Einmal mit der Katze um die halbe Welt. Martin Klauka
gewusst, auf welchen »Straßen« wir die ersten 40 Kilometer unterwegs sein würden, wäre sie sicher noch eine Weile im Gebüsch geblieben. Es waren eigentlich gar keine richtigen Straßen, sondern eher Trampelpfade. Links und rechts wuchsen Olivenbäume und an den Zäunen hingen abgezogene Wildschweinhäute zum Trocknen. Ein paarmal sah es ganz so aus, als würden wir nach der nächsten Kurve einfach im Nichts landen. Aber irgendwie ging es immer weiter und bald wurden aus Pfaden Wege und aus Wegen schließlich eine Straße. Wir waren wieder an der Küste angelangt.
Mogli, die mir zuvor lautstark zu verstehen gegeben hatte, was sie von der Fahrt hielt, rollte sich nun sichtlich erleichtert im Tankrucksack zusammen. Die frische Leber, die ich ihr ein wenig später zur Wiedergutmachung kaufte, verschmähte sie aber trotzdem.
Wir mussten wieder Proviant aufstocken. Mir graute bereits davor, denn ich musste dazu immer meine Wertsachen abpacken, in voller Motorradkluft schwitzend in den Laden gehen und anschließend alles wieder verstauen. Vor allem aber musste Mogli mit. Die war beim Einkaufen zwar meist ganz gelassen, aber wenn es ihr zu lange dauerte, fing sie an, den Laden zu erkunden. Wie würde man hier darauf reagieren?
In einer kleinen Stadt hielten wir am einzigen Supermarkt. Ich griff meine Wertsachen, sperrte die Koffer ab und begann den Einkaufswagen mit meinem Rückenpanzer und meiner Jacke auszulegen, um eine kleine Höhle für Mogli zu formen. Mogli schien es darin zu gefallen und es lief alles nach Plan.
Nachdem wir eine kurze Pause gemacht und uns gestärkt hatten, ging es weiter. Schon bald konnte ich in der Ferne die Pylonen der mächtigen Rio-Andirrio-Brücke ausmachen, die den Peloponnes mit dem griechischen Festland verbindet.
Als wir den alten Hafen in Patras passierten, tauchte die Sonne, die sich ihren Weg durch immer dichtere Rauchschwaden nahe gelegener Waldbrände bahnen musste, die Welt in ein orangegoldenes Licht. Die Stimmung war fast schon melancholisch: Die alten Fischkutter hatten das Ende ihrer Lebenszeit erreicht und würden nicht mehr repariert werden. Irgendwann war das unser aller Schicksal. Nichts ist für die Ewigkeit.
Die Rauchschwaden wurden nun immer dichter. Seit Stunden schon hatten wir keine frische Luft mehr geatmet. Asche fiel wie Schnee vom Himmel und langsam begann ich mir Sorgen zu machen. Es ging aber alles gut, und als wir nach 284 Kilometern endlich den Campingplatz in Kato Achea erreichten, der uns von ein paar anderen Reisenden empfohlen wurde, saß Mogli schon ganz gespannt auf dem Tankrucksack. Sie hatte gemerkt, dass ich die letzten Meter langsamer wurde, und konnte es kaum erwarten, endlich aus ihrer »Höhle« herauszukommen. Leider schien es, als konnten auch die Hunde der Besitzer es kaum erwarten, eine richtige Prinzessin kennenzulernen. Sie umzingelten uns gleich bei der Ankunft und schauten gespannt zu Mogli herauf. Wenn wir hier tatsächlich zelten wollten, musste sie sich vorsehen. Aber anderswo hätte es vermutlich auch nicht besser ausgesehen.
Ich schlug das Zelt wegen der Hunde am hintersten Ende der Anlage auf. Und tatsächlich »besuchten« sie uns nur hin und wieder. Mogli konnte dann schnell hinter dem Zaun oder auf einem Baum Zuflucht suchen.
Ein Frisbee-»Burggraben« schützte Moglis Futter vor verfressenen Ameisen.
Nachdem auch das Motorrad abgeladen war, öffnete ich eine Dose Nassfutter für Mogli – was die ansässigen Waldameisen wohl als Einladung missverstanden. Ich suchte in unserer Ausrüstung nach etwas, was für die Insekten ein unüberwindbares Hindernis darstellte, gleichzeitig aber Mogli nicht am Fressen hinderte. Mein Blick fiel auf den Frisbee, der unter anderem schon als Teller, Wasserschale, Schaufel und Schneidebrett gedient hatte. Ich drehte ihn um, gab ein wenig Wasser hinein und stellte dann das Futter in die Mitte. Wie ein Burggraben hielt nun das Wasser die Ameisen fern und Mogli konnte ungestört fressen. Ich war stolz auf meine Erfindung! Jetzt musste ich nur noch schnell die Wäsche waschen, dann konnte auch ich endlich essen gehen. Mein Magen knurrte schon seit einer ganzen Weile. Zum Abschluss des Tages gönnte ich mir einen eiskalten Ouzo unter einem über 100 Jahre alten Olivenbaum, ehe ich völlig erledigt ins Bett sank. Kurz darauf kam auch Mogli zu mir ins Zelt.
Am nächsten Tag waren die Waldbrände weitestgehend unter Kontrolle und das Sonnenlicht schaffte es wieder bis auf die Erde. Ich sprang vor dem Frühstück kurz ins Meer, packte alles zusammen und dann …. Dann musste ich feststellen, dass die Prinzessin schon wieder verschwunden war.
Eine Putzkraft rief mich nach langer erfolgloser Suche. Sie hatte Mogli in der Damentoilette entdeckt – dem einzigen Ort, an dem ich nicht nach ihr geschaut hatte. Mit mehr als eineinhalb Stunden Verspätung fuhren wir endlich ab. Mein Magen knurrte schon wieder laut. Ich ignorierte es. Jetzt hieß es erst einmal weiterkommen.
Zum Glück war kein langer Tag geplant, der Campingplatz, den mir Maureen und Mike empfohlen hatten, war nur 140 Kilometer entfernt. Ich nahm daher einen kleinen Umweg, um mir Olympia anzuschauen, wo von 776 v. Chr. bis 393 n. Chr. die Olympischen Spiele ausgetragen wurden und das ich mir nicht entgehen lassen wollte. Der Weg dorthin war abenteuerlich und an einer Stelle hörte die Straße dann einfach auf. Ein Fluss hatte sie weggespült, nebenan führte ein provisorischer Sandweg hinunter zu dessen Bett. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, die Stelle abzusperren, und wäre es dunkel gewesen, hätte ich sie vielleicht gar nicht schnell genug erkannt und wäre den Abhang hinuntergestürzt.
Die Spuren im Sand verrieten, dass die Straße von hier an im trockenen Flussbett verlief. Allerdings hatte ich mich erst kurz zuvor durch so ein Stück kämpfen müssen und war im weichen Sand fast umgekippt. Daher entschied ich mich, eine andere Route zu wählen.
Letztendlich fuhren wir am Heiligtum von Olympia dann nur vorbei. Denn um mir die Gebäude, Tempel und Museen anzusehen, hätte ich ein Zimmer nehmen und Mogli darin einsperren müssen. Dafür hätte mein Budget nicht gereicht.
Wir gondelten noch ein wenig den Heiligen Hain entlang und machten uns dann wieder auf den Weg – vorbei an den Schafs- und Ziegenherden und den dazugehörigen Schäferhunden, die hin und wieder bellend vor das Motorrad rannten. Die Touristensaison war zum Glück schon vorbei und so war der riesige Campingplatz, der locker Hunderten, wenn nicht sogar tausend Campern Platz geboten hätte, so gut wie leer. Auf der Suche nach einer besonderen Stelle und um mich besser orientieren zu können, fuhr ich den Platz erst einmal langsam ab. Wir hätten unser Zelt am Eingang zwischen ein paar Wohnmobilen aufbauen können, in einer Lichtung, am Strand, auf der Wiese oder im Wald. Ich entschloss mich für Letzteres, aber in Strandnähe. Dort hatten wir unsere Ruhe und die Bäume boten Schatten und Mogli eine Zuflucht. Nachdem sie versorgt war und das Zelt stand, genoss ich an dem wunderschönen Sandstrand den Sonnenuntergang. Was für ein herrliches Fleckchen Erde!
Am nächsten Morgen stand ich mit der Sonne auf und ging wieder zum Strand. Ich hatte ein paar Leute kennengelernt, die sich für den Schutz von Meeresschildkröten einsetzten. Ihnen wollte ich helfen. Als ich gegen Mittag zurückkehrte, war Mogli natürlich nicht im Zelt. Also rief ich freundlich nach ihr – und sofort kamen die beiden großen Hunde des Managers angeschossen. Aus irgendeinem Grund mochten sie mich und verbrachten, obwohl ich mich möglichst schroff gab, mindestens den halben Tag an unserem Zelt. Mogli hatte mich ebenfalls gehört und kam freudig aus dem Wald heraus, hielt jedoch abrupt an, als sie die Hunde sah. Als diese sie ebenfalls entdeckten, begann im Nu eine wilde Verfolgungsjagd: Die Hunde rannten der Katze hinterher und ich den Hunden. Natürlich war ich viel zu langsam – und Mogli längst weit oben auf einem Baum in Sicherheit.
Den Nachmittag verbrachte ich mit meinem Telefon an der Rezeption, der einzigen Stelle mit WiFi. Seit dem Radiointerview hatte ich unzählige Nachrichten erhalten und nun versuchte ich, mit dem Antworten nachzukommen. Drei weitere Radiostationen aus Dubai wollten ebenfalls schnellstmöglich ein Telefoninterview machen, zudem hatten mich eine bekannte Tageszeitung, Lonely Planet und sogar das deutsche Konsulat kontaktiert. Sie freuten sich schon darauf, uns nach unserer Ankunft kennenzulernen, und baten mir ihre Unterstützung an. Mit solch einer Resonanz hatte ich nicht gerechnet. Ich vereinbarte für den nächsten Tag Interviews mit den Radiostationen und ging, als mein Akku leer war, zurück zum Zelt. Eine hungrige Mogli wartete dort schon sehnlichst auf mich und war überglücklich, mich wiederzusehen.
KATZEN