Komfortzone. Robin Becker

Komfortzone - Robin Becker


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Sie waren für ihn Zurückgebliebene. Er konnte nicht verstehen, warum ich mich gelegentlich noch mit ihnen abgab. Ich mochte sie halt, man konnte wunderbar mit ihnen Doppelkopf spielen, im Park abhängen, Schach spielen, kicken und so Sachen. Sie hatten praktisch immer Zeit. Nur ab und an nicht, wenn sie richtig gut drauf waren, dann kobolten sie mit ihren Instrumenten durch die Straßen und machten avantgardistischen Krach. Dass die Jungs immerzu kifften, gelegentlich LSD nahmen und der Arbeit wenig abgewinnen konnten, verurteilte ich im Gegensatz zu vielen anderen nicht. Schließlich konnte nicht jeder Karriere machen, so wie Alex. Sie waren Außenseiter, die immerhin zusammenhielten, eine eigene Familie darstellten und alles miteinander teilten. Sie erwarteten nur wenig vom Leben. Das ist ja auch eine Leistung.

      ***

      „Helle“, hörte ich Alex sagen.

      Ich öffnete die Augen. Der Nebel war weg, der Asphalt floss unter dem Fahrzeug dahin. Ich fasste mir an die Stirn, hinter der es unangenehm zog.

      „Ich bin müde“, gähnte er. „Brauche ’nen Kaffee.“

      Ich reichte ihm die Cola. Die wollte er aber nicht, weil da keine Kohlensäure mehr drin war. Er bat mich, mit seinem Smartphone nachzuschauen, wann die nächste Raststätte käme. Ich versuchte es, doch das Gerät war mir zu blöd oder ich war es, jedenfalls kam ich mit dem Touchscreen nicht zurecht.

      „Dann halt mal das Lenkrad.“

      Ich beugte mich zu ihm herüber, steuerte den Wagen, was ich nicht so einfach fand.

      „Und, was sagt dein schlaues Gerät?“

      „Dreiundvierzig Kilometer. Kacke.“

      „Dann übernimm wieder.“

      „Ich muss gerade noch meine E-Mails checken.“

      Ich ließ das Lenkrad einfach los.

      „Spinnst du?“ Er griff sich das Steuer, wobei sein Smartphone in den Fußraum fiel.

      „Schau auf die Straße, Mann!“ Ich bückte mich und hob das Smartphone auf.

      „Und?“

      „Kannst du jetzt wegschmeißen.“

      „Was? Zeig mal.“

      Ich schmunzelte, wovon das Ziehen hinter der linken Stirnhälfte stärker wurde.

      „Ich brauche das beruflich.“

      Ich gab ihm sein Smartphone. Er war erleichtert zu sehen, dass es noch heile war und legte es ins Türfach.

      „Ich lüfte mal kurz.“ Ich fuhr mein Fenster herunter, der Fahrtwind wirbelte die Papiere der Autovermietung durcheinander, die auf dem Armaturenbrett gelegen hatten, ich griff sie mir und knüllte sie ins Handschuhfach.

      „Das reicht“, sagte Alex. „Mir ist kalt.“

      Ich fuhr das Fenster wieder hoch. Meine Kopfschmerzen blieben unverändert stark. Ich überlegte, Alex zu bitten, an der nächsten Ortschaft abzufahren, damit ich mir Schmerztabletten kaufen und er einen Kaffee trinken konnte, als plötzlich Rauch aus der Motorhaube stieg.

      „Was ist das denn jetzt?“, sagte Alex.

      „Scheiße, das qualmt.“

      „Das sehe ich auch, Helle.“

      Er hielt auf dem Seitenstreifen und schaltete die Warnblinkanlage an.

      „Wo ist denn das Warndreieck?“, sagte ich.

      Er fand es hinter seinem Sitz und reichte es mir. Nachdem ich das Warndreieck aufstellen gegangen war, warteten wir, bis es aufgehört hatte zu rauchen und sahen uns den Motor an, der heiß war und knackte. Aus dem Ölstand wurden wir nicht so recht schlau. Jedenfalls war Öl im Motor, wahrscheinlich eher zu viel. Aber an Kühlflüssigkeit mangelte es. Da wir kein Wasser dabei hatten, entschied Alex, den Rest Cola in den Kühler zu schütten, immerhin bestimmt über einen halben Liter. Bis zur nächsten Raststätte sollte es wohl reichen, meinte er. Alex kannte sich zwar wenig mit Autos aus, aber immerhin besser als ich. Wir fuhren weiter, behielten die Temperaturanzeige und die Motorhaube im Auge. Und bald schon hing jeder wieder seinen Gedanken nach. Es dauerte nicht lange, da fing der Motor erneut an zu rauchen, diesmal noch heftiger als vorhin, wir sahen kaum noch die Straße. Andere Fahrzeuge fuhren hupend an uns vorbei.

      „Fahr rechts ran.“

      Alex hielt erneut auf dem Seitenstreifen.

      „Siehste, das mit der Schweiz ist doch Mist“, sagte er.

      „Cola in einen Motor zu schütten, das ist Mist.“

      „Daran hat es bestimmt nicht gelegen.“

      „Ruf die Autovermietung an.“

      „Wo ist das Warndreieck überhaupt?“

      „Ach shit, das haben wir vorhin stehen gelassen.“

      Alex rief bei der Autovermietung an, die meinte, er solle beim ADAC anrufen, was er dann auch tat. Ich stieg aus, lehnte mich an den Wagen und atmete in die flauschigen Wolken hinein, die fratzenhaft vorüberzogen.

      Alex kam aus dem Wagen.

      „Die sind in ungefähr einer Stunde da. Der Typ meinte, das Ganze klingt nach einem Kolbenfresser. Also Motorschaden.“

      Trotz der Sonne war es immer noch recht kühl. Ich zog meinen Parka und Alex seine Fliegerjacke an. Wir gingen in ein Nadelwäldchen, die Autobahnbrandung im Ohr, als wäre das Meer in der Nähe. Laut Alex’ Smartphone war unweit ein See. Meine Kopfschmerzen waren weg.

      „Ich werde mich bei Hanni melden“, sagte er, nachdem er zum Pinkeln hinter einem Baum verschwunden war. „Ihr Sekretär hat mir vor ein paar Tagen geschrieben, dass es ihr nicht gut geht.“

      Als Kind war ich oft bei Alex zu Besuch, hatte das große Haus und den Garten gemocht, der nach dem Unfalltod von Alex’ Vater immer mehr verwildert war. In meiner Erinnerung sah ich nun durch einen Türspalt Hanni am Schreibtisch sitzen und hörte die Anschläge auf der Schreibmaschine.

      „Was hat sie denn?“

      „Herz-Kreislauf und Thrombose.“

      „Das tut mir leid für Hanni. Grüß sie auf jeden Fall von mir.“

      Wir gingen weiter.

      „Weit kann der See nicht mehr sein, aber wir gehen lieber zurück“, sagte Alex.

      Von weitem sahen wir, nachdem wir das Nadelwäldchen wieder verlassen hatten, ein Polizeiauto und wie zwei Männer in gelben Westen damit beschäftigt waren, den Sprinter mit einem Kranwagen auf die Ladefläche zu hieven. Eine Polizistin und ein Polizist stiegen aus dem Streifenwagen. Als wir bei ihnen waren, meckerten sie mit uns, weil wir das Fahrzeug verlassen und kein Warndreieck aufgestellt hatten. Alex fragte, ob sie uns ein Stück mitnehmen könnten. Ich nahm meinen Rucksack aus dem Führerhaus und besprach mich mit dem Fahrer des Abschleppwagens. Er gab mir eine Visitenkarte des ADAC und schrieb mir die Telefonnummer vom Schrottplatz auf, wo der Wagen vorerst hingebracht würde.

      „Wieso Schrottplatz?“, fragte ich.

      „Die haben auch eine Werkstatt dort.“

      Alex rief von unterwegs erneut die Autovermietung an und erklärte einer jungen Frau gereizt, was vorgefallen war und sagte, er brauche einen neuen Sprinter, doch die hatten im Moment kein vergleichbares Fahrzeug. Er drohte, ein Umzugsunternehmen auf ihre Kosten zu beauftragen.

      „Davon würde ich Ihnen abraten“, hörte ich die Frau sagen. „Sie können sich bei einer anderen Autovermietung einen vergleichbaren Sprinter mieten. Diese Kosten übernimmt dann höchstwahrscheinlich die Autoversicherung, aber nicht von einem Umzugsunternehmen.“

      „Das werden wir ja dann sehen.“

      Die Polizisten setzten uns in Worms am Bahnhof ab. Alex versicherte mir, während er am Fahrscheinautomaten zwei Fahrscheine kaufte, dass er sich darum kümmern wird, dass meine Sachen spätestens in drei, vier Tagen bei mir in Bern seien.


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