Der Venezianische Löwe. Volker Jochim
Volker Jochim
Der Venezianische Löwe
Kommissar Mareks zweiter Fall
(überarbeitete Neuauflage)
Kriminalroman
© 2010/2020 Volker Jochim
Umschlag, Illustration: tredition,
Volker Jochim (Foto)
Verlag und Druck: tredition GmbH,
Halenreie 42, 22359 Hamburg
Überarbeitete Neuauflage
ISBN | |
Paperback | 978-3-347-11582-8 |
Hardcover | 978-3-347-11583-5 |
e-Book | 978-3-347-11584-2 |
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1
Alfredo Zorzi streifte ziellos durch die Straßen von Triest. Vor drei Wochen hatte er seinen Job als Koch in der Trattoria Da Nardi in Eraclea verloren. Einfach vor die Tür gesetzt. Dabei wusste er eigentlich bis zum heutigen Tag nicht warum.
Unbewusst näherte er sich dem Bahnhof an der Piazza della Libertà.
Ihm war nur aufgefallen, dass obwohl das Restaurant eine reichhaltige Fischkarte vorhielt, nur ein bis zweimal wöchentlich eine Lieferung Fisch kam. Dazu kam die Lieferung noch aus dem entfernten Triest. Dabei gab es in der näheren Umgebung von Eraclea, zwischen Jesolo und Caorle, jede Menge fangfrischen Fisch zu kaufen.
Unvermittelt stand er vor dem Bahnhof. Es war schon spät am Nachmittag und der einsetzende Berufsverkehr machte das Überqueren der Straße zum Abenteuer. Zorzi sah sich um und lenkte seine Schritte dann nach links in Richtung Corso Cavour zum Hafen.
Er hatte seinen Chef nur gefragt, warum er den Fisch nicht täglich und in der Region kaufen könnte.
„Das geht dich nichts an“, war die barsche Antwort, „du wirst hier fürs Kochen bezahlt.“
Sein Fehler war wohl, dass er nicht locker ließ, aber es ging ihm gegen den Strich Fisch zu verarbeiten, der schon drei bis vier Tage im Kühlhaus lag. Die Diskussion mündete in einen lautstarken Disput, an dessen Ende er sich seine Papiere abholen konnte. Er war gefeuert.
Sicher, er hätte nicht so emotional reagieren dürfen, aber letztendlich wollte er doch nur die Qualität der Küche verbessern. Es war schon seltsam. Er konnte es nicht verstehen. Nach dem Rauswurf ging er zurück in seine Heimatstadt Triest und fand erst einmal Unterschlupf bei seiner Mutter. Hier streifte er nun täglich ziellos durch die Straßen. Auf der Suche nach einem neuen Job, wie er sich einredete. Aber so richtig gesucht hatte er eigentlich bisher nicht. Er ließ sich einfach treiben. Irgendwann würde er schon Glück haben, da war er sich ganz sicher.
Zorzi blieb plötzlich stehen.
„Das gibt es doch nicht. Was treibt der denn hier?“, murmelte er vor sich hin.
Einige Meter vor ihm bog sein ehemaliger Chef eilig in die Via Milano ein.
„Komisch“, dachte er, „der ist doch nie selbst hierher gefahren. Alle Bestellungen wurden telefonisch abgewickelt. Mal sehen, was der hier treibt.“
Er lief los, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren und als er die Via Milano erreichte, sah er ihn gerade noch in eine Seitenstraße verschwinden. Zorzi sprintete bis zur Einmündung der Straße und spähte dann vorsichtig um eine Hausecke. Sein Herz raste ob der ungewohnten körperlichen Anstrengung und sein Hemd klebte am Körper.
***
Marco Nardi blieb vor einem alten Haus aus der Zeit der österreichischen Besatzung stehen und zündete sich eine Zigarette an.
Es gab Schwierigkeiten bei der Lieferung. Aber er selbst hatte auch Termine, die er einhalten musste. Verzögerungen konnte er sich nicht leisten. Dieses Problem musste er selbst lösen. Da konnte er niemand anderen schicken.
Er sah sich um, schnippte seine angerauchte Zigarette auf die Straße und betrat das Haus. Den jungen Mann an der Ecke hatte er nicht bemerkt.
***
„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das doch ein Luxus-Puff“, dachte Alfredo Zorzi und schob sein Handy wieder in die Jackentasche. „Vielleicht ist ja heute mein Glückstag.“
Gut gelaunt machte er sich auf den Heimweg. Zu Hause angekommen, rief er nur ein kurzes „ciao mama“ in die Küche, verschwand in seinem Zimmer, das seine Mutter immer für ihn bereithielt und schaltete seinen Computer an.
2
Marco Nardi verließ etwa eine Stunde später wieder das Gebäude, sah sich um, zündete sich eine Zigarette an und wandte sich in Richtung Via Giosuè Carducci. Er war halbwegs zufrieden mit dem Ergebnis seiner Unterredung und entsprechend zufrieden war auch sein Gesichtsausdruck. Heute war Montag. Die nächste Lieferung wurde ihm für Mittwoch zugesagt. Da hatte er noch Zeit, alles für den Transport nach Deutschland zu organisieren.
Ein paar Minuten später betrat er das Caffè San Marco in der Via Cesare Battisti. Hier wollte er in gediegener Jugendstilatmosphäre bei einem Caffè noch etwas entspannen, bevor er den Heimweg antrat.
Er angelte sich den Corriere della Sera vom Zeitungsständer und setzte sich im hinteren Teil des großen Raums an einen kleinen Tisch mit Marmorplatte.
Er schlug die Zeitung auf und überflog die Schlagzeilen. Die schlechte Wirtschaftslage war das beherrschende Thema und in verschiedenen Interviews gaben Politiker unterschiedlichster Couleur in den immer gleichen Sprechblasen zum Besten, wie sie der Lage Herr werden wollten. Waren sie dann gewählt, blieb sowieso alles beim Alten.
„Glücklicherweise sind meine Geschäfte unabhängig von Rezessionen und der allgemeinen Wirtschaftslage“, dachte Nardi.
Auf der nächsten Seite erregte ein anderer Artikel seine Aufmerksamkeit.
Großer Schlag gegen die Drogenmafia in Genua, lautete die Schlagzeile.
„Die sind auch nicht mehr, was sie mal waren.“
Nachdem er seinen Caffè ausgetrunken hatte, faltete er die Zeitung zusammen, legte einen Schein auf den Tisch und ging nach draußen. Dort steckte er sich erst einmal eine Zigarette an, die er gerne zum Caffè geraucht hätte. Aber das war ja leider nicht mehr möglich. Man sollte diese ganzen EU Bürokraten zum Teufel jagen und die Politiker in Rom gleich mit.
Langsam schlenderte er zu seinem Wagen und fuhr zurück nach Eraclea. Dort wollte er in seinem Restaurant noch kurz nach dem Rechten sehen und dann nach Hause zu Lydia fahren. Selten genug hatte er die Möglichkeit, so früh nach Hause zu kommen.
***
Nardi hatte seine Frau vor etwa fünf Jahren in seiner Diskothek kennengelernt.
Er stand damals neben dem Tisch des Discjockeys und sah der tanzenden Menge zu, als eine schlanke, fast weißblonde Schönheit langsam, fast wie in Trance, aus der Masse heraus und auf ihn zu tanzte.
Er war damals wie hypnotisiert und konnte nicht einmal ausweichen, als sie gegen ihn stieß. Dabei kippte er ihr den Inhalt seines Cocktailglases über das T-Shirt, unter dem sich, von der Nässe begünstigt, ihre Brustwarzen begannen abzuzeichnen.
Unfähig etwas zu tun starrte er sie an, doch statt zu schimpfen, oder sich zu beschweren, legte sie nur den Kopf auf die Seite und lächelte ihn an.
Noch an diesem Abend nahm er sie mit zu sich nach Hause, er lebte damals noch in einer kleinen Eigentumswohnung in Jesolo, und ein halbes Jahr später fand die Hochzeit statt. Seither ging es geschäftlich nur noch steil bergauf. Mittlerweile gehörte er zu den reichsten Männern der gesamten Region. Lydia hatte