nicht?
„Jimmie! Nein!! Weg von der Straße!!!“, schrie Cara hellauf entsetzt, als sie die geborgte Hündin zuerst wieder auf die an ihrer Leine zerrende gegnerische Dogge zu preschen und dann in vermeintlich sicherem Abstand mitten auf der Straße sitzenbleiben sah. Der schicke BMW des Zielobjekts fuhr zwar noch langsam, bewegte sich aber direkt auf Jimmie zu. Die Fahrerin schien sich mit irgendeinem Gegenstand auf dem Beifahrersitz zu schaffen zu machen und bemerkte nichts vom sich abzeichnenden Drama.
„Komm heeeer!!!!“, kreischte die jetzt in einer dreckigen Pfütze liegende Cara, so dass die Doggenbesitzerin vor Schreck ihre Leine fallen ließ. Jimmie, die offenbar gleichzeitig erstarren, zusammenzucken und lossprinten konnte, entkam mit einem Hechtsprung in Richtung Straßenrand dem aggressiv glänzenden Kühlergrill in letzter Sekunde!
„Oh, Jimmie!!! Hör auf mich abzuschlecken!“ Sie raffte sich mit Mühe und Not wieder auf und versuchte dabei, die elende Doggenleine von sich los zu zerren. Jimmie tanzte wie wild um sie herum und wollte wohl noch für ihre Heldentat gelobt werden.
„Sind sie etwa verletzt?“, fragte die Doggenfrau gereizt und reckte dabei den Hals in Richtung Wendeplatz am Ende der Straße. Ihr freiheitsliebendes Kalb war entschwunden und schien sich in irgendeinem Garten hinter den letzten Häusern oder im angrenzenden Wäldchen zu verstecken.
„Nein, danke. Es geht schon.“ Sie schnappte sich Jimmies Leine und ihren Schirm, den der Wind in den nächsten Vorgarten geweht hatte.
„Tut mir leid, ich hab’s sehr eilig. Bei Ihnen alles klar?“, rief sie im Wegrennen, ohne sich um die Antwort zu scheren. Sie hatte nämlich gesehen, dass ihr Zielobjekt nun doch noch in etwa hundert Metern an der T-Kreuzung zu sehen war und wohl wegen dichten Verkehrs nicht auf die größere Straße abbiegen konnte. Ihr eigener unauffälliger VW stand in passender Richtung rechts am Straßenrand.
„Schnell, Jimmie, rein ins Auto!“, scheuchte sie die Hündin und entriegelte gleichzeitig die Türen. „Hopp, rein!“
Jimmie sprang in den Kofferraum, Quasi-Frauchen warf sich auf den Fahrersitz und rammte den Schlüssel ins Schloss. Zielperson noch da?
Ja, da stand der BMW immer noch nach links blinkend und kam nicht voran.
„Ha! Hervorragend! So schnell entwischt man mir nicht!“, johlte sie triumphierend und musste sich beherrschen, nicht mit quietschenden Reifen der Pseudokranken hinterher zu fahren. Im nächsten Moment stand auch sie blinkend an der Kreuzung und beugte sich so gut wie möglich nach vorn, um im Rückspiegel der armen Kranken nicht sichtbar zu sein. Ein Schlapphut wäre jetzt gut, aber sie hatte ihren bei der letzten Observation verloren, als sie einen windigen Typen nachts auf einem Fabrikgelände verfolgte.
So, jetzt fuhr die Edelkarosse an und die Beobachterin beeilte sich, ebenfalls durch die kurzfristig entstandene Verkehrslücke zu kommen. Sie fuhr nun dem BMW nach, nicht zu dicht auffahrend, aber auch nicht zu viel Platz lassend, um der Beobachtungsperson nicht die Möglichkeit zu lassen, an der nächstbesten roten Ampel zu verschwinden. Während sie so aufmerksam wie möglich dahinfuhr, überkam sie plötzlich das heulende Elend. Was für ein Beruf!
Jetzt saß sie tropfend, dreckig und frierend in ihrem Auto. Nicht nur der Trenchcoat war nass, die Feuchtigkeit war inzwischen in die Jeans gesickert und der Autositz bekam auch seinen Teil Schmutzwasser ab. Das würde für die nächsten Tage noch unangenehme Gefühle und einen feuchten Hintern verursachen.
Toll! Wieso konnte sie jetzt nicht gemütlich auf dem Sofa liegen, trocken und warm und mit einem spannenden Krimi in der Hand und einem Glas Weißwein auf dem Tischchen neben sich? Stattdessen musste sie kalt und nass hinter einem Menschen herfahren, um herauszufinden, ob dieser nun krank war oder nicht. Sie jedenfalls würde vermutlich in kürzester Zeit darniederliegen, wenn sie nicht aus diesen nassen Sachen herauskam. Sie schaute in den Rückspiegel.
Jimmie saß aufrecht im Kofferraum und fixierte sie mit ihren klugen Augen, als wüsste sie, was in ihr vorging. Sie sah, dass die Hündin aufmunternd mit dem Schwanz wedelte. Der Schwanz war zwar eigentlich nicht zu sehen, aber der ganze Körper der Hündin wurde mitgewedelt. Das war so tröstlich, dass ihr sofort die Tränen in die Augen stiegen vor lauter Selbstmitleid.
Dass dies eine sehr schlechte Idee war, wurde sofort deutlich, denn die Zielperson begann langsamer zu fahren, um einen Parkplatz zu suchen, und fast wäre Cara hinten aufgefahren, wenn sie nicht im letzten Augenblick auf die Bremse getreten wäre. Puh, gerade noch geschafft! Den Kopf zur Seite drehend fuhr sie langsam an dem inzwischen einparkenden BMW vorbei, nun ihrerseits eine Parkmöglichkeit suchend. Gefunden!
Vorsichtig bei dem strömendem und die Sicht behindernden Regen rückwärts einparkend versuchte sie gleichzeitig die Frau im Auge zu behalten, die zielstrebig auf eine Spielhalle zuging. Eine Spielhalle? Was wollte diese Frau, gut angezogen, mit einem teuren BMW und einem Haus in einer guten Wohngegend, in so einer heruntergekommenen Spielhalle, in der sich nur die Armen, die die Hoffnung auf einen Gewinn nicht aufgeben mochten, die trostlose Zeit vertrieben?
Seltsam, sehr seltsam! Aber um zu erfahren, was die Frau dort vorhatte, musste sie hinterher. Doch in ihrem nassen Trenchcoat mit nasser Jeans war sie so auffällig wie ein Osterhase am Heiligen Abend. Was konnte sie tun? Hinten auf der Rückbank war noch ihre Sporttasche mit den müffelnden Sachen vom letzten Lauftraining, das schon einige Tage – Wochen? – zurücklag. Dazu gehörte eine windfeste, wasserabweisende Jacke, die sie naserümpfend überzog.
Irgendwie schaffte sie es, sich sitzend auch aus der feuchten Jeans zu winden und die Jogginghose über die Füße und Hüften zu ziehen. Ein Basecap, die blonden Haare darunter gestopft und los konnte es gehen.
„Ich bin gleich wieder da, Jimmie! Du wartest schön, okay?“
Als ob diese bei geschlossenem Auto wegkonnte. Egal. Ein bisschen Höflichkeit musste sein. Und nun auf ins zweifelhafte Vergnügen!
Sie verschloss das Auto, platschte dabei in eine große Pfütze, so dass jetzt zu der allgemeinen Nässe auch noch durchweichte Socken dazukamen. Wenn das keine Erkältung gab! Sie überquerte die Straße und betrat die Spielhalle. Ein dunkles Loch mit schäbigem Linoleum, einigen Menschen, die trostlos die Groschengräber fütterten und sie mit gleichgültigen Augen vorübergehen sahen. Verdammt, jetzt hatte sie natürlich kein Geld dabei, denn in der Windjacke war nichts. Ihr Geld war im Trenchcoat, und der Trenchcoat war im Auto.