Entenbootweltbürger und andere Erzählungen aus Südkorea. Park Min-gyu
was sagst du dazu?“ ‒ „Also ... ich weiß nicht recht ...“ ‒ „Dir fehlen die Worte, nicht wahr?“ ‒ „Ja, stimmt.“ ‒ „Als ich in der Mittelschule war, haben wir das alle gespielt. Damals gab es Spielhallen, da standen zehn Geräte nur für den Waschbären nebeneinander in einer Reihe. Man stand draußen Schlange, alles war verrückt nach diesem Spiel, da gab’s überhaupt keine Ausnahme.
Es war eine gute Zeit.“
Durchaus möglich, dachte ich bei mir. Wenn Waschbären und Mittelschüler so gut miteinander befreundet waren, dann konnte das keine schlechte Zeit gewesen sein. Als der Abteilungsleiter meinte: „Wie wär’s, willst du es auch mal probieren?“, lehnte ich allerdings dankend ab. Wie es früher mal war, konnte ich nicht beurteilen, was aber die Gegenwart anlangte, so hatte ich noch nie von enger Freundschaft zwischen Praktikanten und Waschbären gehört. In dem Punkt war ich mir ganz sicher.
„Enttäuschend.“
Das war wie eine Ohrfeige. Ich war ganz perplex: „Wie bitte?“ ‒ „Es ist enttäuschend, habe ich gesagt.“ ‒ „Was ist denn enttäuschend?“ ‒ „Ich hatte fest damit gerechnet, dass du den Waschbären magst.“ Sons Gesicht war bei dieser Unterhaltung nur dem Bildschirm zugewandt und seine Hände ganz vom Spiel in Anspruch genommen, darum war es, als hörte man die Stimme von jemand anderem. „Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen nicht weiter behilflich sein kann“, sagte ich kleinlaut und trat den Rückzug an. Beim Weg vorbei an den drei Schreibtischreihen war mir, als hätte ich drei Gebirgsketten zu überwinden. Konnte ich wissen, dass der Abteilungsleiter so auf diesen Waschbären steht? So eine Firma war eine echte Schlangengrube!
Ich hatte dann einen hektischen Nachmittag, an dem ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, bis irgendwann der Prokurist höchstselbst nach mir rief. Ich brüllte mein kräftiges „Jawohl!“ und sprintete los. Eifersüchtige Blicke schossen mir nach wie Pfeile und trafen mich in den Rücken. Der Beschuss kam von den zweien, die beim Englischtest so gut abgeschnitten hatten. Ihre Pfeilspitzen waren mit Gift getränkt. Mein Gott, diese Ahnungslosen, die wussten genauso wenig wie ich, was der Prokurist von mir wollte.
„Schau her, was hast du da angerichtet?“
Seine Frage klang nach „Mach mir nichts vor, ich weiß schon alles“, aber ich hatte tatsächlich keinen blassen Schimmer. „Was meinen Sie denn?“ ‒ „Dort drüben, der Abteilungsleiter Son.“ Ich schaute hinüber, und da war er, heilige Scheiße, nach wie vor begeistert mit dem Waschbären zugange. „Man hat mir zugetragen, dass du derjenige warst, der den Waschbären auf Sons Computer losgelassen hat?“ ‒ „Das ist nicht ganz die Wahrheit, es ...“ Mir drängten sich allerlei Wörter auf, Emulator beispielsweise, oder M.A.M.E., aber was, fragte ich mich, sollte der Prokurist, dieser fünfzigjährige Altknacker, mit so einer Erklärung anfangen? Er machte sowieso eine Miene, die zu verstehen gab, dass Ausreden bei ihm keine Chance hatten. „Das geht jetzt schon Stunden so. In der Zwischenzeit hat er zwei Tüten Gemüsecracker und drei Packungen Kartoffelchips gefressen. Die Symptome sind eindeutig.“ ‒ „Symptome? Wovon sprechen Sie?“
„Von der Waschbärentollwut.“
„Wie bitte?“ ‒ „Er ist schon angesteckt. In Amerika werden zur Ausrottung dieser Krankheit jährlich bis zu einer Milliarde Dollar investiert. Zeitweise hat man früher über ganz Ohio, flächendeckend, von Flugzeugen aus ein Mittel gegen diese Tollwut versprüht. Jedenfalls darf ich gar nicht dran denken, dass ein Waschbär in meinen Bereich eingedrungen ist. Selbst wenn du von all diesen Dingen nichts gewusst haben solltest, hättest du mich doch zuerst fragen können, ehe du so einen Waschbären freisetzt. Siehst du das nicht selber ein?“
Mir derart den schwarzen Peter zuschieben, das war denn doch ein starkes Stück. Was konnte denn ich dafür? Und was bitte sollte das mit der Waschbärenseuche? Was war denn das für ein Schwachsinn? „Pass auf: Früher galt der Waschbär als ein Plünderer, der auf der Suche nach Essbarem in die Scheunen der Bauern einbrach. Mittlerweile schmarotzt er in Unternehmen und Firmen. Will sagen, er ist noch gefährlicher als jeder Spion. Was hast du überhaupt an der Uni gelernt? Der Waschbär ist der Feind jedes Betriebs, ein Feind der Menschheit. Merkst du dir das?“
„Ja.“
„In Zukunft also Vorsicht, wär doch schade um so einen Süßen!“ Dabei fasste er mir kurz ans Kinn und ruckelte daran. Mir war eher, als würde er dabei sagen „Du bist draußen!“, und dementsprechend angepisst war ich. In was für einer Firma war ich da, um Himmels Willen, gelandet? Unwillkürlich entfuhr mir ein Seufzer, aber das war auch schon alles, was ich hervorbrachte. Etwas raschelte und knisterte. Der Abteilungsleiter Son wühlte sich gerade durch seine dritte Tüte Gemüsecracker.
Ein Jammer,
ein Jammer! „Ursprünglich war er ja ein tüchtiger Mitarbeiter“, meinte der Prokurist, während wir den Computer des Abteilungsleiters Son neu formatierten. Es war wie bei diesem Flächendeckend-vom-Flugzeug-aus-den-ganzen-Bundesstaat-mit-einem-Impfstoff-Überziehen ‒ genauso konsequent formatierten wir den Computer nun schon zum dritten Mal neu. Ein Durchschnittsmensch war er jedenfalls nicht, unser Prokurist.
Am Vortag hatte der Abteilungsleiter Son die Firma verlassen. Das mit dem Waschbären hatte bloß zwei Wochen davor seinen Anfang genommen. Nach außen hin hieß es, Son habe die Verantwortung für den Misserfolg der Wettbewerbspräsentation seines Teams übernommen, aber der wahre, freilich nur dem Prokuristen und mir bekannte Grund war die Waschbärentollwut. War das nicht der jämmerlichste Grund, den man sich vorstellen kann?
Also wenn man so will, war das alles schon sehr merkwürdig. Der Abteilungsleiter Son hatte den ganzen lieben Tag lang selbstvergessen dem Waschbärenspiel gefrönt und innerhalb kurzer Zeit extrem Fett angesetzt. Klar, es war auch nur allzu natürlich, dass er zunahm, wenn er ohne Unterlass irgendwas futterte. Aber diese Maske rund um seine Augen, war die ebenfalls nur allzu natürlich? Also ich hätte mir keine Antwort auf diese Frage zugetraut. Um seine Augen herum wimmelte es auf jeden Fall auf einmal von so etwas wie lauter schwärzlichen Sommersprossen; von Weitem betrachtet, sah das aus wie ein schwarzes Band, links und rechts spiegelgleich. „Was ist denn das, der sieht ja schon komplett aus wie
ein Waschbär.“
So munkelten die Leute. Gewiss, seine Sommersprossen mochten einfach vom übermäßigen Computerspielen entstanden sein. Aber egal, die Leute begannen jedenfalls alsbald den Abteilungsleiter Son zu meiden. Von Tag zu Tag wurden die Sommersprossen rund um seine Augen immer dunkler, und dementsprechend sah er einem Waschbären immer ähnlicher. „Gibt es da kein Mittel dagegen?“, fragte ich den Prokuristen, aber der meinte schlicht: „Nein, leider nicht.“ Und aus diesem schlichten Grund blieb der Abteilungsleiter Son nun überall außen vor.
Sein einziger Gesprächspartner war ich. Jedes Mal wenn eine dieser Besprechungen vorbei war, zu denen alle gebeten waren, bloß er nicht, rief er mich zu sich. Ich schrie dann jedes Mal „Jawohl“, sprintete zu ihm hin und musste mir dann regelmäßig ein derart unsägliches Geschwätz anhören, dass es einem blanken Hohn auf meine beflissene Dienstbereitschaft gleichkam. Wie man sich schon denken kann: Von Anfang bis Ende drehte sich alles um den Waschbären.
„Schau mal genau her, das hier ist Level 23. Wenn man hier diese Leiter runterkommt, tut sich eine weite Lücke auf. An deren gegenüberliegendem Ende gibt es eine punktgroße Fläche, auf der man landen kann. Die Lücke lässt sich also überspringen. Aber das Problem ist das Danach. Denn wenn man dann weiterspringen will, fällt man unweigerlich runter auf den Reißnagel. Ich kann mich einfach nicht erinnern, wie ich früher hier drübergekommen bin. Seinerzeit habe ich das geschafft. Es ist zum Haareraufen.“
„Aber warum haben Sie mich gerufen?“
„Ach so, ja, ich dachte nämlich, dass jemand wie Sie weiß, wie das geht.“
„Wie kommen Sie denn auf die Idee, dass ich das wissen könnte?“
„Sie sind doch mit dem Waschbären gut Freund.“