Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018. Cedric Balmore

Auswahlband Schicksalsroman 8 Romane in einem Buch September 2018 - Cedric Balmore


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sie über ihre Gefühle nachdachte und ihr bewusst wurde, dass sie sich regelrecht nach seiner Gegenwart sehnte, wurde sie zornig auf sich selbst.

      Nein, dachte sie, jetzt fange ich von mir aus an. Wir wollen es beide nicht. Ich darf gar nicht an ihn denken. Es gibt ganz andere Dinge, auf die ich mich konzentrieren sollte.

      Erst am Nachmittag traf sie mit ihm zusammen. Sie begrüßten sich, und er lächelte, als er fragte:

      „Hat es Ihnen eigentlich gestern gefallen?“

      Sie nickte. „Es war sehr schön. In jeder Beziehung.“

      „Finde ich auch“, stimmte er zu. Dann blickte er sich nervös um, warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Wir haben da ein Problem in der Intensivstation. Ich muss gleich noch einmal hin.“

      „Was ist es denn? Ein Herzinfarkt?“ Er nickte. „Ziemlich schlimme Geschichte. Hoffentlich bringen wir ihn durch.“

      Dann war er schon wieder weg.

      Am nächsten Tag wurde sie von Professor Winter eingespannt. Die Sprechstunde begann mit zwei Stunden Verspätung, weil er eine Notfalloperation hinter sich hatte und früher nicht beginnen konnte. Dabei waren es alles bestellte Patienten.

      Die Sprechstunde zog sich dann bis kurz vor drei am Nachmittag hin. Immer wieder kam etwas dazwischen, sodass Professor Winter die ambulante Sprechstunde unterbrechen und irgendwohin musste.

      Doris atmete auf, als endlich die letzte Patientin durch war.

      Die Chance, in der Kantine noch etwas zu essen zu bekommen, war gleich null. Aber sie hatte einen Bärenhunger. Am Morgen war sie nämlich etwas zu spät aus dem Bett gekommen und hatte so gut wie nichts gefrühstückt. Im Verlauf der Sprechstunde war es unmöglich gewesen, einen Happen zu essen. Ihr war fast schlecht vor Hunger.

      „Sie sehen blass um die Nasenspitze aus, Schwester Doris“, bemerkte Professor Winter lächelnd. „Haben Sie so einen Hunger wie ich?“

      Sie nickte freimütig. „Und wie, Herr Professor.“

      „Und in der Kantine bekommen wir garantiert keinen Happen mehr. Um die Zeit sind die schon am Putzen und haben die Stühle hochgestellt. Wissen Sie was? Kommen Sie doch mit zu mir herauf. Meine Frau wird Ihnen ein paar Happen zusammenbrauen.“

      Doris schüttelte den Kopf. „Aber nein, danke. Ich werde auf der Station ein paar Bissen essen.“

      „Ach, nicht doch. Kommen Sie mit herauf. Sie haben mir so schön geholfen. Sie machen Ihre Sache großartig. Ich beneide meinen Kollegen Graf um Sie. Aber ich will Sie ihm nicht wegnehmen. Das wäre unfair. Arbeiten Sie gern mit ihm?“

      Sie nickte.

      „Kommen Sie. Wir gehen nach oben. Ich rufe nur kurz meine Frau an, damit sie nicht zu sehr überrascht wird.“

      Er telefonierte, und schon aus seiner Reaktion erkannte Doris, dass es Frau Winter offenbar sehr recht war, wenn er noch jemanden zum Essen mitbrachte.

      Als er aufgelegt hatte, meinte er lächelnd: „Meine Frau behauptet, jetzt mache es ihr wenigstens Spaß, etwas für mich zuzubereiten, weil ich nicht allein bin. Weil es sich lohnt, verstehen Sie?“

      Sie gingen nach oben. Natürlich hatte Doris Frau Winter schon kennengelernt. Eine sehr nette, natürlich wirkende Frau, Ende dreißig, nicht ganz so blond wie Doris, aber mit strahlend blauen Augen.

      Auch die Kinder kannte Doris natürlich. Den nahezu achtjährigen Stefan und die vierjährige Andrea.

      Aber die Kinder waren nur flüchtig da und gingen dann wieder in den Park spielen. Dort warteten bereits ein paar Freunde auf sie.

      Zum ersten Mal betrat Doris die Wohnung Professor Winters. Sie war mit wertvollen alten Möbeln eingerichtet, aber keinesfalls überladen, und wirkte sehr gemütlich. Hübsche Bilder, auch Fotos, und sehr viele Blumen gaben der Wohnung das Gepräge. Doris hatte ein Gespür für eine heimelige Atmosphäre, und hier fand sie die.

      Sie saßen auf dem Balkon. Es war ja herrliches Wetter draußen. Frau Winter hatte schnell Rühreier mit Schinken gemacht, dazu gab es Toast und frischen Salat. Ein zünftiges Glas Bier rundete das Essen ab.

      Doris aß mit Heißhunger. Aber sie beobachtete, dass es Professor Winter nicht anders ging.

      Frau Winter, die schon zu Mittag gegessen hatte, saß dabei, unterhielt sich mit beiden und blickte sehr zufrieden auf ihren Mann, aber auch auf Doris. Sie sah, wie gut es beiden schmeckte.

      „Das ist ja heute lange gegangen“, sagte sie zu ihrem Mann. „Ich habe gedacht, du kommst überhaupt nicht mehr.“

      „Der Teufel war los“, sagte er kauend und schien nicht gewillt, eine nähere Erklärung abzugeben. Das tat er dann erst, als er gegessen hatte und sich zufrieden zurücklehnte.

      Frau Winter brachte noch jedem eine Tasse Kaffee, trank selbst mit, und dabei unterhielten sie sich fast eine Stunde.

      „Ich muss längst wieder hinunter“, erklärte Doris.

      „Aber nicht doch“, wehrte Winter ab. „Jetzt sind Sie doch mein Gast. Und schließlich bin ich der Chef. Wenn das sonst nichts bringt, aber hier wenigstens bringt es etwas“, fügte er lachend hinzu. „Also, ich gebe Ihnen den dienstlichen Befehl, bleiben Sie ruhig noch was sitzen. Die werden da unten auch mal ohne sie auskommen.“

      Sie hätte wieder auf die Innere Station gemusst. Andererseits war die Unterhaltung mit Frau Winter und ihrem Mann nicht unangenehm. Im Gegenteil. Sie verstand sich mit Frau Winter auf Anhieb gut. Bisher hatten sie sich nur gegrüßt. Und plötzlich kam die Unterhaltung auf Wieland Graf. Doris hätte nicht sagen können, wie sie darauf gekommen waren. Aber es ergab sich so. Und es war Frau Winter, die sagte:

      „Sie arbeiten gern mit ihm zusammen, nicht wahr? Ich glaube, dass er ein sehr netter Mann ist.“

      „Er ist ein sehr netter Mann“, bestätigte Doris.

      „Ich habe meinem Mann oft gesagt, wir müssten uns mehr um ihn kümmern. Er macht auf mich den Eindruck eines Menschen, den man seelisch unterstützen muss.“

      „Er lehnt das aber ab“, sagte Winter zu seiner Frau. „Und er ist ein erwachsener Mensch. Ich kann meine Liebe nicht anderen aufdrängen, wenn sie die gar nicht wollen. Liebe Helga, du gehörst zu den Leuten, die nach Pfadfinderart jeden Tag ihre gute Tat vollbringen wollen. Das ist die Sorte, die sich auf einen alten Mann stürzt, um den über die Straße zu bringen, und in Wirklichkeit wollte er gar nicht hinüber. Lass Doktor Graf in Frieden! Er ist erwachsen. Und er weiß, was er tun muss. Uns geht das doch nichts an.“

      „Aber du bist es doch, Florian, der immer predigt, dass man andere nicht allein im Regen stehen lassen soll. Dass man ihnen helfen soll wenn sie Schwierigkeiten haben, wenn sie in Not sind, wenn sie ein seelisches Tief haben.“

      „Ja“, meinte er nickend, „wenn sie das wollen. Aber nicht gegen ihren Willen. Und so lange er keinen Selbstmordversuch unternimmt, und danach sieht er weiß Gott nicht aus, ist es sein Problem.“

      Helga blickte Doris beifallheischend an. „Nun sagen Sie doch mal was. Sind Sie auch der Meinung meines Mannes?“ Doris lächelte unsicher. „Ich würde Ihnen so gerne beipflichten, Frau Winter, aber ihr Mann hat recht. Nach meinem Standpunkt hat er recht.“

      Helga Winter seufzte. „Dann bin ich wieder geschlagen. Aber ich meine dennoch, dass man sich um ihn kümmern sollte, und wenn er zehnmal diese Hilfe ablehnt. Er tut es aus Bescheidenheit.“ Winter kannte seine Frau und wusste, wie fanatisch sie werden konnte, wenn es um so etwas ging. Er räusperte sich und erklärte in völlig verändertem Tonfall:

      „Ich glaube, Schwester Doris, wir beide müssen wieder an unsere Pflicht.“ Er wandte sich seiner Frau zu. „Schönen Dank, Helga. Ich habe mit großem Appetit gegessen.“ Er lachte. „Um nicht zu sagen mit mörderischem Kohldampf.“

      Zum Abschied sagte Helga Winter zu Doris: „Wenn Sie nach Dienstschluss oder in der Mittagspause einen Moment


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