Rose of India. Eveline Keller

Rose of India - Eveline Keller


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Hehl mehr daraus, dass er David als Bauführer beim Wellnesscenter-Projekt für eine Fehlbesetzung hielt. Damit bildete er eine unheilige Allianz mit Dumont. Sie unterstellten ihm, ein Bau dieser Dimension sei eine Nummer zu groß für ihn, sahen in seiner Art, immer vor Ort zu sein, Führungsschwäche und warfen ihm vor, sich lieber mit Handwerkern zu unterhalten als mit den Finanziers.

      Wenn sie erwarteten, dass er ihnen den Hintern wischte, würden sie eine herbe Enttäuschung erleben. Er seufzte abgrundtief. In Augenblicken wie diesen sehnte er sich nach einer Tätigkeit, wo man abends sah, was man geleistet hatte, anstelle des des endlosen Schreibkrams. Nur Maria, seine Mutter sah es lieber, wenn er sich die Hände nicht schmutzig machte.

      Es würde ihm immer ein Rätsel bleiben, weshalb sie seinen Vater, einen Tyrannen und Alkoholiker, geheiratet hatte. Schon bald nach der Hochzeit verging ihr das Lachen. Sie lebten zurückgezogen und im ständigen Bemühen, nicht aufzufallen. Ihr Sohn war ihr einziger Sonnenschein, ihr ein und alles, als Ausgleich zur Gefühlskälte ihres Mannes. So überschüttete sie David mit ihrer Liebe.

      Sie litt unter der krankhaften Eifersucht des Vaters, der durch sein ausuferndes Trinken immer aggressiver wurde und seine Frau für die kleinste Unregelmäßigkeit schlug. Bis zu jenem Sommertag. David lag auf dem Boden neben seinem Plattenspieler und sang mit Adriano Celentano aus voller Kehle mit. Das war der Grund, weshalb er das berstend einer Flasche überhörte, das war die Einleitung für den heraufziehenden Streit. Als ein umstürzendes Möbelstück den Boden erschütterte, stellte er seinen Plattenspieler leiser und nun konnte er seine Mutter schreien hören. Dazwischen ertönte das Gebrüll des Vaters, der anstelle des Frühstücks seine Kaffeetasse mit Kirsch gefüllt hatte, etwas anderes blieb nicht in seinem Magen. „Ich kenne deinesgleichen! Du tuschelst hinter meinem Rücken mit der Nachbarin. Dann schaut mich der Kleine so an mit seinen schwarzen Augen, dass es einem anders wird, dämonisch sag ich! Ein Satansbraten, … verziehst ihn viel zu sehr“, lallte er im Wahn. „Eines Tages steckt er mir ein Messer in den Rücken – wirst schon sehen. Wie Brutus dem Cäsar. Ja – der war auch so ein Italiener. Alles Mafiosi.“

      David kam ihr zu Hilfe, und wie er sah, dass sie sich verstohlen das Blut von der Lippe tupfte, stellte er ihm mutig seine hundertzehn Zentimeter entgegen. „Lass Mama in Ruhe!“, drohte er mit Pieps-Stimme.

      „Was willst du denn, du Hosenscheißer!“, donnerte sein Vater. „Ich lasse mir doch von dir nicht auf der Nase herumtanzen.“

      Ein Schubs von ihm und David flog in die Ecke. Der rappelte sich auf und stürzte sich mit so viel Wut auf ihn, dass der Vater auf seinem Allerwertesten landete. Auf Davids Augenhöhe hämmerte er mit seinen kleinen Fäusten auf ihn ein, bis der Vater ihn zu fassen kriegte und zuschlagen wollte. Ein Gongschlag ertönte, der Vater verdrehte die Augen und kippte um. Über ihm stand Maria, in der Hand die gusseiserne Bratpfanne.

      „Basta!“, meinte sie und schlug das Kreuz. Das wirkte wie ein Befreiungsschlag, von da an fasste sie mehr Selbstvertrauen und begann sich zur Wehr zu setzen. Und auch Vater sah sie mit einer Mischung aus Misstrauen und Respekt an, er erinnerte sich zwar nicht genau was geschehen war, aber seine Handgreiflichkeiten versiegten.

      Als er dann an seiner kranken Leber starb, trugen es die Hinterbliebenen mit Fassung. Sie hatten eine kleine Rente, die für ein bescheidenes Leben reichte. David lud gerne seine Freunde ein, und seine Mutter liebte es, sie wie eine große Familie zu bekochen. Verglichen mit früher, war ihr Leben danach eine einzige große Party.

      Entgegen dem Wunsch seiner Mutter lernte er Maurer, hängte dann noch ein Studium an der Technischen Hochschule dran, was sie freute. Doch als er von seinem Wunsch erzählte, den Rest der Welt zu entdecken, kam es für sie etwas zu überraschend.

      Er würde noch heute im Ausland leben, hätte ihn nicht damals die Nachricht erreicht, dass seine Mutter schwer erkrankt war. Ihm wurde schlagartig bewusst, dass sie allein seine Familie war und eines Tages nicht mehr da sein würde. Er lieh sich von seinen Freunden Geld für den Rückflug. Und als seine Mutter nach drei Wochen das Krankenhaus verlassen konnte, beschloss er, in ihrer Nähe zu bleiben.

      David wandte sich vom Fenster ab und musterte seinen Arbeitstisch. Seine Träume von einer eigenen Familie waren zunichte. Es lag nun über ein halbes Jahr zurück und er wartete noch immer auf den Tag, an dem das Gefühl, schuld an Jessicas Tod zu sein, verblassen würde. Manchmal hielt er mitten im Reden inne, weil ihn etwas an sie erinnerte. Er saß dann da und spürte wie eine kalte Hand nach ihm griff.

      Wann würde das endlich aufhören?

      5.

      Amber kehrte zurück in ihr Büro. Ihr, vier mal fünf Meter, mit Normmöbeln der Verwaltung eingerichtetes kleines Reich, mit PC, Drucker und schnurlosem Telefon, einem schwarzen Drehstuhl und drei Orchideentöpfen, rosa, weiß und lila, die vor dem Fenster in den Hof standen.

      Sie schloss die Tür und lehnte sich erleichtert daran. Endlich! Ambers bebendes Kinn sank auf die Brust, die Schultern ließ sie fallen, verschränkte ihre Arme und versuchte den Aufruhr in ihrem Innern zu stoppen. Hoffentlich hatte es niemand bemerkt. Am liebsten wäre sie in ihren Fischerstiefeln versunken. Die Begegnung mit David hatte Vergangenes wachgerufen, das sie längst abgehakt zu haben glaubte. Und je länger die Untersuchung dauerte, desto mehr fürchtete sie, ihre Beherrschung zu verlieren.

      Das wäre zwar menschlich, aber sie erwartete von sich von Berufs wegen, dass sie über der Sache stehen müsste und wünschte sich, das Ganze sei erledigt. In der Regel meisterte sie heikle Situationen mit Bravour, es kitzelte ihre emotionale Kompetenz, und sie liebte es, knifflige Aufgaben zu lösen.

      Sie glaubte an ihr sorgsam ausbalanciertes Lebenskonzept, das auf drei wesentlichen Säulen ruhte: Beruf, Familie und Freunden. Sie liebte ihre Arbeit, hatte eine feine Spürnase und glaubte an das Gute im Menschen. Obwohl es zuweilen stressig werden konnte, verlor sie selten die Nerven und hielt mit bei Selbstverteidigung und Schießübungen.

      Eine weitere wichtige Rolle in ihrem Leben, spielte ihre sechzehnjährige Tochter Melanie. Sie versuchte mit ihr möglichst wertvolle Freizeit zu verbringen, auch wenn das bei Ambers Einsatzzeiten nicht immer einfach war. Melanie wuchs damit auf, mittlerweile war sie selbständiger geworden, aber auch eigensinniger und passte sich nicht mehr einfach an. Deswegen plagte Amber immer mal wieder das schlechte Gewissen.

      Und schließlich der letzte Teil, ihr Freundeskreis. Wöchentlich traf sie sich mit Rine, kurz für Catherine. Mit ihr konnte sie über alles reden, sie fuhren auch regelmäßig mit ihren Mountainbikes auf den Pfaden rund um den Zürcher Hausberg, den Üetliberg. Damit hielten sie sich fit und konnten den Alltag hinter sich lassen. Gegenseitig motivierten sie sich; war bergauf meistens Rine vorne, musste sie bei der Abfahrt aufpassen, um von Amber nicht gnadenlos abgehängt zu werden.

      Männerbekanntschaften hatte sie auch, gute und auch miese, ein unschönes Abenteuer mit einem Verheirateten hatte sie gerade hinter sich.

      Meistens war Amber mit sich ganz zufrieden. Nur manchmal, wenn eine langbeinige Schönheit mit perfekten Wachstumsgenen vorbeiging, wurde sie neidisch und wünschte ihre Pölsterchen ins Pfefferland. Dieser Zustand dauerte meist nicht länger als zwei Sekunden. Alle paar Jahre quälte sie sich mit einer neuen Diät, die Letzte hatte den verlockenden Titel: Schlank werden im Schlaf. Irgendetwas musste sie falsch gemacht haben. Bei ihr klappte es leider nicht; obwohl sie nur säurefreie und salzlose Speisen zu sich nahm, verlor sie kein Pfund, dafür ihre gute Laune. Sie tröstete sich, dass es, mal abgesehen vom Modetrend mager zu sein, ihr an nichts fehlte und verwöhnte sich mit einer Schachtel Lindorkugeln.

      Doch das war bis gestern.

      Seit heute Morgen wirbelten längst vergessene Gefühle all ihre Professionalität himmelwärts und ihr sprang das Herz vor Aufregung fast aus der Brust. Der Morgen hatte nicht enden wollen. Die Ruhe, mit der sie gewöhnlich ihre Arbeit verrichtete, war weg, ihr Scharfsinn erlitt Kurzschluss, und sie improvisierte von Minute zu Minute. Gleich nachdem der Arzt den Totenschein ausgestellt und der Staatsanwalt sich verabschiedet hatte, übergab sie Assistent Serge die Leitung, und eilte unter dem Vorwand davon, das TV-Interview vorbereiten zu müssen.

      Das war sonst gar nicht ihre Art, sie war keine Einzelkämpferin und tauschte


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