das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer

das Fahrrad der ewigen Stille - hedda fischer


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Radrennfahrer zu werden. Den hat er ihr entgegengeschleudert.

      »Was weißt du denn schon ?«, hat er gesagt.

      Dabei hat sie sich doch schließlich für ihn geplagt, oder ?

      »Ach was, für mich ?«, hatte er geantwortet. »Doch nicht für mich, ich war dir doch total egal.«

       Egal ? Gar nicht egal.

      Sie hatte ihn schließlich allein großgezogen, nachdem sein Vater verschwunden war. Da war Benjamin vielleicht vier Jahre alt gewesen. Weiß sie gar nicht mehr genau. Sie hatte den Mann danach kaum einmal gesehen. Geld hatte er auch nicht gezahlt. War immer auf Achse, angeblich wegen guter Geschäfte. Ab und zu tauchte er auf, war immer charmant …

      Schließlich faule Geschäfte und Gefängnis. Sie sollte ihn dort besuchen, tat das aber nur ein einziges Mal. Zu deprimierend diese Umgebung. Und dann noch seine großem Worte ! Alles Lügen. Nee, da kam sie allein besser zurecht.

       Also, ich brauch’ jetzt mal ’nen Schluck.

      Männer hatte sie immer wieder kennen gelernt. Bloß nicht den Richtigen. Nichts dauerhaftes. Sie sah ja immer noch gut aus, mit ihren achtunddreißig. Ein ganz klein wenig mollig und blond. Das mögen die Männer. Der Junge war ihnen egal.

      11 – Benjamin ( 18 Jahre )

      Das letzte Jahr hatte er gut hingekriegt. Ohne die Lehre war er eben ein freier Mann und konnte tun und lassen, was er wollte. Am Vormittag trainieren, am Nachmittag arbeiten oder umgekehrt. Seine Mutter kümmerte sich nach dem ersten großen Streit nicht mehr darum. Vielleicht war sie sogar erleichtert, sich nicht mehr kümmern zu müssen. Aber ein paar Fragen hätte sie ruhig mal stellen können, wie’s ihm so ginge und so … Tat sie aber nicht. War zu sehr mit dem neuen Mann beschäftigt – neben ihrem Putzjob. Sie fragte nicht nach Geld. Er fragte auch nicht. Das mit dem Sparbuch hatte ja sowieso nicht geklappt. Gut, dass er ihr damals von seinem Lehrlingsgehalt nur die Hälfte gegeben hatte, sonst wäre alles weg gewesen. Momentan verdiente er genug für seine Bedürfnisse, gab aber zu Hause nichts ab.

      Wie’s ihr so ging, hatte er allerdings auch nie gefragt. Wozu auch. Hatte es ja gesehen, beziehungsweise gespürt. Ein neuer Kreislauf ! Klare Kante eben !

      Noah sah er kaum noch. Der ging natürlich noch zur Schule und wieder Fußballspielen. Er klingelte ab und zu bei ihm, dann verabredeten sie sich für einen Kinobesuch oder um eine Bratwurst essen. Aber enger wurde die Freundschaft nicht, wenn es denn überhaupt eine war.

      Zu unterschiedliche Interessen, dachte er.

      Über Frauen konnte er gar nicht mit ihm reden. Noah hatte total romantische Vorstellungen, himmelte ein Mädchen aus der Klasse an. Ging mit ihr tanzen oder im Park spazieren. Dass er nicht ansprechbar war für härtere Dinge, war Benjamin von Anfang an klar gewesen. Aber dass der sich so soft, so weichgespült entwickeln würde, hatte er nicht vorausgesehen. Meine Güte, was sollte er mit diesen kichernden Dingern anfangen ?!

      Noah in seine Pläne eines Überfalls auf eine Frau einweihen oder dass der sogar mitmachen würde, kam überhaupt nicht infrage. Diese Idee hatte er schön für sich behalten, sich über Fernsehen und Internet informiert. Einen Computer konnte er sich zwar nicht leisten, aber dafür gab es Internetcafés, in denen er sich mitten in der Nacht in aller Ruhe die interessanten Seiten ansehen konnte. Und das alles für wenig Geld.

      Vor etwa zwei Monaten hatte er einen weiteren Versuch unternommen. Er war in den Kienhorstpark gefahren, der kaum zwei Kilometer entfernt lag. Unübersichtliches Gelände. Ein Schwimmbad in der Nähe. Mehrere Kleingartenkolonien. Ein Sportplatz. Immer eine Menge Leute unterwegs. Tagsüber und auch nachts. Er war ziellos herumgefahren, hatte Liebespaare beobachtet ( die waren kaum zu trennen ), war einzelnen Frauen nachgefahren, hatte einzelne Frauen auf den Rasenflächen in der Abendsonne liegen sehen. Es war nichts dabei, was ihn interessiert hätte. Weitere Runden. Unauffällig. Der Park leerte sich. Die Leute, die sich gesonnt hatten, packten ihren Kram zusammen. Andere durchquerten den Park auf dem Weg zu den Sportplätzen oder zum Schwimmbad. Nur wenige blieben auf den Bänken sitzen.

      Aber auf einmal entdeckte er eine Frau, die unter einem Kastanienbaum auf einer Decke saß und las. Die Sonnenstrahlen berührten sie gerade noch. Er fuhr zweimal an ihr vorbei, aber sie achtete überhaupt nicht auf andere. Sie war etwas mollig, aber gut anzusehen. Blond. Er hielt in ihrer Nähe, legte das Fahrrad auf den Rasen und schlenderte zu ihr, setzte sich einen Meter entfernt hin und zündete sich eine Zigarette an. Nicht, dass die ihm schmeckte - als Sportler rauchte er nicht -, aber es fühlte sich an wie in den französischen Filmen, wenn Alain Delon sich eine ansteckte und sie cool im Mundwinkel hängen ließ. So musste ein richtiger Mann aussehen.

      Sie sah kurz auf, als er das Feuerzeug aufschnappen ließ, wandte sich aber sofort wieder dem Buch zu.

      »Was lesen Sie denn da ?«, fragte er schließlich ( etwas schlaueres war ihm nicht eingefallen ).

      Sie legte einen Finger zwischen die Seiten, sah ihn kurz an und sagte

      »Dan Brown – Sakrileg.«

      Das sagte ihm zunächst nichts. Und doch, entfernt hatte er den Titel mal gehört. Er las kaum, er guckte fern oder ging ins Kino.

      »Aha«, sagte er, »ist das spannend ?«

      »Ja, sehr«, sagte sie, »deshalb möchte ich gern weiterlesen.«

      Sie warf einen kurzen Blick auf die Uhr und wandte sich dann wieder dem Buch zu. Aber er merkte, dass sie ein wenig angespannt war, immer mal einen kurzen Seitenblick auf ihn warf, so aus den Augenwinkeln. Die Sonne verschwand hinter den Häusern, lange Schatten entstanden. Sie schien zu frösteln. Es waren nur noch wenige Leute unterwegs, aber es war noch nicht spät. Abendbrotzeit. Er rückte näher an sie heran und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie erstarrte, klappte ihr Buch endgültig zu und steckte es in die Tasche. Ganz ruhig. Als ob es seinen Arm gar nicht gäbe.

      Er wusste nicht weiter. Sollte er sie jetzt versuchen, sie zu küssen ? Er wandte sich ihr zu und merkte, wie ihm heiß wurde. Wahrscheinlich war er sogar rot geworden. Er kam ihrem Gesicht näher. Sie zog sich ein wenig zurück, versuchte, seinen Arm von ihren Schultern zu schieben. Aber er hielt sie fest. Weiche Schultern … glatte Haut … Wieder kam dieses verdammt gute Gefühl auf !

      Sie legte eine Hand auf seine und bog dann ruckartig seinen kleinen Finger nach hinten. Das schmerzte höllisch. Dann sprang sie blitzschnell auf, gab ihm einen Schubs, riss die Decke an sich und rannte über den Rasen davon. Genau in dem Moment bog eine Gruppe Jugendlicher mit einem Netz voller Bälle um die Ecke.

      Er hatte das Gefühl, sein Finger sei gebrochen. Er stand auf, nahm sein Rad und fuhr los. Wut hatte ihn gepackt.

       Was fiel der denn ein ? Ihn zurückzustoßen, wo er sie doch nur küssen und ein wenig berühren wollte ? Fühlen wollte, wie eine Frau sich anfühlt ? Nicht mehr.

      Naja, vielleicht doch ein wenig mehr. Das hier und heute sollte doch nur ein Anfang sein. Er reagierte sich durch Radfahren ab, nahm richtig Tempo auf. Aber Wut war immer noch in ihm, sogar nachdem er zu Hause das Rad im Keller eingeschlossen und die Wohnung betreten hatte. Seine Mutter war da. Offenbar hatte sie heute Abend frei und erwartete auch keinen Mann. Sie sah gut aus, klein und blond wie immer. Er legte die Arme um ihre Taille, presste sie fest an sich und küsste sie. Wenn keine andere da war und keine etwas mit ihm zu tun haben wollte, dann eben sie. Sie ließ es sich gefallen, obwohl er merkte, dass sie sich ein klein wenig versteifte.

      Sie fühlte sich immer noch gut an. Aber als er mit den Händen ihren Körper weiter hinunter wanderte und ihre Pobacken umfasste, schob sie ihn sanft von sich. Und das ärgerte ihn schon wieder. Er ließ sie los, sagte nichts, ging in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Sie kam nicht nach.

      Er warf sich auf sein Bett, starrte an die Decke und öffnete schließlich seinen Gürtel …

      12 – Mutter Valentina

      Schon wieder ein Jahr vorbei. Wie die Zeit verging. Gott sei dank hat sie ihren Job noch. Der war zwar anstrengend, rein körperlich, und dann noch der Schichtdienst.


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