Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode

Der lange Weg in die Freiheit! Deckname


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wollten mit ihnen nochmals über unser Ausreiseproblem sprechen. Nur deshalb hatten wir diese weite Fahrt gemacht, aber dazu kam es nicht! Sie berichteten vielmehr über die einzelnen Stationen ihres Urlaubs. An unserem Problem zeigten sie kein Interesse!

      Wir hatten uns im August 1968 auf einem Campingplatz in Prag kennengelernt. Seit dieser Zeit trafen wir uns mindesten einmal im Jahr. Ein Thema, aber keinesfalls eines der dominierenden, war auch die Erörterung einer Möglichkeit, wie wir die DDR verlassen könnten. „Wenn ihr unsere Hilfe benötigt, ihr könnt auf uns rechnen!“ so oder ähnlich äußerten sie sich wiederholt. Nun aber, wie dieses Thema aktuell war, stießen wir auf Ablehnung, d.h. ihre Einstellung zu unserem Ausreisebegehren war ausgesprochen entmutigend. Enttäuscht traten wir am Sonntag die Heimreise an.

      Da wir Urlaub hatten, verbrachten wir die meiste Zeit des Augusts auf unserem Wochenendgrundstück in Wahlitz. Von hier aus sind wir auch nach dem nahegelegenen Gommern zum Baden und Eis essen gefahren, haben das Pretziener Wehr besichtigt usw.

      An einem Wochenende während unseres Urlaubs hatten wir unsere Freundin Anna mit Tochter, unsere Bekannten mit Sohn aus Berlin und unsere Bekannten aus Hamburg, die auf der Heimreise waren, eingeladen. Es war eine große und schöne Feier.

      Anfang September gingen wir wieder unseren Berufen nach, unsere Tochter besuchte die neunte Klasse der Polytechnischen Oberschule „Olga Benario Prestes“ Magdeburg-Nord und unser Sohn den Kindergarten in der Victor-Jara-Straße 19, ebenfalls in Magdeburg-Nord.

      Auf Grund des Antrages von Rosemarie, ihr einen Dienstreiseauftrag für den zweiten Lehrgang zur Fachapothekerausbildung in der ersten Oktoberwoche in Rohrbach auszustellen, erhielt sie Ende September folgende mündliche Information durch ihren Abteilungsleiter: „Die Vertreterin des Direktors hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, dass für den Lehrgang keine Einladung vorliegt. Sie brauchen von sich aus nichts zurückzugeben und sich auch nicht in Leipzig für ihr Fehlen zu entschuldigen.“

      Damit wurde Rosemarie die weitere Qualifizierung zum Fachapotheker versagt!

      Zum 12. Oktober wurde Rosemarie zum Direktor des Versorgungszentrums Pharmazie und Medizintechnik vorgeladen. Im Beisein der Genossin Kader forderte der Direktor Rosemarie ultimativ auf:

      „Ziehen Sie den Antrag auf Übersiedlung zurück! Mit diesem Schritt begeben Sie sich mit ihrer Familie auf die Seite des Feindes, und zwar eines aggressiven und kriegslüsternden Staates. Haben Sie sich überlegt, dass Sie eines Tages mit der Waffe in der Hand ihren ehemaligen Kolleginnen und Kollegen gegenüberstehen!“

      „Ich war schon immer für den Frieden, werde das auch weiterhin sein und mir ist nicht bekannt, dass die BRD eine friedensfeindliche Politik betreibt. Ich nehme den Antrag nicht zurück!“ war Rosemaries Antwort auf den völlig deplacierten Ausfall des Herrn Direktors. „Was wäre denn, wenn ich ihn zurücknehmen würde?“ stellte Rosemarie die Gegenfrage und bekam zur Antwort: „Sie müssten sich erst wieder bewähren!“ „Was verstehen Sie darunter?“ wollte Rosemarie wissen. „Sie würden einen Bewährungsauftrag erhalten, in dem Sie als Apotheker alle Aufgaben erfüllen, sich also bestätigen und zur Einsicht kommen müssten, dass das Stellen dieses Antrages falsch war. Auch müssten Sie aktiver politisch tätig sein“, so der Herr Direktor.

      Eine klarere Antwort, was „bewähren“ bedeutet, konnte er Rosemarie nicht geben, denn bisher hatte sie ihre Aufgaben als Apothekerin und als Leiterin eines Kollektivs, seit ihrem Eintritt in das Apothekenwesen vor nunmehr zwanzig Jahren, immer zur vollsten Zufriedenheit ihrer Vorgesetzten und Mitarbeiter erfüllt. Sie bzw. ihr Kollektiv wurden dafür wiederholt ausgezeichnet! Also Phrasen, die der Direktor von sich gegeben hatte.

      Erneut lehnte Rosemarie das Ansinnen, den Antrag zurückzuziehen, ab. Damit konnten wir auch diesen Termin abhaken.

      Am 9. November wurde ich zum Kaderdirektor der TH „Otto von Guericke" vorgeladen. Der Genosse Kaderdirektor ließ sich verlauten: „Die Technische Hochschule gibt Ihnen noch bis zum Jahresende die Möglichkeit, den Antrag zurückzunehmen!“ Meine Antwort war: „Wir nehmen den Antrag nicht zurück!“ womit das Gespräch schon wieder beendet war.

      Um mich auf dem Gebiet der Programmierung von Rechnern weiter zu bilden, wozu ich in der letzten Zeit als Oberassistent kaum gekommen war, begann ich mich ab Mitte November mit der Programmiersprache COBOL7 zu beschäftigen.

      In einer „Aussprache“ mit dem Direktor, am 19. Dezember, wurde Rosemarie mitgeteilt, dass sie nicht mehr in der Lage sei, als sozialistischer Leiter eines Kollektivs tätig zu sein und dass sie mit einer Umbesetzung rechnen müsste, wenn sie von ihrem Gesuch nicht zurücktreten würde. Siehe dazu [1.]8

       »Pharmazeutisches Zentrum Magdeburg/Wolmirstedt 90/Mü/Kl

       Protokoll der Aussprache mit Kolln. Bode am 19. 12.1984:

       Ausgehend von der Aussprache am 12.10.1984 wurde Kolln. Bode nochmals auf ihre falsche Position und ihr unberechtigtes Ersuchen hingewiesen.

       Dabei war es auch Schwerpunkt, daß sie aus den Darlegungen Verursacher des Antrages ist (es handelt sich um ihre Angehörigen) und damit hohe Verantwortung für die ganze Familie trägt.

       Im Ergebnis blieb Kolln. B. dabei, ihr Ersuchen aufrecht zu erhalten, bestimmt vom persönlichen Anliegen. Sie sieht ihre fleißige fachliche Arbeit als ein ausreichend korrektes Verhalten an.

       In einem 2. Punkt der Aussprache (unter Hinweis auf die völlige Unabhängigkeit von Punkt 1) wurde sie davon in Kenntnis gesetzt, daß mit Wirkung vom 1.01.1985 ein neuer Stellenplan in Kraft tritt und sie die bisherige leitende Funktion nicht mehr ausüben kann, da diese Stelle gestrichen wurde. Sie erhält in Kürze eine andere Tätigkeit als Apotheker nachgewiesen.

       OPhR

       Direktor«

      Plötzlich gab es einen neuen Stellenplan, in dem genau diese Stelle gestrichen wurde, die eine „Ausreisewillige“ innehatte! Dem Protokollverfasser war dies wohl selbst aufgefallen, sodass er die Bemerkung:

       »unter Hinweis auf die völlige Unabhängigkeit von Punkt 1«

      einfügte.

      Kurz vor Weihnachten traf ich meinen ehemaligen Vorgesetzten, d.h. den stellvertretenden Sektionsdirektor für Ausbildung und Erziehung, zufälligen im HO Warenhaus. Als guter Genosse sah er sich veranlasst, mich mit folgenden Worten zu belehren: „Nehmen Sie den Antrag zurück, sonst wird es Ihnen noch leidtun!“ Dann trennten sich unsere Wege. Ich wechselte nie wieder ein Wort mit ihm, denn ich fand diese Äußerung sehr bedauerlich, besonders, da ich sehr gerne mit ihm zusammengearbeitet hatte. Solche eine Aussage bzw. Drohung hätte ich ihm nie zugetraut, noch dazu außerhalb der Hochschule! So kann man sich irren!

      Am vorletzten Tag des Jahres, es war der 208. Tag seitdem wir unser 1. Gesuch auf ständige Ausreise aus der DDR gestellt hatten, schickten wir unser 3. Gesuch auf Übersiedlung an die Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg. Eine Antwort erhielten wir nicht!

      1 Der Kündigungstermin zum 31.8.1985 ergab sich aus arbeitsrechtlichen Gründen, d.h. nach dem 31. Mai konnte eine Kündigung nur zum 31. August des folgenden Jahres erfolgen. Zumindest hierbei richtete man sich nach den gültigen Gesetzen, vielleicht in der Hoffnung, dass wir innerhalb des nächsten Jahres den Ausreiseantrag zurücknehmen würden.

      2 Staatsapparat, Kultur, Kirche, Untergrund

      3 Hochschulgewerkschaftsleitung

      4 Nationale Volksarmee

      5 Korb III: Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen

      6 Gesetzblatt

      7 Common Business Oriented Language, mit eine der ältesten Programmiersprachen

      8 Seite BStU 072, siehe Literaturverzeichnis

       3. Die unsichtbare Front 1984

      Während der Jahre, die wir auf


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