Leiser Schrei. Slafa Kafi
als würde irgendeine schwere Last auf meiner Brust liegen, doch die Last fühlt sich jede Minute schwerer an.
Es dauert einige Minuten, bis alles wieder in der Tasche ist, weil jedes Teil woanders liegt und man sie erst suchen muss, aber ein paar meiner Mitschüler helfen Yail dabei.
Leider ist mein Spray das letzte Stück, das gefunden wird. Amira eilt damit zu mir. Ich zittere so sehr, dass ich es erst nicht schaffe, es richtig in der Hand zu halten.
Als ich es endlich und nach einigen Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen, geschafft habe, das Spray richtig in meiner immer noch zittrigen Hand zu halten, sehe ich, dass die Lehrerin mit meinen anderen Mitschülern im Klassenzimmer ankommt.
Sie müssen gerannt sein, denn alle sind komplett außer Puste. Ich bin gerade dabei, das Spray zu benutzen, als sie zu mir rennt und sich zu mir setzt.
Sie nimmt mir das Spray ganz langsam aus der Hand, nachdem ich einmal gedrückt habe.
„Bitte geht alle auf eure Plätze und seid ruhig“, sagt sie ganz ruhig, dann schaut sie wieder zu mir. „Yasmin, setz dich bitte ganz aufrecht hin. Du kannst atmen, denk daran.“
Ich folge natürlich ihren Anweisungen.
„Du kannst atmen, du brauchst das Spray nicht. Bald kommt der Kranken-wagen, aber dir geht’s gut. Auch deine Eltern kommen bald.“
Nein, ich kann nicht atmen und mir geht’s auch nicht gut. Sie versucht es weiterhin und wiederholt ihre Worte nochmals.
Es dauert zwar ein bisschen, aber ich beruhige mich tatsächlich ein wenig. Natürlich kann ich immer noch nicht normal atmen, aber ich merke, dass die Last auf meiner Brust leichter wird.
Sie versucht es weiter mit mir, aber mehr erreichen wir nicht, ich bleibe auf diesem Stand.
Es dauert nicht so lang, bis der Krankenwagen ankommt und zur selben Zeit kommt auch meine Mama ins Klassenzimmer. Sie kommt mit Tränen in den Augen zu mir gelaufen, aber die Sanitäter halten sie zurück, damit sie mich behandeln können.
Die Behandlung ist schnell verlaufen und danach fahren wir auch nach Hause. Den restlichen Tag verbringe ich ruhig im Bett.
Ich mache nicht mehr viel, bekomme nur zweimal Besuch. Beim ersten Mal ist es Yail, der aber nur kurz bei mir bleibt.
In der Zeit, in der er da ist, erzählt er mir noch, was alles passiert ist, als ich dann weg war.
„Alle waren unglücklich, dass es dir nicht so gut ging und haben mit dir mitgefühlt“, erzählt er.
Das ist wirklich schön zu hören. Irgendwo freue ich mich, dass sie jetzt über meine Krankheit Bescheid wissen. Meine beiden Geheimnisse sind jetzt draußen und ich fühle mich viel freier.
Beim zweiten Mal sind es zwei meiner Freundinnen, die mich sozusagen im Namen meiner Mitschüler besuchen, um zu sehen, wie es mir geht. Auch sie bleiben nicht so lang, damit ich mich gut ausruhen kann.
Es ist, glaube ich, sehr früh, als ich dann einschlafe, denn ich bekomme auch nicht mit, dass mein Vater wieder zu Hause ist.
1106.11.2010
Die letzten Tage gab es nicht wirklich etwas Besonderes. Wir haben in der Schule unsere Proben geschrieben, unsere bereits geschriebenen wieder zurückbekommen und haben oft draußen gespielt.
Dafür machen wir heute etwas sehr schönes, worauf ich mich die ganze Woche schon gefreut habe. Wir werden nämlich ein großes Treffen mit all unseren Freunden veranstalten und gehen gemeinsam grillen.
Ich weiß nicht, wie spät es war, als meine Mutter mich heute geweckt hat, aber jetzt ist es jedenfalls viertel nach zehn und ich bin schon umgezogen.
Bei so einem Ausflug muss man schon ziemlich früh los, um noch einen guten Platz zu bekommen, deshalb fahren wir auch wenig später zum Ziel.
Da meine Mutter, schon bevor sie mich geweckt hat, alles vorbereitet hatte, müssen wir nur noch die Sachen zu den Autos bringen.
Die Fahrt dauert normalerweise nur zehn Minuten, da heute aber Samstag und das Wetter sehr schön ist, dauert die Fahrt länger.
Als wir ankommen, sind einige von unserer Gruppe bereits da. Mit unserer Gruppe meine ich die Leute, die zum Treffen eingeladen sind.
Unser heutiges Treffen findet in Al Rabuey statt. Das ist eine Gegend in Damaskus am Fluss Barada. Wir haben uns eine Stelle ausgesucht, an der wir Grillen können.
Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich schon einmal hier war. Meistens gehen wir bei solchen Treffen in ein Restaurant und für das Grillen haben wir uns auch bisher immer andere Orte ausgesucht, aber dieser hier ist der schönste Grillort, an dem ich je war.
Es gibt überall Stühle, Tische und Sonnenschirme, die aber zugeklappt sind, da die Sonne nicht so stark wie im Sommer ist. Alle Tische befinden sich direkt am Ufer und es gibt hinter jedem großen Tisch einen Grill. Ich liebe diesen Ort jetzt schon.
Hinten gibt es noch einen kleinen Spielplatz, den wir natürlich so schnell wie möglich erkunden wollen.
Nachdem alle angekommen sind, geht jeder in seine Gruppe: wir Kinder gehen zum Spielplatz, manche kümmern sich um den Grill, andere machen die Salate oder stecken das Fleisch auf die Spieße.
Wir teilen die Zutaten immer auf, damit nicht einer alles kaufen muss. Dadurch versuchen wir auch zu vermeiden, dass Sachen vergessen werden. Leider vergessen wir trotzdem jedes Mal irgendetwas. Diesmal sind es die Zitronen für den Salat, die fehlen und nach denen ich fragen soll. Es sind zum Glück sehr viele Leute da, die ich fragen kann.
Ich beginne direkt mit dem Tisch hinter uns, an dem auch eine große Gruppe sitzt. Meine Suche dauert zum Glück nicht lang und ich werde schon an diesem Tisch fündig: sie haben ungefähr ein Kilo Zitronen dabei – keine Ahnung, wofür sie so viele Zitronen brauchen, aber ich finde es super, dass ich nicht noch weiter suchen muss.
Wir sitzen alle beim Essen. Nach mehreren Stunden spielen, sind wir alle voll hungrig und können es kaum abwarten, anzufangen. Es gibt viele Auswahlmöglichkeiten, unter anderem Kebab und Schikkaf.
Eigentlich glaube ich, dass klar ist, um was es sich handelt, aber ich erkläre es trotzdem mal kurz.
Kebab ist Hackfleisch am Spieß und Schikkaf sind kleine Hähnchen-Teilchen auch am Spieß – natürlich ist beides bereits am Tag davor gewürzt worden. „Yasmin, du hast dir noch nichts genommen und Yail, dein Teller ist auch noch leer“, sagt Tante Maria, die übrigens Yails Mutter ist, falls ich ihren Namen noch nie erwähnt haben sollte.
Der Grund, warum Yail und ich uns noch nichts genommen haben, ist, dass wir beide uns gegenüber am Ende des Tisches sitzen, direkt am Ufer, und deshalb kommen wir nicht so gut an das Essen heran. Aber jetzt haben auch wir beide essen bekommen und genießen die Aussicht.
„Schau mal das Boot an“, ruft Yail mit vollem Mund.
Ich drehe mich um. Es ist ein Rundfahrt-Boot, keine Ahnung, ob das Wort existiert. Das kleine Boot ist bunt und auch die Sitze sind in verschiedenen Farben. Am Ende des Boots befindet sich eine große syrische Flagge, die viel zu groß ist für die Größe vom Boot.
„Ich würd auch gerne in so einem Boot sein“, sage ich ein bisschen neidisch. Das Coole daran ist, dass das Boot niedrig ist, was bedeutet, dass man das Wasser berühren kann.
„Es sind Touristen, schau sie mal genau an, sie sehen nicht syrisch aus“, sagt Samira, die neben Yail sitzt.
Das stimmt. Bei genauem Hinschauen merkt man tatsächlich, dass es keine Syrer sind. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wie man das merkt, aber es ist offensichtlich.
„Und schaut mal, sie haben Kopfhörer im Ohr“, stelle ich fest.
Sie sehen glücklich aus und dann fangen sie an, uns zu winken. Manche fotografieren auch die Gegend.
„Yasmin, willst du noch ein bisschen Salat?“, fragt mich mein Vater.
Ich nicke und gebe meinen