Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket. A. F. Morland
ermordet wurde.“
„Das hat mir Ihr Kollege mitgeteilt, ja.“
„Sind Sie nicht auch daran interessiert, dass der Mörder gefasst wird?“
„Natürlich. Wer wäre das nicht?“
„Sie sind wahrscheinlich mit der Vorgehensweise, die für uns Routine ist, nicht vertraut. Aber es gehört zwingend zu einer Mordermittlung dazu, dass man die Wohnräume des Opfers nach Hinweisen durchsucht. Oft ergeben sich hier die entscheidenden Anhaltspunkte.“
„Dagegen ist im Allgemeinen nichts zu sagen. Es geht ja auch nur um ein einziges Zimmer, bei dem ich Ihre Kollegen gebeten habe, es nicht zu betreten. Ansonsten können Sie sich gerne umsehen und ich habe auch zugesagt, sie nach Kräften zu unterstützen.“ Er wandte den Kopf. „Auch wenn Ihr Kollege dieses Angebot offenbar nicht so recht zu schätzen wusste!“, füge er anschließend noch mit einer deutlich bissigeren Tonlage hinzu.
Jay Kronburg verkniff sich eine Bemerkung. Und das war auch besser so. Der ehemalige Cop in den Diensten der City Police war vielleicht nicht der geborene Diplomat, aber allein damit war der Widerstand des Majordomus gegen das Betreten dieses einen Zimmers wohl nicht zu erklären.
„Ihnen ist doch klar, dass wir Ihre Weigerung, uns die Tür des Zimmers zu öffnen, nicht akzeptieren können und notfalls mit Gewalt dort eindringen müssen“, erklärte ich ihm.
Thorpes Mund wurde zu einem schmalen dünnen Strich.
„Agent Trevellian, dieses Zimmer hat nichts mit dem Mord an Mister Reigate zu tun.“
„Wie können Sie das wissen?“
„Ich weiß es eben und…“ Er zögerte. Der Blick seiner wässrig blauen Augen traf mich einige Sekunden lang. Schließlich presste er hervor: „Es ist das Zimmer seiner Tochter.“
„Ich wusste nicht, dass Mister Reigate Familie hat.“
„Das ist auch schon ein paar Jahre her, Agent Trevellian. Ich habe das ganze Drama hautnah miterlebt und ich kann Ihnen sagen, es war grauenhaft.“
„Erzählen Sie mir mehr darüber.“
„Was hat das mit Ihrem Fall zu tun?“
„Alles, was mit Mister Reigates Leben zu tun hat, ist für uns wichtig.“
Thorpe seufzte. „Reigate hatte eine Tochter. Sie hieß Kate und sie war Reigates ein und alles. Kate Reigate war drauf und dran, eine erfolgreiche Harvard Absolventin zu werden, bis sie an Heroin geriet und süchtig wurde. Mister Reigate musste mehr oder minder hilflos mit ansehen, wie seine Tochter durch dieses Teufelszeug zu Grunde gerichtet wurde. Schließlich setzte sich Kate den so genannten goldenen Schuss. Daran zerbrach auch Reigates Ehe. Seine Frau leidet bis heute unter den psychischen Folgen, die durch den Tod der Tochter ausgelöst wurden und lebt in einem Sanatorium in Vermont. Und Mister Reigate hat sich wie ein Wahnsinniger in die Arbeit gestürzt. Er hat sich oft Vorwürfe gemacht, weil er Kate nicht helfen konnte.“
„Und dieses Zimmer – Kates Zimmer...“
„Mister Reigate hat es genau so gelassen, wie es war, als Kate zuletzt darin gewohnt hat.“
„Ich möchte dieses Zimmer gerne sehen“, verlangte ich ultimativ. „Ich werde nichts durcheinander bringen, aber ich muss dieses Zimmer sehen!“
Thorpe sah mich einige Augenblicke lang nachdenklich an. Dann nickte er schließlich. „Mir bleibt wohl keine andere Wahl.“
„Das stimmt.“
Ich folgte ihm. Milo kam ebenfalls mit mir, während sich Jay und Leslie in den anderen Räumen umsahen.
Thorpe führte uns durch einen breiten Korridor, an dessen Ende Kates Zimmer lag. Thorpe hole einen Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür.
Ich trat ein, blickte mich um. Ein Bett, ein Bücherregal mit der Literatur, die Kate für ihr Wirtschaftsstudium in Harvard benötigt hatte, eine Stereoanlage…
Das Zimmer wirkte tatsächlich so, als hätte seine Besitzerin es gerade erst verlassen.
„Ein Museum!“, stellte Milo fest.
Er hatte Recht. Wir befanden uns in Erroll Reigates privater Gedenkstätte für seine Tochter.
Ich öffnete den Kleiderschrank.
Kates Garderobe hing dort seit Jahren fein säuberlich aufgereiht auf Bügeln.
Ein Foto an der Wand zeigte sie in glücklichen Tagen mit ihrem Vater und ihrer Mutter.
Auf dem Bett lag ein Kranz. Frische Rosen standen in einer Vase auf dem Nachttisch. Und an der Wand hing ein Plakat, das ein Spritzbesteck zeigte. Darunter der Schriftzug: SIE WISSEN, WAS SIE TUN – ZUSEHEN IST MORD!
Ganz unten in der Ecke stand ein Copyrightvermerk aus diesem Jahr. Ich deutete auf das Plakat und sagte in Richtung von Thorpe: „Dieses Plakat hing aber mit Sicherheit noch nicht dort, als Kate Reigate noch hier lebte.“
„Das ist richtig“, bestätigte Thorpe. „Die Bekämpfung des Drogenproblems wurde zu einem der wichtigsten Anliegen, das Mister Reigate in den folgenden Jahren verfolgte. Er hat Millionen dafür gespendet. Leider musste er immer wieder erkennen, dass all die wohlgemeinten Maßnahmen von gemeinnützigen Organisationen immer nur wie Tropfen auf den heißen Stein wirkten. An der eigentlichen Problematik konnten sie nichts ändern.“
34
Jay und Leslie hatten sich Reigates Büro vorgenommen und waren auf interessante Details gestoßen. In einem verschlossenen Aktenschrank lagerten Dutzende von detaillierten Dossiers.
„Reigate hat offenbar Informationen über Heroinhändler gesammelt wie andere Briefmarken“, erklärte Jay. „Murray Zarranoga, Jason Carlos, Tom Santini… Alle, die der Road Killer bislang auf seiner Liste hatte, sind dabei.“
„Soll das heißen, dass Erroll Reigate der Auftraggeber des Road Killers war?“, fragte ich.
„Das wäre die einzig logische Erklärung.“
„Aber wieso hat dieser Killer dann seinen Auftraggeber umgebracht?“
„Das kann ich dir noch nicht sagen, Jesse.“
„Ein Motiv hätten wir jedenfalls“, warf Milo ein. „Das ehemalige Zimmer von Kate Reigate war ja in dieser Hinsicht wohl eindrucksvoll genug.“
ZUSEHEN IST MORD, so hatte es auf dem Plakat gestanden. Vielleicht hatte Reigate diesen Satz auf seine ganz persönliche Weise interpretiert. Er hatte einmal zusehen müssen, wie ein geliebter Mensch qualvoll vor die Hunde gegangen war.
Jetzt war er offenbar nicht mehr bereit gewesen, weiter dabei zuzusehen, wie die Profiteure des Drogenhandels an dem Unglück der Süchtigen verdienten.
Die Justiz war ihm wohl zu schwerfällig und hilflos erschienen. Er hatte etwas unternehmen wollen, hatte das Recht in die eigenen Hände genommen und war dabei selbst zum Verbrecher geworden.
Wir unterstützten Jay und Leslie beim Durcharbeiten des Materials. Reigate hatte ein halbes Vermögen für Privatdetektive und Informanten ausgegeben, um all das zusammenzutragen. Darunter waren auch sehr detaillierte Angaben zu den Lebensgewohnheiten der Drogenbosse, die Reigate ins Visier genommen hatte.
Dossiers, die man einem Profi-Killer übergeben konnte, damit er wusste, wo und wann er am besten zuschlagen konnte.
In einer verschlossenen Schublade fand sich eine Liste von Namen.
Sie waren mit Daten versehen.
Einige waren bereits durchgestrichen und mit eine zweiten Datum versehen, das jeweils einem Kreuz folgte.
„Todesdaten“, stellte Leslie fest. „Allerdings liegen davon einige noch in der Zukunft.“
„Irgendetwas