Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket. A. F. Morland

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fest, wenn sie so wild ist, sonst beißt sie dir noch irgendwohin, wenn sie aufwacht!«

      Das galt dem Kahlkopf. Sie schlug ihm flüchtig auf die Schulter und tippte eine Nummer ins Telefon. Eine rauchige Frauenstimme meldete sich.

      »Wir haben sie«, sagte Marilyn.

      »Gut gemacht, Kinder. Mach dir ein paar schöne Tage in Amsterdam.«

      Marilyn legte auf. »Die Chefin ist zufrieden. Los, Barry, wir müssen.«

      Der Rothaarige folgte ihr in die Hofeinfahrt. Sie sprangen ins Taxi. Barry stieß rückwärts auf die Straße hinaus.

      Um 11 Uhr 16 betraten sie die Flughalle des Kennedy Airports. Barry stellte die Koffer ab und eilte zum Schalter. »Amsterdam. Ist der Flug schon abgefertigt?«

      Der Mann am Schalter verneinte.

      »Uff!«, stöhnte Barry. »Hab meine Berufsehre verwettet, dass ich die Lady pünktlich zu ihrem Flug bringe.« Er deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Marilyn, die ihnen den Rücken zuwandte. »War wieder das reinste Löcherbohren in Manhattan.«

      Dann schnappte er sich das Gepäck und trug es durch die Kontrolle. »Gehört der Lady da.« Wieder der ausgestreckte Arm, wieder ein Blick diesmal der des Angestellten an der Gepäckannahme auf Marilyns Rücken. »Mrs. Vanhouven.« Barry senkte seine Stimme. »Zu fein, um die U-Bahn oder ein Shuttle zu nehmen, und zu geizig, um mit dem Helikopter zu fliegen.«

      Zehn Minuten später saß Marilyn in der Maschine. Nach dem Start zündete sie sich eine Zigarette an. Unter sich sah sie den Big Apple in der tiefblauen Umarmung des Atlantiks Zurückbleiben.

      Ein zufriedenes Lächeln huschte über ihr hübsches Gesicht. Sie musste an die Zeit auf dem College denken, damals in Texas, noch keine zehn Jahre her. »Ich werde mal nach New York gehen und ganz groß rauskommen!«, hatte sie ihren Freundinnen verkündet. Auch dem Direktor hatte sie das gesagt. An dem Tag, als er sie rausschmiss, weil sie die Finger nicht von den Jungs und den Drogen lassen konnte.

      Marilyn lachte in sich hinein. Sogar zwei der jungen Lehrer hatte sie verführt in ihrem letzten Jahr auf dem College.

      Den Traum von New York nahm sie mit, als sie bei Nacht und Nebel von zu Hause ausriss damals - sie war gerade 17 geworden. Aber es war ein langer Weg nach Babylon, verdammt lang und verdammt schmutzig, Gott weiß.

      Nach ein paar jämmerlichen Jahren in L. A., wo sie sich als Pornodarstellerin durchgeschlagen hatte, war sie in Atlanta gelandet. Der Chef eines Begleitservice hatte sie dort hingelockt. Doch das Leben als Edelnutte war dermaßen widerlich gewesen, dass sie sich nur mit Kokain über Wasser halten konnte. Eines Tages hatte sie einen von diesen geilen Ölscheichs ins Spielkasino begleitet. Und dort hatte die Chefin sie entdeckt. Und sie mit nach New York City genommen. Okay, groß rausgekommen war sie nicht. Aber sie verdiente mehr Geld, als sie sich je hätte träumen lassen. Es ging ihr gut, seit sie für die Chefin arbeitete. Unverschämt gut.

      In Amsterdam steuerte sie die nächste Telefonzelle an und meldete dem Kontaktmann ihre Ankunft. Damit war ihr Auftrag erledigt.

      Sie stieg in einem teuren Hotel ab, tourte durch einige Nachtbars, rauchte ein paar Joints und schleppte einen der großmäuligen Möchtegernkünstler, wie man sie in einschlägigen Cafés der Stadt fand, in ihr Hotelzimmer ab. Er war nicht gut, aber besser, als es sich selbst zu machen.

      Am nächsten Abend flog sie zurück nach New York.

      4

      »Okay, Bob wir haben die Position erreicht!« Der Pilot drehte sich um und reckte den Daumen nach oben. »Hals und Beinbruch!«

      Bob winkte und schob sich die Schutzbrille nach unten über die Augen. Der Flugbegleiter riss die Tür der kleinen Maschine auf. »Guten Flug, Dr. Erikson!«

      Bob klammerte sich mit seinen in dicken Lederhandschuhen steckenden Händen am Türrahmen fest. Nur einen Augenblick sah er auf den grünen Flickenteppich etwa 3.000 Fuß unter sich. Dann stieß er sich ab.

      Er breitete die Arme aus und streckte die Beine leicht gegrätscht von sich. Und schon stabilisierte er sich in der X-Lage und rauschte bäuchlings in die Tiefe. Die Luft zerrte an seinem Overall, und er gab sich ganz dem Anblick hin, der sich ihm bot.

      Unter ihm breitete sich die von zahlreichen Seen durchbrochene Waldlandschaft des Nordzipfels von New Jersey aus. Im Osten, über dem Atlantik, dämmerten die ersten Grauschleier der Nacht herauf.

      Etwas weiter nördlich wölbte sich die Dunstglocke, unter der der Big Apple vor sich hin stank. Im Westen stand der Glutball der Sonne über dem Horizont.

      Bob liebte es, um diese Stunde zu springen, wenn der Tag zu Ende ging und die Sonne ihr mildes Abendlicht auf Wälder, Städte und Straßennetze streute. Und für wenige Augenblicke die Illusion gestattete, die Welt dort unten sei ein hübscher, friedlicher Ort, an dem man ohne Angst vor Kriminellen, Fanatikern, Militärs, verrückten Politikern und Finanzbehörden leben konnte.

      Ein rauschhaftes Hochgefühl überkam ihn. In solchen Momenten vergaß Bob, dass knapp zwei Autostunden entfernt, unter dieser hässlichen Dunstglocke, in einem Haus, das sein Haus war, eine Frau, die seine Frau war, es gerade mit einem ihrer Lover trieb, und irgendwo in der Upper East Side dieser verdammten Stadt Manager, deren Chef er war, sich in diesem Augenblick überlegten, wie sie ihm morgen wieder ans Bein pinkeln konnten.

      Er schlug einen Rückwärtssalto. Und noch einen. Und noch einen. Versuchte einige Spiralen zu drehen und schrie dabei vor Begeisterung laut und anhaltend. Dann ging er zurück in die Freifallhaltung.

      Die dunkle Wand über dem Meer hatte sich näher geschoben, und die Sonne schien den Horizont jetzt zu berühren.

      Er genoss noch einige Sekunden lang dieses unbezahlbare Gefühl von Freiheit und versuchte dann den Wagen auszumachen, den sein Sohn am Rand der Lichtung dort unten geparkt hatte. Als er den winzigen Farbtupfer entdeckte - seinen Sohn selbst konnte er noch nicht erkennen - zog er die Leine. Er bereitete sich auf den typischen Ruck vor, mit dem er in die Brust und Schultergurte stürzen würde, wenn sich der Schirm öffnete.

      Doch nichts dergleichen geschah.

      Erstaunt schaute Bob nach oben. Der Schirm hatte sich nicht geöffnet!

      Das war ihm in über 20 Jahren Fallschirmspringen erst zweimal passiert. Einmal in Panama, als er mit der Army dort stationiert war, und das zweite Mal vor acht Jahren, an seinem 45. Geburtstag.

      Trotzdem tat Bob instinktiv das, was ihm der Colonel eingeschärft hatte, bei dem er das Fallschirmspringen gelernt hatte: Er riss an der Leine für den Notschirm.

      Schlagartig verwandelte sich die durchtrainierte Blutpumpe in seiner Brust in einen Eisklumpen - auch der Notschirm öffnete sich nicht!

      Die Kälte schoss ihm bis in die Zehenspitzen und auch in die Wurzeln der wenigen Haare, die ihm noch geblieben waren.

      Er zerrte an den Leinen, er brüllte vor Panik, er schlug mit beiden Händen auf den Verpackungssack auf seinem Rücken - es tat sich absolut nichts. Nichts.

      Bob riss die Augen auf und sah die Baumwipfel auf sich zurasen. Sein Gezappel hatte ihn ein wenig abdriften lassen. Die Lichtung, auf der er landen wollte, lag plötzlich viel zu weit rechts.

      Noch höchstens zehn Sekunden, schoss es ihm durch den Kopf, und als würde mit einem Mal eine lang verschlossene Tür in seinem Schädel aufspringen, ergossen sich hunderte von Bildern in seine Hirnwindungen: Bob bei der Feier anlässlich seiner Berufung in die Geschäftsführung, Bob mit einem Säugling im Arm, Bob mit seiner Braut Muriel im Portal der lutherischen Kirche, Bob mit Doktorhut, Bob mit seiner Basketballmannschaft im College, Bob auf seinem ersten Fahrrad, Bob im Laufstall, Bob... Das letzte Bild überflutete sein Hirn mit wohliger Wärme, die sich fast zärtlich in seinem ganzen Körper ausbreitete - ein Gesicht. Es war das schönste Gesicht, das er je gesehen hatte, das Gesicht einer Frau - seiner Mutter...

      Er spürte keinen Schmerz,


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