das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer
Junge auch noch die Lehre geschmissen, der Dummkopf.
18 ist er jetzt, ohne fertige Lehre, ohne Job, einfach so. Kindergeld gab’s da nicht mehr. Sie wagte gar nicht, eine Beihilfe zu beantragen. Denn dann würde gesagt werden, dass er doch arbeiten könnte, sich bewerben müsste, und genau das würde er ganz sicher nicht tun. Da kannte sie ihn genau.
Irgendwie hat er immer Geld. Woher es kam, wollte sie lieber gar nicht wissen. Sollte sie interessieren, interessierte sie aber nicht wirklich. Sie war froh, dass er sie nicht um welches bat.
Immer nur sein Radfahren, seine Idee, Rennfahrer zu werden. Dafür trainierte er nun den halben Tag. Und was macht er sonst ? Sie wusste es nicht.
Neulich kam er nach Hause und nahm sie in die Arme. Das hatte er lange nicht getan. Sie merkte, dass er aufgeregt war. Er küsste sie sogar auf den Mund. Fuhr mit den Händen ihren Körper entlang, immer wieder. Das überraschte sie. Klar, früher als Kind hatte sie ihn berührt, wenn sie ihn gebadet hatte. Auch später noch ab und zu. Tat beiden gut, dachte sie. Aber diese Zeiten waren vorbei. Er drückte sie fest an sich. Doch sie schob ihn vorsichtig zurück, ganz sanft. Da stieß er sie von sich und ging in sein Zimmer. Sie ließ ihn in Ruhe.
Ihre Schicht, mal morgens, mal abends, je nachdem wie sie eingeteilt wurde. Inzwischen war sie eine der wenigen, die lange in der Firma arbeiteten und führte eine Gruppe, meistens Ausländerinnen. Das gab ein bisschen mehr Geld. Ansonsten stand sie sich ganz gut mit dem Chef. Um noch mehr zu erreichen, müsste sie so richtig nett zu ihm sein ( wie er sich ausdrückte ). Und genau das wollte sie nicht. Dazu war er zu eklig fett.
Klar, sie lernte schon Männer kennen. Aber sympathisch mussten sie sein, mollig konnten sie sein, so empfindlich war sie nun auch wieder nicht, aber nicht solche Fettsäcke wie der Chef. Sie wüsste gar nicht, wie sie mit dem im Bett klarkommen sollte. Unter ihm würde sie wahrscheinlich ersticken und über ihm ? Tja …
Neulich hat sie einen wirklich netten Mann kennengelernt. Er war nur auf ein Bier in die Kneipe gekommen, in die sie ab und zu auf einen Absacker ging, wenn sie ihre Arbeit beendet hatte. War schließlich anstrengend, ihr Job. Er blieb neben ihr an der Theke stehen. Sie saß auf einem Hocker und trank ihr zweites Bier – mit ’nem Kleinen dazu. Sie kamen ins Gespräch.
Meine Güte, man wechselte eben mit allen einige Worte. Ging locker zu.
Es stellte sich heraus, dass er Schreiner war und nur eine Zeitlang in Berlin arbeitete, bei einer Spezialfirma für Büromöbel. Die machten nur Möbel auf Bestellung, nach Maß. Und er war der Fachmann. Dann erzählte er ihr, dass er sich selbständig machen wolle … Nicht in Berlin, da wäre es zu teuer, Räume anzumieten. Die Werkzeuge und Maschinen hätte er, sagte er, so nach und nach gekauft, gebraucht und neu. Nein, in den Harz wollte er. Da käme er her, da könnte er auch Gehilfen finden, die er nicht so teuer bezahlen müsste. Für den Anfang. Später würde man dann ja sehen. Sagte er.
Sie hatte noch nie einen Mann getroffen, der so klare Vorstellungen hatte, der so genau wusste, was er machen und wie er das durchziehen wollte. Und er war der Typ, der das auch durchziehen konnte.
Hanno hieß er.
13 – die Oma
Nu habe ick mir doch mal uffjerafft und meene Tochter besucht. Is ja immer een langer Weg für mich – wo ick doch so schlecht zu Fuß bin … Aber ’ne Taxe kann ick mir nich’ leisten. Würde sich och nich’ lohnen.
Det se zu mir kommen täte, dat findet ja och nich’ statt. Da kann ick lange druff warten. Is immer beschäftigt, sagt se. Wer weeß womit. Dat se mir ab und zu mal anruft, is dat höchste der Jefühle.
Und jetzt muss ick doch hören, dat der Benjamin schon ’ne janze Weile nich’ mehr uff seine Lehrlingsstelle jeht. Und da hatte er doch wat. Und wurde ja nich’ mal schlecht bezahlt. Die Lehrlinge bekommen doch heutzutage richtig ville Jeld. Det hatten wir früher och nich’. Ick schon ja nich’ als Verkäuferin bei Hefter.
Er wollte nich’ mehr, wie se sagte. Und: Se konnte ihn nich’ dran hindern, hättse ja selba nich’ jewusst, sondern eher zufällig mitjekriegt.
Also darauf mussten wa erst mal eenen nehmen.
Se hat ja immer nur den einfachen Korn in’t Haus, trinkt ja nischt anderes. Ick koofe mir wenigstens Cognac. Den Juten. Aba ick trinke nur abends, wenn die Tagesschau anfängt een Glas. Täglich. Dat erhält jung und is’ jut für’n Kreislauf. Valentina trinkt mehr. Da kann se sich wohl nur den billigen Korn leisten. Viel verdient se ja wohl och nich’ auf ihren Putzjob. Aba ick kann ihr och nischt jeben, meine Rente is’ kleen. Reicht jerade ma für mich.
Und denn kommt der Bengel nach Hause, und ick sare, wat ihm denn einfiele, seine Lehre zu schmeißen ? Da sagt der doch glatt, dass mich dat nüscht anjinge, dass er erwachsen wäre, dass er machen könne, wat er wolle. Und dabei sah er mir herausfordernd an. So richtig frech ! Also, ick hätte ihm am liebsten eene jescheuert, wenn ick denn vom Sofa hätte uffstehen können. Konnte ick aber nich’. Von diesem durchjesessenen Ding kommt ja keener hoch, und ick schon jar nich’ mit meine schlechten Knie.
»Reg dich nicht auf, Mutter«, sachte meine Tochter.
Und denn goss se uns noch eenen ein.
Jedenfalls ist’s ’ne Schande. Und det habe ick och jesagt.
»Du wirst wie dein Vadder«, habe ick jesagt.
»Ach, lass mich doch in Ruhe mit deinem Gewäsch«, hat er geantwortet, is’ in sein Zimmer jegangen und hat die Tür zugeknallt.
Ick sag’s ja immer wieder ’wie sein Vadder’ – große Klappe und nüscht dahinter !
Na, und denn ham wa noch ’n Kleenen jenommen.
Und dann hat mir meene Tochter jesagt, dat se noch ’ne Neuigkeit hätte, ’ne jute. Se hätte ’nen Mann kennenjelernt, was Besseres. Und det wär der Richtige.
Naja, det hat se früher och schon mal jesagt. Ick war nich’ überzeugt.
Der is’ Tischler und will sich selbstständig machen. Aba nich’ in Berlin. Und nu will se mit ihm nach ’m Harz ziehen …
Da bin ick ja mal jespannt, wat dat jibt !
14 – Benjamin ( 18 / 19 Jahre )
Inzwischen hatte er einen Großteil der Stadt per Fahrrad erforscht. Der Führerschein interessierte ihn überhaupt nicht, obwohl er ihn sich hätte leisten können. Fahrrad fahren war eben etwas anderes. Zum Rennfahrer war er vielleicht nicht geboren, dafür hätte er intensiver und vor allen Dingen mit der Gruppe trainieren müssen. Hatte dazu aber nicht die rechte Lust. Denn er hätte sich ständig unterordnen müssen, so fahren wie der Trainer es vorschreibt, dem besseren Fahrer Windschutz bieten und so weiter … Nicht sein Ding !
Fahren, ja ! Den Fahrtwind spüren ! Den Regen ! Das Gefühl der Freiheit !
Mit dem Auto war man ja geradezu eingeschränkt. Mit dem Rad dagegen konnte man auch durch schmale Gassen, durch Hinterhöfe und über Waldwege fahren, quer durch die Fußgängerzonen, sogar Treppen hinauf und hinunter. Ging ganz leicht. Man musste natürlich Kraft haben, und die hatte er.
Mittlerweile hatte sich seine Mutter entschlossen, mit diesem Typen in den Harz zu ziehen. Und er stand auf der Straße. Sozusagen.
»Du kommst doch ohnehin gut allein zurecht«, hatte sie gesagt, »du verdienst auch dein eigenes Geld. Ich weiß zwar nicht womit und will es auch gar nicht wissen. Aber: Du kommst allein zurecht, das weiß ich.«
Er stand erst einmal sprachlos da, als sie ihm ihren Umzug eröffnete. Ihr schien es fast ein wenig peinlich zu sein. Denn während sie sprach, hatte sie eine Zigarette im Mund und sortierte ihre Klamotten. Sie öffnete Schubladen und schloss sie wieder, nahm Kleider, Röcke, Blusen aus dem Schrank und ordnete sie nervös zu verschiedenen Haufen.
»So«, sagte sie, wandte sich ihm zu und legte die Hände auf seine Schultern. Inzwischen war er ein ganzes Stück größer als sie.
»Aber«, fuhr sie dann fort, »ich habe mit meinem Bruder gesprochen.