Einmal mit der Katze um die halbe Welt. Martin Klauka
und all die Dinge, die mir bisher Halt gaben, gegen das vielleicht größte Abenteuer meines Lebens einzutauschen. Aber ich habe die Entscheidung keine Sekunde lang bereut …
EIN TRAUM WIRD WAHR
Seit eine zweijährige Reise nach Australien meine Abenteuerlust geweckt hat, bin ich immer wieder verreist. 2015 entschlossen ein Freund und ich uns dann während einer dreimonatigen Reise durch Südostasien spontan, Vietnam auf dem Motorrad zu durchqueren. Wir fuhren 36 Stunden mit dem Bus von Laos bis nach Hanoi, wo genau an meinem Geburtstag zwei Motorräder ihren Weg zu uns fanden. Was folgte, war der bis dahin abenteuerlichste Monat meines Lebens. So war ich zuvor noch nie gereist – und plötzlich wusste ich, was bisher »falsch« gelaufen war: Ich war nur Urlauber und als solcher sieht man vor allem (oder auch ausschließlich) diejenigen Orte, die für Touristen hergerichtet wurden, wo die Bedienung Englisch spricht und die Speisekarte in mehrere Sprachen übersetzt wird. Orte, die all jenen Menschen eine Auszeit vom Alltag bieten, die danach genau zu diesem wieder zurückkehren. Ich jedoch wollte meinem Alltag nicht entkommen. Ich wollte ihn ändern. Noch bevor wir wieder zurück in Deutschland waren, war mein Entschluss gefasst: Ich würde mein altes Leben hinter mir lassen und mich in das größte Abenteuer meines Lebens stürzen. Auf zwei Rädern!
DIE KÖNIGIN
Neun Monate nach unserem Südostasientrip war es endlich so weit: Im Dezember 2015 erwarb ich in München eine Honda Africa Twin, die »Königin der Wüste«. Dieses Modell gilt als eines der zuverlässigsten Motorräder, die es gibt – und war damit genau das richtige für mich, denn ich bin weder der beste Mechaniker noch wollte ich mitten im Nirgendwo liegen bleiben.
Meine »Königin« sah aus wie neu. Sie war scheinbar noch nie auf Reisen, hatte keinen einzigen Kratzer und der Tacho zeigte gerade mal 14 500 Kilometer. Nur ihre schiere Größe machte mir ein wenig Angst. Der Lenker reicht mir fast bis zur Brust und ich musste wie auf ein Pferd aufsteigen – obwohl ich über 1,80 Meter groß bin.
Dann hieß es »Aufrüsten«: Obwohl die Africa Twin fürs Reisen gemacht war, benötigte sie ein paar Modifikationen. Und so wechselte beziehungsweise ergänzte ich Träger und Koffer, Tankrucksack, Sturzbügel, Hauptständer, Handprotektoren, Lenkererhöhung, 12-Volt-Zigarettenanzünder, größere Fußrasten, Ölthermometer, Handyhalter und Nebelscheinwerfer. Ich legte den Auspuff niedriger, damit er unter die Koffer passte, kürzte die Windschutzscheibe, überholte den elektronischen Kilometerzähler (»Tripmaster«) und die Benzinpumpe, ersetzte alle Benzin- und Kühlschläuche sowie die Gummileitungen vorne durch Stahlflex-Bremsleitungen und baute verstärkte Schläuche ein.
Die nächste Herausforderung war, genug Geld für mein Abenteuer zu sparen. Ich ging am Wochenende nicht mehr aus, aß zu Hause oder bei meiner Mum, verzichtete auf alles, was Eintritt kostete, kaufte nur noch Sachen, die ich für die Reise brauchte, ließ mein Auto stehen und fuhr stattdessen mit dem Fahrrad … Verregnete Sonntage nutzte ich, mein Hab und Gut nach Sachen zu durchforsten, die ich verkaufen konnte. Das brachte zwar nicht viel Geld, aber zumindest wurde meine Wohnung langsam etwas leerer.
Immer wieder wanderte mein Blick auf der großen topografischen Landkarte in meinem Schlafzimmer umher. Ich fragte mich, welche Route ich nehmen und was mein erstes Ziel werden könnte. Alle Länder nördlich von Deutschland wären im Winter zu kalt, westlich davon kommt nicht mehr viel, und um mein Motorrad nach Südamerika oder Australien zu schicken, dazu fehlte mir das nötige Kleingeld. Der Osten sah interessant aus, doch auch dort würde es im Winter zu kalt werden. Die Reise musste also irgendwie in den Süden gehen, näher an den Äquator. Damit blieb nur noch Afrika oder der Mittlere Osten. Afrika hat mich schon immer fasziniert, aber ich hatte keinerlei Anlaufpunkte und wusste nicht, wie ich dort Geld verdienen sollte, um wieder nach Hause zu kommen.
Im Mittleren Osten dagegen kannte ich jemanden: Feras, einer meiner besten Freunde, kam aus Dubai und wohnte dort mit seiner Frau. Zudem standen die meisten der Länder auf dem Weg dorthin schon seit Längerem auf meiner Reisewunschliste. Österreich und Slowenien waren wunderschön, das wusste ich, von Kroatien hatte ich schon viel Gutes gehört und nach Griechenland wollte ich auch schon länger. Besonders gespannt war ich auf die Türkei, das Bindeglied zwischen Europa und Asien. Außerdem wollte ich schon immer einmal in den Iran. Dass mich der Weg nach Dubai zum Großteil durch preiswerte Länder führen würde, ich nur eine kurze Fähre nehmen müsste und, wenn ich rechtzeitig einen Job fände, die Chance hätte, schnell wieder Geld zu sparen, waren weitere Pluspunkte. Zudem könnte ich von dort entweder über Russland den Rückweg antreten oder weiter Richtung Indien fahren. Und wenn ich keinen Job fände, könnte ich mein Motorrad vorübergehend bei Feras lassen und zurückfliegen. Dubai war das perfekte Ziel und einen Anruf später war es beschlossene Sache.
Mitte 2016 also wurde mein Plan konkreter: Ich hatte ein Motorrad, einen Großteil der Ausrüstung und vor allem hatte ich endlich ein Ziel. Damit ich die Alpen und ihre Ausläufer überqueren konnte, solange es noch warm war, und in der Wüste ankam, wenn die Temperaturen dort erträglicher wurden, musste ich im Sommer starten. Somit hatte ich noch genau ein Jahr, um alles vorzubereiten.
Die Zeit bis dahin verflog so schnell wie nie zuvor. Ich verkaufte oder verschenkte weiter meine Sachen, unternahm ein paar kleinere Trips mit der Königin und lernte so immer besser mit ihr umzugehen, stellte mein Bordwerkzeug zusammen, räumte meinen Computer auf und sicherte alle Daten, befasste mich mit notwendigen Apps für mein Handy, stellte meine Ausrüstung weiter zusammen … Ich war erstaunt, was alles dazugehörte, wenn man sein altes Leben aufgab. Mein Schreibtisch schien unter den Notizzetteln zu verschwinden, auf denen ich all das notiert hatte, was ich noch erledigen musste. Gut, dass ich früh genug damit angefangen hatte. Und dann kam doch noch alles ganz anders …
Beim Spazierengehen brachte ich Mogli bei, in meiner Nähe zu bleiben.
DAS FINDELKIND
Ich war auf dem Rückweg von einer Motorradreise nach Marokko, als plötzlich ein kleines verwahrlostes Kätzchen auftauchte. Es war noch sehr jung, total abgemagert und konnte sich kaum auf den Beinchen halten. Ich rief nur einmal kurz nach ihr, um »Hallo« zu sagen. Doch anstelle meines kleinen Fingers nahm sie gleich die ganze Hand, kam freudig angetapst, kroch auf meinen Arm und schlief ein. Der Hunger hatte sie vermutlich hierher getrieben, aber sie war noch zu jung und hatte nicht genug Energie, um der kalten Nacht zu trotzen. Sichtlich glücklich darüber, ein warmes und sicheres Plätzchen gefunden zu haben, machte der kleine Flohbeutel in meinem Arm keinerlei Anstalten, diesen zu verlassen, geschweige denn überhaupt aufzuwachen. Da seine Mutter, wie ich später erfahren sollte, von einem Auto überfahren worden war, stand es nicht gut um sein Schicksal. Aber davon wusste dieses kleine, süße Ding nichts. Es schlief tief und fest. Ich fragte mich, was ich mit ihm machen sollte. Ich konnte es schließlich nicht einfach auf dem Motorrad mit nach Hause nehmen. Oder doch? Aber wo sollte es sitzen? Der Tankrucksack war die einzige Möglichkeit, also polsterte ich ihn mit meinem Schal aus, legte die kleine Katze hinein und fuhr so vorsichtig, wie es nur ging. Zuerst hatte sie Angst, aber es dauerte nicht lange, bis sie verstand, dass sie in Sicherheit war. Und als wir zu Hause ankamen und ich in den Tankrucksack sah, blinzelten mich zwei verschlafene Augen an.
Ich wusste nicht einmal, ob es das Kätzchen ein Mädchen oder ein Junge war. Aber es war wie Mogli aus dem Dschungelbuch ein Findelkind. Und wenn dies mein Weg wäre, so dachte ich, dann würde alles gut gehen. »Hallo, Mogli!«, flüsterte ich leise. Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
Es war mittlerweile Ende März und somit waren es nur noch vier Monate bis zu meiner geplanten »Weltreise«. Wenn Mogli mich begleiten sollte, würde ein ganzer Schwung zusätzlicher organisatorischer Sachen auf mich zukommen.
Als Allererstes brachte ich Mogli zum Tierarzt. Ich wollte endlich wissen, ob er/sie ein Katerchen oder ein Kätzchen war. Außerdem brauchte sie eine Wurmkur und eine Tollwutimpfung. Und ich wollte unsere Reisepläne mit dem Arzt besprechen, um sicherzustellen, dass ich Mogli nicht irgendwo heimlich ins Land schmuggeln müsste. Denn dieses Risiko wollte