Der Venezianische Löwe. Volker Jochim

Der Venezianische Löwe - Volker Jochim


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unbedingt noch einen Briefumschlag zur Post bringen. Die hatte zwar mittlerweile schon geschlossen, aber glücklicherweise hatte seine Mutter immer einen Vorrat an Briefmarken in der Schublade des Küchentischs. Er hätte den Brief auch an der nächsten Ecke einwerfen können, doch war er sich nicht sicher, ob der Kasten überhaupt in der nächsten Zeit geleert werden würde. An die angegebenen Leerungszeiten hielt sich hier sowieso niemand. Auf dem Postamt war das etwas anderes, da wurde garantiert dreimal täglich geleert und sein Brief war wichtig, duldete keine Verzögerung. Zu viel hing für ihn davon ab. Vielleicht sogar seine ganze Zukunft.

      Als er vor dem Postamt stand, sah er sich vorsichtig nach allen Seiten um, aus Angst jemand könnte ihn beobachten. Aber wer sollte das tun? Außer ihm wusste ja niemand, was sich in diesem Umschlag befand, und was kann dabei verdächtig sein, einen Brief auf dem Postamt einzuwerfen?

      „Jetzt nur ganz ruhig bleiben“, dachte er und steckte den Umschlag entschlossen in den Schlitz des Briefkastens.

      Letzte Leerung um achtzehn Uhr. Der Brief könnte spätestens übermorgen seinen Adressaten erreichen. Dann würde man weitersehen.

      ***

      Nardi fuhr auf den Parkplatz seiner Trattoria und betrat das Lokal durch den Hintereingang. Er hatte jetzt keine Lust auf Konversation mit seinen Gästen.

      Gerade noch sah er Gustavo im Lagerraum verschwinden und ging ihm nach. Gustavo Bossi war nicht nur Geschäftsführer der Trattoria mit absoluter Handlungsfreiheit, sondern auch Nardis engster Vertrauter. Er schloss die Türe hinter sich, denn was er mit Bossi zu besprechen hatte, war für niemandes Ohren bestimmt.

      Fünfzehn Minuten später war Nardi bereits wieder unterwegs. Er musste Lydia noch vom Ergebnis der Unterredung mit den Lieferanten in Triest berichten, die er durch die Vermittlung ihrer Brüder in Dubrovnik kennengelernt hatte. Daraus hatte sich eine bis dato erfolgreiche und mehr als einträgliche Geschäftsverbindung ergeben. In letzter Zeit hatte die Zuverlässigkeit etwas gelitten, deshalb musste er heute selbst mit seinen Partnern einmal Klartext reden. Mit Erfolg, wie er meinte.

      Wie von Zauberhand öffnete sich das Tor zur Garageneinfahrt, noch bevor Nardi mit seinem schwarzen Mercedes sein Haus erreicht hatte. Langsam und fast geräuschlos rollte die schwere Limousine in die Garage und ebenso geräuschlos schloss sich wieder das Tor.

      Nardi betrat durch eine Seitentür die große Wohnküche seines Hauses.

       „Ciao bella.“

      Seine Frau kam mit zwei gefüllten Gläsern auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

      „Ciao Marco. Einen Prosecco?“

      „Danke.“

      Nardi nahm das Glas und ging voraus ins Wohnzimmer, wo er sich auf einen Sessel warf und die Krawatte lockerte.

      „Wie ist es gelaufen?“, wollte sie wissen und setzte sich ihm gegenüber auf die Couch. Dabei zog sie die Beine an und sah ihm erwartungsvoll in die Augen.

      Nardi nahm einen Schluck.

      „ Diesmal noch gut.“

      „Du hast hoffentlich die Mädchen in Ruhe gelassen?“, fragte sie gespielt eifersüchtig und grinste ihn an.

      „Ich habe mir die Lokalität nicht ausgesucht. Ich hoffe nur, dass mich niemand gesehen hat der mich kennt.“

      „Ich habe Slaven auch schon gesagt, dass dies ein sehr ungünstiger Platz für das Büro ist. Er sieht sich nach etwas Neuem um. Wenn da eine Razzia stattfindet, ist er dran.“

      „Du musst mal mit deinem Vater reden. So geht das nicht weiter. Nochmal solche Schwierigkeiten und die Deutschen springen ab. Dann kann ich wieder die Buchhaltung in der Trattoria machen.“

      „Hatte ich auch vor, nur so schlimm wie du tust, ist es doch auch wieder nicht.“

      „Du kennst doch die Deutschen. Wenn da nicht alles planmäßig und pünktlich abläuft, drehen die durch.“

      „Das meinte ich auch nicht. Du hast doch noch drei weitere gutgehende Firmen. Du wirst also nicht als Buchhalter enden, mein Schatz. Aber wie wäre es jetzt mit Essen? Hast du Hunger?“

      „Wie ein Wolf. Was hast du denn gezaubert?“

      „Als primo gibt es prosciutto di Parma auf Melone, danach crostini confegato …“

      „… und zum Nachtisch?“, fiel er ihr ins Wort und nahm das Funkeln in ihren Augen wahr.

      „… und zum Nachtisch …“

      3

      Marco Nardi war wie immer schon wach, bevor der Wecker ihn aus dem Schlaf reißen konnte. Er küsste Lydia sachte auf die Stirn und stand auf um Caffè zu kochen.

      Nachdem er die Caffettiera gefüllt und auf den Herd gestellt hatte, ging er zum Briefkasten um die Post von gestern zu holen. Der Briefträger kam in dieser Gegend zu keiner bestimmten Zeit und so konnte es durchaus sein, dass die Post erst am Nachmittag eingeworfen wurde. Wenn er morgens das Haus verließ, war sie ohnehin noch nicht da und wenn er abends nach Hause kam, vergaß er häufig nachzusehen und Lydia vergaß es meistens sowieso.

      Neben einem guten Dutzend Geschäfts- und Werbebriefen fiel ihm ein mittelgroßer brauner Umschlag auf. Die Anschrift war mit Kugelschreiber in einer ungelenken Handschrift gekritzelt, der Absender fehlte ganz.

      Sein, durch seine Geschäfte geschärfter Instinkt sagte ihm, dass dies nichts Gutes verhieß. Er sah sich um, ob vielleicht irgendjemand ihn beobachtete, konnte aber niemanden ausmachen. In seinem Arbeitszimmer warf er die übrige Post auf seinen Schreibtisch und wollte gerade den ominösen Umschlag öffnen, als er einen üblen Geruch wahrnahm.

      „Verdammt, der Caffè.“

      Er rannte in die Küche. Dort blubberte die Caffettiera vor sich hin und ergoss einen Schwall brauner Brühe auf den Herd. Nardi drehte fluchend das Gas ab und wollte die Kanne vom Herd nehmen. Dabei verbrannte er sich die Finger und ließ sie auf die Arbeitsplatte fallen, wo sich dann der restliche Inhalt ausbreitete.

      „Scheiße, der Tag fängt ja gut an“, maulte er und fing an mit einem Küchentuch die Schweinerei zu beseitigen.

      Das Gemecker von Lydia konnte er jetzt nicht gebrauchen. Als alle Spuren seines Missgeschicks beseitigt waren, ging er wieder in sein Arbeitszimmer und nahm das Kuvert in die Hand. Vorsichtig tastete er es ab. Es war nichts Verdächtiges zu fühlen. Dann nahm er ein Klappmesser, das ihm als Brieföffner diente, vom Schreibtisch und schnitt vorsichtig eine Seite des Umschlags auf. Zum Vorschein kamen ein Blatt Papier und einige kleinformatige Fotos. Zuerst nahm er die Bilder zur Hand. Das erste zeigte ihn vor dem Haus in Triest, in dem er vorgestern seine Verabredung hatte. Schnell blätterte er die anderen Fotos durch. Alle zeigten annähernd das Gleiche. Einmal sah er direkt in die Kamera, einmal in die entgegengesetzte Richtung. Ein Bild zeigte ihn beim Anzünden einer Zigarette, auf einem anderen blickte er an der Fassade empor. Das letzte Bild zeigte ihn beim Betreten des Gebäudes.

      „Verdammter Mist!“, fluchte er. „Welches Arschloch war das?“

      Er faltete das Blatt Papier auseinander und wurde blass. Jemand versuchte ihn zu erpressen. Der Brief war mit aufgeklebten Buchstaben geschrieben, die man aus einer Zeitung ausgeschnitten hatte.

      „Da hat wohl einer zu viele Krimis gesehen“, murmelte Nardi, als er sich wieder einigermaßen gefangen hatte.

       Bringen Sie mir einhunderttausend Euro in kleinen Scheinen am Samstag um zweiundzwanzig Uhr zum Wasserwerk an der Straße zwischen San Donà und Duna Verde. Kommen Sie alleine. Keine Polizei. Rechts neben dem See ist ein Weg mit einer Betonrinne. Legen Sie das Geld in die Rinne und verschwinden dann. Wenn Sie nicht zahlen, erfahren Ihre Frau und die Presse, dass Sie im Puff waren. Ich meine es ernst.

      „Amateur“, brummte Nardi, „der weiß nicht mit wem er sich anlegt.“

      „Wer weiß nicht, mit wem er sich anlegt?“

      Nardi fuhr


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