Komfortzone. Robin Becker

Komfortzone - Robin Becker


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werde es noch verdienen.“

      Im Kaufhaus nebenan kaufte ich dann noch eine Bettdecke, Bettzeug, Handtücher und Unterwäsche.

      ***

      Ich rief meine Mutter an und erzählte ihr von dem Motorschaden und den ersten Eindrücken von Bern.

      „He-ll-le“, hörte ich im Hintergrund meinen Vater undeutlich sagen. Ich schloss kurz die Augen, sah meinen blinden Vater, wie er im Rollstuhl saß und der Sprechanlage lauschte, erinnerte mich daran, wie wir vor einer Ewigkeit zusammen mit dem Auto nach Amsterdam gefahren waren.

      Bei frühlingshaftem Sonnenschein hatte ich ihn an Kanälen entlanggeschoben, hatte die Boote, die da schipperten und ruhten, zunächst als romantisch, touristisch, praktisch – später als stolz, geduckt, häuslich, stur, traurig, lustig, verliebt beschrieben. Die Brücken hingegen sahen meistens wie farblose Regenbögen aus, so weit war ich irgendwann vor Erschöpfung. Es war schön, ihm konnte ich praktisch jeden spontanen Einfall ungefiltert unterbreiten. Er verurteilte mich nie für mein Geschwätz, fand mich gar witzig, egal was ich für einen Unsinn von mir gab.

      Am frühen Abend schob ich meinen Vater durch eine düstere Kirche. Wir schmatzten englische Weingummis, und ich flüsterte, dass Gott ein Arschloch sei, weil er seinen Sohn geopfert hat. So etwas würdest du nie machen, habe ich recht?

      Ein Priester schwebte heran und bat uns, hier drinnen nicht zu essen und leiser zu sein. Ich wurde dann tatsächlich immer stiller, als wir nicht weit von der Kirche an Schaufenstern vorbeikamen, hinter denen sich halbnackte Damen räkelten. Mein Vater musste dringend auf Toilette. Ich wusste, länger als vier Minuten würde er den Stuhlgang nicht zurückhalten können. Also schob ich ihn in die erstbeste Bar, einen Coffeeshop, total verraucht. Die Leute darin waren nicht gerade erfreut uns zu sehen. Als ich meinen Pa endlich vom Rollstuhl auf die winzige Toilette verfrachtet hatte, war bereits alles zu spät. Ich zwängte mich zwischen seine Beine, zog ihm die Hose und die vollgeschissene Windel aus, während er sich den Bart kraulte. Jemand klopfte an die Tür. Ich putzte meinem Vater gerade den Hintern ab, brauchte Unmengen Papier, versuchte Ruhe zu bewahren, wühlte aus meinem Rucksack eine neue Windel hervor, zog sie ihm an. Wieder dieses Klopfen, diesmal lauter.

      „Just a moment, please!“, rief ich.

      Je mehr ich mich beeilte und an ihm herumzerrte, desto brummeliger lachte mein Vater.

      „Hilf mal mit“, sagte ich.

      Er legte mir seine Arme auf die Schulter und zog sich einen hochroten Kopf bekommend in die Senkrechte.

      „Ja, so ist gut.“

      Jemand hämmerte jetzt regelrecht gegen die Tür, sagte etwas, das ich nicht verstand. Ich brauchte nur noch diese verdammte Hose zuzuknöpfen, dann war es geschafft.

      „Bauch einziehen oder meinen Fußball ausspucken“, sagte ich.

      Er lachte wieder, hatte seinen Spaß, na immerhin. Ich betätigte die Spülung. Die Toilettenschüssel lief voll Wasser, Papier und Scheiße wirbelten durcheinander, ohne abzufließen. Bauch an Bauch stand ich mit meinem Vater, stocherte mit der Klobürste in der widerlichen Kloschüssel herum und fluchte, während mein Vater mir versuchte zu erklären, dass die Toilette bestimmt verstopft sei. Ich betätigte noch einmal die Spülung, das war allerdings eine dumme Idee, denn die Kloschüssel lief über.

      „O Scheiße, Mann!“, rief ich, öffnete die Toilettentür, schob meinen Vater aus der Pfütze vor die Tür, wo ein tätowierter Skinhead-Typ entsetzt an uns vorbei in seine geflutete Toilette schaute. Ich entschuldigte mich für die Sauerei, die wir verursacht hatten, bat um einen Aufnehmer, doch der Typ sagte aggressiv, wir sollten verschwinden, aber ganz schnell.

      Vom vielen Rollstuhlschieben und Erzählen was in der Welt der Amsterdamer vor sich ging, wurde ich hungrig und begab mich mit meinem Vater in die nächste Bar. Wie sich herausstellte, war es wieder ein Coffeeshop. Eigentlich wollten wir nur etwas essen, aber außer Erdnüssen gab es nichts. Also bestellte ich Super Skunk, Erdnüsse und Kaffee. Mein Vater wollte auch mal ziehen. Da er wegen seiner Krankheit nach zwei, drei Minuten immer vergaß, was wir gerade erlebt hatten, erzählte ich ihm mehrmals von unserem Drama auf der Toilette, worüber wir uns jedes mal vor Lachen bepissten, mein Vater im wahrsten Sinne.

      Draußen lag inzwischen alles in einem gelblichen Schummerlicht, dazu die lebendigen Schaufensterpuppen. Ich wusste nicht mehr, wo ich den Wagen geparkt hatte, alles sah gleich aus, es war zum Verzweifeln, selbst mein Vater blickte den Ernst der Lage. Dabei hatte ich mir extra den Namen der Straße gemerkt, irgendetwas mit Uver.

      Es dauerte nicht lange, da hatte mich eine von den Damen in den Schaufenstern davon überzeugt, dass ich mit ihr eine Nummer schieben sollte. Meinem Vater sagte ich nichts. Ich ließ ihn hinter einem Vorhang zurück, damit ich ihn nicht sehen konnte und zog mich für die hübsche Brasilianerin aus. Nach nicht mal zehn Minuten war ich gekommen und der Spaß vorbei. Das Geld war zum Fenster raus, und ich hatte ein schlechtes Gewissen.

      „Hallo mein Lieber!“, rief ich ins Handy. „Wie geht’s dir?“

      Stille. Dann ein leises: „Gu-ut.“

      „Bei uns ist alles beim Alten, mein lieber Sohn“, sagte meine Mutter. „Unser letztes Gespräch über Michael ist mir sehr nahe gegangen. “

      „Ich weiß, tut mir leid“, sagte ich zärtlich.

      „Ich vermisse ihn sehr.“

      „Ich ja auch.“

      Es läutete.

      „Ich muss Schluss machen. Mir werden jetzt ein paar Möbel und so geliefert.“

      ***

      Ich ging an die Aare runter. Etwas oberhalb einer jungen Frau, die auf einem Steinblock hockte, blieb ich stehen und beobachtete sie. Sie piddelte an ihren Zehen herum, blickte gedankenverloren von der Mappe zu ihren Füßen auf das vorbeistrudelnde Wasser, während ihre Lippen stumme Sätze formten.

      „Dürfte ich kurz mal stören?“, sagte ich.

      Sie sah mich geistesabwesend an. „Mich?“

      Ich blickte mich um, als suche ich die vielen anderen, die ich gemeint haben könnte. „Kennst du dich hier aus, ich suche den Tierpark?“, fragte ich sie, obwohl ich wusste, wo der war.

      „Nö, weiß ich nicht. Entschuldige bitte, ich habe gleich ein Vorsprechen bei der Schauspielschule.“ Sie schaute in Richtung eines alten Fabrikgebäudes, das hinter einer Reihe kahler Pappeln zu sehen war.

      „Oooh lala.“

      „Da hinter der Dampfzentrale ist jedenfalls das Marzilifreibad. Das ist umsonst.“ Sie zeigte flussabwärts auf ein geöffnetes Tor im Zaun. „Wobei im Moment kein Wasser in den Becken ist – zu kalt.“

      „Für Anfang April geht es.“

      Sie schaute wieder auf ihren Text, als wäre ihr etwas Wichtiges eingefallen. Ich stieg über die Felsbrocken an die Wasserkante und hielt meine Hand in die Strömung.

      „Zehn Grad“, sagte sie ohne aufzublicken.

      „Eher weniger, würde ich sagen.“

      „Steht im Freibad auf ’nem Thermometer.“

      Ich blickte dem Verlauf des Flusses nach, sah hinter dem Freibad auf einer Anhöhe das Bundeshaus, das dickbäuchig übers Land schaute. An der Stirn trug es ein Band mit lauter Wappen von Kantonen drauf.

      „Der Bärengraben ist jedenfalls unterhalb von der Altstadt“, sagte sie. „Doch da willst du bestimmt nicht hin.“

      „Wieso nicht?“

      „Viele Touristen dort. Und ein Bär in einem Loch, der mit Möhrenstücken beworfen wird.“

      „Ach du Scheiße, da treiben ja Menschen im Wasser.“

      Sie blickte auch hin. „Schweizer halt.“

      „Sehr alte Schweizer sogar … Zehn Grad, sagst du?“ Ich winkte den beiden, die


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