Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu

Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea - Park Min-gyu


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Kälte- und Kühltechnik.

      Obiges schrieb der bekannte Kühlhaltungshistoriker Theodor Engel in seinem Buch Das fantastische Zeitalter der Kältetechnik. Schau einer an. Ganz offenkundig durfte ich in einer fantastischen Ära leben.

      Wer hätte das gedacht?

      Vor diesem Hintergrund gelangte ich nach und nach zur tiefen Überzeugung, dass diesem Burschen, dem einstigen Hooligan, ein „gutes“ Recht auf freie Meinungsäußerung zuzugestehen war. Das war mein vollkommener Ernst. Wenn das nämlich alles stimmte, brauchte er sich wirklich nicht kleinmachen und hatte eindeutig mehr zu melden als ich selber.

      „Keine Frage, auch jetzt hat er bestimmt noch viel auf dem Herzen“, murmelte ich vor mich hin, indem ich ihn so betrachtete. In der Tiefe meines Herzens gab ich ihm ja völlig recht:

      Von der Warte der Kältetechnik betrachtet, war diese Welt doch unsäglich verrottet.

      4

      „Na eben: Hängt in unserer Welt nicht alles davon ab, wie der einzelne Mensch mit diesem Ding namens Kühlschrank umgeht?“ Der Wirt der Bierstube auf dem Hügel tat sich mit dieser Äußerung hervor. Das war ungefähr zu der Zeit, als bei mir selber hinsichtlich meiner Kühlschrank-Nutzung eine riesengroße Wende eintrat. Mir selber erschien diese Wende nur allzu natürlich. Will sagen: es war gekommen, was hatte kommen müssen, so kam mir das vor. Denn als ich eines Tages wieder einmal den Kühlschrank aufmachte und sich das altbekannte Bild vor mir ausbreitete – sprich: zwei Bierdosen, eine Box voll Kimchi, eine 1,5-Liter-Milchpackung mit weit offen klaffendem Ausgussschnabel, ein Karton Eier –, dachte ich mir mit meinerseits weit offen klaffendem Mund:

      Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.

      Das war doch ein Anblick, der der gesamten Menschheit zur Schande gereichte. Gebrauchte man in diesem fantastischen Zeitalter der Kühlhaltung seinen Kühlschrank doch tatsächlich immer noch für solche Bagatellen? Waren wir tatsächlich dermaßen vernunftlos? Ich besann mich, dann nahm ich die zwei Bierdosen, den Kimchibehälter, die Milchpackung und die Eier heraus und putzte das Innere des Kühlschranks blitzblank. Es sollte ein viel hehrerer Zweck sein, zu dem ich meinen Kühlschrank fürderhin nutzte, so mein feierlicher Vorsatz. Das würde mein kleiner Beitrag zur Ehrenrettung der Menschheit sein. In solcherlei erbaulichen Gedanken schwelgend, leerte ich die schon gestockte Milch in den Abfluss.

      So grandios mein prinzipieller Vorsatz aber auch sein mochte – die zündende konkrete Idee, die dem grandiosen Entschluss hätte das Wasser reichen können, wollte sich dann ums Verrecken einfach nicht einstellen. Mein Kummer wurde von Tag zu Tag schlimmer, aber meine Jahrgangskollegen wollten von meinem Problem nichts wissen: „Was soll das denn, ist das etwa eine ernstzunehmende potenzielle Multiple-Choice-Frage?“ Auch die älteren Semester ließen nichts an sich heran und reagierten grob: „Mensch, deine Sorgen möchten wir haben. Du bist ja noch viel abgehobener als gedacht.“ Und den Kommilitoninnen war die Sache einfach nicht cool genug. „Hör bitte auf. Reden wir von was Coolerem!“, meinten sie genervt. Mit weit offen klaffendem Mund dachte ich:

      Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.

      Allerdings ging ich dann bei meiner Herumfragerei doch nicht ganz leer aus. So gab mir der Wirt der Bierstube auf dem Hügel den Rat: „Also, wenn ich noch in deinem Alter wäre, würde ich mir nicht viel scheißen und einfach mal alles Mögliche reingeben, egal was.“ Und meine Vermieterin meinte: „Vielleicht sollte man alles, was einem kostbar und teuer ist, im Kühlschrank verwahren. Im gekühlten Zustand bleibt es einem sicher lange gut erhalten.“ Von einem jungen Bibliothekar an der Uni kam die Überlegung: „Müsste nicht, der Menschheit zuliebe, zunächst und zuallererst das eingesperrt werden, was in der Welt von Übel ist? Will sagen, etwas wie die USA?“ Und vom Besitzer des Schallplattenladens, in dem ich Stammkunde war, bekam ich einen Zettel in die Hand gedrückt: „Vielleicht hilft dir das ja weiter.“ Auf dem Zettel stand, in sesamkornmäßig winziger Handschrift, Folgendes:

      Wie man einen Elefanten in den Kühlschrank hineinbekommt:

      1. Tür öffnen

      2. Elefant rein

      3. Tür schließen

      Ich bedankte mich sehr: „Das wird mir sehr helfen.“

      Am Ende beschloss ich also, in Hinkunft nicht mehr viel Federlesens zu machen, und alles einerseits mir Kostbare und Teure, andererseits alles, was für die Welt von Übel war, umstandslos in meinen Kühlschrank zu stecken. Ob USA oder Elefant – das war sicher Jacke wie Hose. Selbst bei solchen Dimensionen ging es schließlich auch bloß um die Kategorie „einfach alles Mögliche, egal was“.

      Meine erste Wahl fiel auf Gullivers Reisen von Jonathan Swift. Ein echtes Meisterwerk, und auch der Kühlschrank ließ kein Missfallen erkennen. Wie Armstrong bei seinem ersten Schritt auf den Mond, so behutsam legte ich das Buch mitten in den leeren Kühlschrank. „Keine Bange, wird schon nicht schiefgehen“, beruhigte ich Gulliver, der verunsichert diese ihm fremde Umgebung musterte, und schloss sacht die Tür. Geschafft! Nun war Gulliver, der Menschheit zuliebe, auf lange Sicht wohlverwahrt.

      Der Anfang war damit gemacht. In der Folge las ich, mal gründlich, mal bloß oberflächlich, die Klassiker der Menschheit, fällte mein Urteil, traf meine Wahl, und legte säuberlich ein Meisterwerk nach dem anderen in den Kühlschrank. In den meisten Fällen waren es Bücher, aber zwei, drei Filme zwängte ich auch zwischen die Literatur.

      Eines Tages, als ich erfrischt aus einem ausgiebigen Mittagsschlaf erwachte und um mich blickte, schob sich unweigerlich der Kühlschrank in den Blick, der seinen „fantastischen“ Lärm erzeugte. Die Meisterwerke der Menschheit waren da drinnen gestapelt ‒ und wie er so kraftvoll sein Ding drehte, hatte ich einfach das sichere Gefühl, dass hier endlich einmal etwas so ablief, wie es sich eigentlich gehörte. Wahrhaftig

      eine Kältetechnik wie aus den kühnsten Fantasien.

      5

      Irgendwann, an einem Sonntag, schaute mein Herr Papa vorbei. „Na, lange nicht gesehen“, bemerkte er zum Gruß. „Das stimmt“, pflichtete ich ihm bei. „Warum lässt du dich dieser Tage so überhaupt nicht mehr zu Hause blicken?“ ‒ „Ich habe leider immer viel zu tun.“ ‒ „Verstehe. Und ich hab heute viel zu erzählen.“ Unverhofft aufgetaucht, saß er nun schon breit da und redete mir ein Loch in den Bauch. Es ging auf keine Kuhhaut. „Kurzum, du steckst tief in Schulden?“ ‒ „Ja, leider sieht es so aus.“

      Mit einem Wort, es ging um eine Summe, die alle Vorstellung sprengte, und wenn er diese Schulden nicht tilgen konnte, blieb es an mir hängen und ich musste alles zurückzahlen. Zu allem Überfluss waren es Schulden in US-Dollar. „Ich hatte auch für meine Geschäftsfreunde gebürgt. Mitglied im Country-Club wird man schließlich nicht umsonst. Außerdem, auch wenn du das vielleicht nicht verstehst, hatte ich als Oberhaupt und Ernährer einer Familie ja jahrzehntelang weiß Gott wie viele Auslagen und Kosten. Wie auch immer, es ist an der Zeit, dass ihr jetzt etwas Verantwortung übernehmt. Wer von euch irgendetwas Verkäufliches hat, sollte sich davon trennen und es verhökern. Und alles was nur irgendwie aus Gold ist, sollten wir auch zusammentragen und verscherbeln. Was meinst du?“

      Ich brauchte Zeit zum Nachdenken. Denn so ein Vater war doch ein denkbar vertracktes Wesen. Jeder wird sagen: kostbar. Aber gleichzeitig war der hier doch ein eindeutiges Übel. Musste so was wirklich die Welt verpesten?

      „Fürs Erste behelfen wir uns mal damit.“ Gesagt getan, folgte ich dem empfohlenen Verfahren. Und was dieses anlangte, war die klare Abfolge die: 1. Tür auf, 2. Vater rein, 3. Tür zu. Am Ende war er einwandfrei verstaut.

      Ich hatte damit gerechnet, dass es nicht ohne größeren Lärm abgehen würde, aber wider Erwarten blieb es in dieser Nacht ganz still. War er mir etwa erfroren? Ich riss die Kühlschranktür auf, aber wie sich herausstellte, war er bloß in ein Buch vertieft. „Wie steht es, passt die Temperatur?“ fragte ich. „Hier drin gibt es viele gute Bücher“, wich er meiner Frage


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