Katholisch...oder?. Oliver Grudke
Dr. Kanst sehr siegreich.
Jasmin Jemain drückte erneut ihren Zeigefinger auf die Brust von Alex.
„Halten Sie sich bloß hier raus. Sonst geht es dieses Mal nicht so glimpflich aus für Sie!“, zischte die Kommissarin und stapfte die Holztreppe hinunter.
„Ja dann, äh, bis bald!“ Lilly Baur lächelte, obwohl ja die Situation alles andere als lustig war.
„So, wir müssen jetzt auch mal durch!“, sagte nun einer der Bestatter und obwohl der Gang recht breit wirkte, brachten die Bestatter den Sarg nur schwer hindurch.
„Irgendwoher kenne ich das Opfer!“, sagte Alex.
„Ja klar, das ist der junge Giehr, Max oder so!“, antwortete nun der hintere Träger.
„Giehr? Etwa der von dem Medizin-Guru?“
„Ja genau. Hat nur einen Sohn, da möchte ich auch nicht hin, um ihm die frohe Botschaft zu überbringen, also Tschüss dann!“
„Der Sohn von Albert Giehr!“ Die Gedanken begannen langsam zu kreisen. „Mitten in der Nacht bei einem katholischen Pfarrer!“
„Wumm!“ Die Bestatter oder einer der uniformierten Beamten hatte die Tür zugeschlagen. Jetzt war alles ganz still. Zeit, um sich selber ein Bild von allem hier zu machen. Das war seine beste Eigenschaft. Nicht umsonst war er einer der besten Profiler in Europa, auch wenn dies noch niemand so genau bezeichnet hatte.
Doch leider hatte Lilly recht. Es gab kaum etwas zu untersuchen, oder zu entdecken, da fast alle Zimmer leer waren. Nur das Andachtszimmer mit der heiligen Arsi gab es. Irgendwie musste hier ein neuer Kult am Entstehen sein. Als ob es nicht schon genug Heilige gab.
In einem Zimmer stand noch ein frisch bezogenes karges Bett. Vermutlich war dies für Gäste gedacht. Das Blut war nun schon in den lackierten Parkett aus Buche eingesickert und färbte diesen fast schwarz.
„Schade!“, brummte Alex, der genau wusste, dass dieser doch schon alte, aber sehr wertvolle Parkett nicht mehr zu retten war. Er machte einen großen Ausfallschritt, um jeden Kontakt seiner Schuhsohlen mit Blut auszuschließen. Der Schreibtisch war leer, fast. Nur am rechten Rand lag ein Terminplaner mit christlichen Symbolen darauf. Alex war erstaunt, dass noch jemand seine Termine in Schriftform in einen Kalender eintrug. Er blätterte.
Zuerst fiel ihm nichts auf, doch dann wiederholten sich Termine. Wöchentlich. Alex wurde es ganz schlecht.
„Oh nein, bitte nicht!“, flüsterte er zu sich selbst.
In jeder Woche gab es einen Termin bei Frau Piffpaff. Er würde dieses, ob er wollte oder nicht, überprüfen müssen.
Bei Frau Gertrud Piffpaff.
Resigniert stand er auf, als ihm der Bildschirmschoner wieder auffiel, welcher noch immer Sprüche aus dem Rosenkranz über den Bildschirm laufen ließ.
„Ob der Computer wohl gesichert ist?“
Alex hatte Pech! Er war passwortgesichert. Also waren Pfarrer doch nicht immer so altmodisch wie er dachte. Gelangweilt tippte er Wörter ein und …
„Ping!“
„Ha!“, rief Alex „Das war ja einfacher als gedacht!“ Mit Arsi, seiner zweiten Wahl, hatte er sich Zugang zum Computer verschafft. Leider war er in diesen Computerdingen kein Profi, doch er kannte einen. Fatman! Und deshalb hatte er immer an seinem Schlüsselbund einen Megastick, welcher einmal eingesteckt binnen Sekunden alle Daten kopierte.
„So!“ Alex war zufrieden, denn mehr gab es fürs Erste einmal nicht zu tun. Jetzt war es aber echt Zeit für das Bett. Und das Problem mit Rita hatte sich nun sicherlich auch gelöst. Im Zustand des Pfarrers hatte der nun andere Sorgen als außereheliche Aktivitäten seiner Schafe. Gleich Morgen würde er Rita die gute Nachricht übermitteln, und dann dort weitermachen, wo man vorher aufgehört hatte.
Gerade als er die Wohnung verlassen wollte, fiel ihm im Andachtsraum, fast nicht sichtbar, eine kleine Holztür auf. Das wollte er nun genauer wissen. Und tatsächlich, als er diverse blaue Vorhänge beiseitegeschoben hatte, war da eine kleine Tür, offensichtlich eine Abstellkammer. Sie war nicht verschlossen. Und fast voll. Lauter Pakete!
Alex öffnete eines davon. Darin befand sich ein lederner Koffer mit Zahlenschloss. Alle Pakete waren gleich. Er schätzte den Inhalt des Raumes auf 12 bis 14 Koffer.
Kopfschüttelnd ging er die Treppe hinunter und wollte endlich in die kühle, nasskalte Luft des nächtlichen Hechingen treten. Doch die Tür war abgeschlossen. Gerade als er zu einem ausgedehnten Fluch Konzert anlegen wollte, fiel ihm wieder der Ort ein. Also unterdrückte er seinen inneren Drang.
„Das hat diese Jemain absichtlich getan!“, knurrte er. Alex stapfte nun den Gang entlang, drückte die Klinke nach unten und stand im Büro der Seelsorgeeinheit.
„Na also!“ Dass die Tür hier offen war, das glaubte er nun doch nicht. Aber durch eines der Fenster konnte man leicht auf die Straße klettern.
Könnte man, doch als er eines der Fenster geöffnet hatte, starrte Alex Kanst auf weiße Gitterstäbe. Fassungslos schloss er das Fenster wieder.
Jetzt war er mitten in der Nacht, oder war es nun schon bald Morgen, im Büro der Seelsorgeeinheit eingeschlossen, wie ein Gefangener im Knast.
Alex war nun müde, hatte keinen Sex seit einer unheimlich langen Zeit (zumindest für ihn) und wollte eine heiße Dusche.
Was sollte er nun tun, warten, bis die absolut hübschen Bürodamen erschienen? Die Polizei rufen?
Nein und nein!
Er würde hier ausbrechen! Jetzt erst recht, dann würde die Jemain dumm gucken morgen! Genau, so müsste es gemacht werden, die wartet doch bloß darauf, dass sie ihn morgen hier abholen kann.
Doch leider waren alle Fenster im Parterre vergittert.
„So eine elendige …!“ wieder unterdrückte er einen sehr schwäbischen Fluch. Plötzlich fiel ihm ein, dass zur Münzgasse ja eine Garage war. Nach zahlreichen vergeblichen Versuchen (er war in einem kleinen Saal, in einer Teeküche, im Heizraum) stand er in der Garage, wo mindestens vier Autos Platz hatten. Doch da stand nur ein Porsche Cayenne. Wobei das Wort „nur“ ja echt fehl am Platze war.
Ungläubig schüttelte Dr. Kanst den Kopf. Hatte das Jesus vorgegeben? Lebt bescheiden und kauft einen Porsche? Oder folgt mir nach … im Porsche!?
Wohl kaum.
Doch nun zum eigentlichen Problem: Er musste das Tor öffnen.
Und hier machte man es ihm ja leicht, es gab einen elektrischen Öffner.
Plötzlich und ohne Vorwarnung öffnete sich das Tor, und Alex war sich sicher, den Schalter noch nicht berührt zu haben. Instinktiv machte er einen Schritt zurück. Einen zu viel und er stolperte rückwärts über eine Holzkiste und fiel danach in einen Haufen mit blauen Müllsäcken.
Seine rechte Hand schmerzte wie Feuer und dennoch blieb er liegen, denn er hörte Stimmen.
Durch einen Lücke in den Säcken konnte er die Garage genau im Blick behalten. Ein dunkler Kleinbus mit getönten Scheiben fuhr in die Garage. Eine bekannte Stimme im Befehlston gab Anweisungen. Leider auf Italienisch und Dr. Kanst sprach außer Schwäbisch nur noch Englisch einigermaßen akzeptabel. Die Stimme gehörte zum dürren Begleiter seines Auftraggebers.
Aus dem kleinen Bus stiegen drei Personen, welche in Schutzanzüge gehüllt waren und diverses Putzwerkzeug dabeihatten.
„Morgen gut?“, sagte nun ein kleiner indischer Mann in einer braunen Kutte zum dürren Mann. Dieser nickte und der Inder setzte ein zufriedenes Lächeln auf. Dann verschwanden alle im Pfarrhaus.
„Höchste Zeit abzuhauen!“, brummte Alex und als ihm ein stechender Schmerz durch das Handgelenk fuhr, hatte er schon wieder einen Fluch auf den Lippen.
Im Schutze der Dunkelheit schlich er sich auf den Parkplatz der Münzgasse und dann langsam die Treppen