Schwabinger G'schichten. RAMSES III. (Wolfgang Kramer)
Natürlich war kein Geld im Haus, also überredete Roland mich, einen Kredit aufzunehmen, um den Mercedes erst mal kaufen zu können.
Ich hatte bereits einen Kredit für Roland laufen, wofür weiß ich nicht mehr. Aber diese Tatsache, dass ich einen zweiten Vertrag abschloss, hätte mir fast eine Klage wegen Kreditbetrugs eingebracht – obwohl ich mir keiner Schuld bewusst war. Ich hatte keine Ahnung, dass so was ungesetzlich ist.
Ausnahmsweise hat das dann doch wieder mal der Papa gerichtet, und so ist nichts passiert.
Wie ich im Verlauf unserer Bekanntschaft erfuhr, war Roland ein pleite gegangener Unternehmer aus der Kosmetikbranche, er hatte mehrere Parfümerien betrieben, und aus dieser Zeit hatte er auch noch Kundschaft und auch Ware. So wurde ein Teil meiner Beschäftigung als Fahrer, zusätzlich Klopapier und Haarspray an Supermärkte auszuliefern.
Das war wirklich witzig, er kaufte Haarspray bei einem Großhandel, und einen Teil davon etikettierten wir um, mit Labels seiner Ex-Firma. Das war dann die teurere Variante! Die Ware war – wie gesagt – identisch, aber das teurere Haarspray wurde bevorzugt (Idioten).
Nicht zu fassen, damals konnte man sogar an Supermärkte noch Ware aus dem Kofferraum verkaufen.
Leider war dieser "Call Car" Job nicht sehr lukrativ, aber das war meine eigene Schuld. Da ich ein geborenes Nachtlicht bin, fuhr ich in der Regel nachts. Doch die Versuchung war einfach zu groß, in die Lokalitäten hinein zu gehen, die ich anfahren musste, und zu bleiben.
Wenn ich nach Schwabing musste, war sowieso alles zu spät. Da blieb ich dann eh hängen.
Deshalb verbrachte ich mehr Zeit in Kneipen als auf der Strasse, um Geld zu verdienen.
Obwohl wir ständig pleite waren, hatte Roland eine Gabe, mit seinen letzten 20 Mark in Kneipen "einzuschweben" und so aufzutreten, als wäre er Millionär. Er hielt Hof! Faszinierend. Er hatte sich so toll im Griff, dass er seinen Frust wegen der Geldknappheit niemals merken ließ.
Er sollte in der Zukunft auch tatsächlich wieder erfolgreich werden und zu reichlich Geld kommen. Er riss sich auf ominöse Weise eine Bootswerft am Bodensee unter den Nagel, und das war kein "Trödelladen"!
Nachdem Roland mit seiner Werft sicher im Sattel saß, bot er mir einen Job an.
Ich war zu dieser Zeit mit der Mutter meiner späteren Tochter zusammen, mit der sie hochschwanger war. Deshalb erwog ich wieder einmal, einen seriösen Job, tagsüber, in Erwägung zu ziehen. Also nahm ich zunächst Rolands Angebot an, was mich erst mal zum "Probelauf" nach Hamburg führte, wo ich ihm Unterstützung leisten sollte bei der Bootsaustellung.
Er hatte in Norwegen ein Boot gekauft, für den Wiederverkauf bestimmt, und nahm die Gelegenheit wahr, es auf der "Durchreise" gleich mal in Hamburg auf der Ausstellung anzubieten.
Ich fühlte mich sehr wohl dort, sowie auf der Ausstellung, als auch in Hamburg im Besonderen. Roland hatte nämlich jede Menge Badischen Wein mitgebracht. Die Kartons waren an der Wand neben dem Boot hoch gestapelt – fast bis zur Decke. Passanten und Interessenten dachten erst mal, es wäre ein Weinstand!!!
Wir bewirteten die Leute und tranken kräftig mit.
Verkauft haben wir nichts, aber wir waren die Lustigsten. Am letzten Tag haben wir ein Schild angebracht, worauf stand: "Wegen Reichtums geschlossen" (wirklich seriös)!
Nach Feierabend ging es dann erst richtig los, und wir machten Hamburg bei Nacht unsicher.
Es gibt einen Bootstyp, der heißt "Daycruiser". Und ich hatte bereits nach der ersten durchzechten Nacht meinen Spitznamen abbekommen, nämlich…??? – na klar – "Nightcruiser"!
Ich denke, Roland hatte erkannt, dass ich für den Job nicht geeignet war, und er hatte recht damit. Die Werft war in Espasingen, einem Nest am Bodensee, und dort hätte ich dann auch leben sollen. Da wäre ich eingegangen wie eine Primel – auf dem Land und ohne Schwabing…???
Mein Vater spionierte mir offenbar nach und war deshalb auch über meine Aktivitäten informiert. Ich wiederum erfuhr, dass er über mein "unstandesgemäßes" Verhalten mehr als erbost war. Vor allem über die Tatsache, das ich "Taxi fuhr", wie er es nannte.
OK, es gab noch ein Intermezzo in der Firma meines Vaters. Kurzzeitig setzten wir uns ins Benehmen, und ich arbeitete drei qualvolle Jahre bei ihm. Dann aber war endgültig Schluss mit lustig!
Danach versuchte ich noch einmal, "seriöse" Arbeit zu finden, was mir tatsächlich gelang, und zwar in einer Reifenfirma, wo ich bereits aus meiner Zeit in Vaters Firma als Kunde bekannt war. Ich fing also dort an, aber ich war pleite, und um nicht gleich Vorschuss verlangen zu müssen, arbeitete ich zur Aushilfe im "Schwabinchen", das inzwischen zu meiner Stammkneipe geworden war, als Barkeeper.
Das mit der seriösen Arbeit funktionierte leider nur kurze Zeit! Extrem kurz! Früh aufgestanden bin ich noch nie leicht, geschweige denn gerne, und als ich dreimal in Folge meinen Tagesjob verschlafen hatte, war es mir zu peinlich, noch mal dort aufzukreuzen.
Das war auch das Ende meiner Laufbahn, im "normalen" Berufsleben tagsüber Fuß zu fassen, was sich aber im Lauf der Zeit als positiv erweisen sollte und meinem Naturell bedeutend besser entsprach. Ich war und bin schlicht und ergreifend eine Nachteule – basta!
OK, es gab noch ein paar kläglich gescheiterte Abstecher in "Tages-Jobs", aber bald gab ich es ganz auf und stürzte mich endgültig unbeschwert und zufrieden ins Schwabinger Nachtleben. Mein Nebenjob wurde zum echten Job, und ich hatte, wenn auch nicht sehr üppig, ein Auskommen.
Es war einfach genial. Ich konnte ausschlafen, so lange ich wollte, im Sommer jeden Tag ins Ungerer Bad gehen, nachts nach der Arbeit noch um die Häuser ziehen, was wollte ich mehr? Mein Leben wurde zu einer einzigen Party.
Allein die Sommerzeit im "Ungerer" war schon immer tagsüber vollgepackt mit Blödelein, Spaß und Fröhlichkeit, sodass sogar die kleinsten Kinder uns kopfschüttelnd bestaunten. So fragte zum Beispiel ein etwa Vierjähriger seine Mutter: Mami, was machen die da??? Tja – gute Frage…! Irgendwie war das nicht zu beantworten. Es waren einfach nur Albernheiten!
Es war die Zeit, als der erste "Asterix" heraus kam, und wir waren vollkommen begeistert davon. Einer aus der Clique machte die Bemerkung, wir brauchten Hinkelsteine aus Gummi! Logisch, gibt's ja an jeder Ecke!!! Da es so was natürlich nicht zu kaufen gab, wurde der Gedanke weiter gesponnen, und wir landeten bei der Alternative, dass wir doch am nächsten Tag wenigstens alle mit Gummitieren einlaufen sollten.
Noch ein Wort zu unserer Gemeinschaft. Es war nicht wirklich eine "Clique", sondern ein wild und locker zusammengewürfelter Haufen von "sanften Irren". Zu einem Teil aus der Schwabinger Kneipen-Gastronomie und der Rest Studenten und Künstler.
(Die Studenten waren damals noch nicht so im Zugzwang wie heutzutage).
Gesagt – getan! Am nächsten Tag brachte wirklich JEDER so ein Gummiteil mit. Erwähnenswert vielleicht, dass unser Haufen aus ca. 30 – 40 Leutchen bestand. Wir hatten das Haupt-Becken im Bad in Beschlag genommen, an dem auf der einen Längsseite Holzroste zum Liegen zur Verfügung standen, im Volksmund genannt „der Nuttengrill", den wir gänzlich bevölkerten. Ich weiß nicht wirklich, wie und wann der Name entstand – höchstwahrscheinlich war er vor unserer Zeit vornehmlich von den Mädels aus dem "Milieu" bevölkert…? Jetzt war er in unserer Hand!
Man kann sich vorstellen, wie es da aussah. Der gesamte "Grill" war übersät mit bunten Gummiviechern und dann erst im Wasser; das Schwimmbecken war voll mit uns!!! Die Kinder waren begeistert davon und wollten um jeden Preis mitmachen – sollten sie gerne.
Einer hatte eine lange Gummiwurst dabei, auf der wir ums Becken ritten; das war "die kleine Reise um die Welt". Weitere Spiele waren Reiter kämpfe, und der Hit war der "Ungerer-Eisberg". Dabei stellten wir uns im Becken im hüfttiefen Wasser im Kreis zusammen, und auf Kommando tauchten wir aus dem Stand alle ab, wobei wir die Badehosen runter zogen. Der Effekt, dass einen Moment lang nur weiße Ärsche zu sehen waren, prägte den Begriff „Eisberg"!
Sehr beliebt bei den Kindern war auch der