Aus der Gosse in den Porsche. Peter Götz

Aus der Gosse in den Porsche - Peter Götz


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Spirale aus Geld verdienen und noch mehr Geld verdienen, führt nicht selten zu Frust. Du glaubst, du bist ein reicher Kerl, findest dich ganz toll. Bis du merkst, eigentlich hast du keinen nennenswerten Betrag auf dem Konto. X hat noch viel mehr. Und Y gibt am Tag so viel aus, wie andere im Monat brutto verdienen.

      Nur ein geringer Prozentteil der Bevölkerung schafft es ganz weit nach oben. Viele, die ein Buch über ihren vermeintlichen Erfolg geschrieben haben, stellen diesen in einem bestimmten Kontext dar. Es finden sich dann Umschreibungen wie: „Ich war ehrgeizig“, „Ich wollte schon als Kind das und das werden“, „Ich habe Tag und Nacht hart für meinen Erfolg gearbeitet …“ Doch zwischen den Zeilen findet sich dann meist ein Hinweis auf eine wichtige Begegnung oder eine ganz bestimmte Situation, die etwas Entscheidendes ins Rollen brachte. Zufälle eben.

      Ich habe mich nicht mit aller Macht nach oben gekämpft, wollte nie aus dem Milieu raus, in dem ich aufgewachsen bin. Ich habe dort nach wie vor Freunde, die mir wichtig sind, und lebe heute nur wenige Kilometer von meiner früheren Heimat entfernt.

      Ich war nicht ehrgeizig. Und von Fleiß konnte bei mir keine Rede sein. Was mich motiviert hat? Der Erfolg an sich. Das fing in der Schule an, als ich es plötzlich cool fand, Einsen zu schreiben statt Fünfer und Sechser. Es machen und bestmöglich zu Ende bringen, das war das Ziel und das spornt mich noch heute an. Ob dabei finanziell etwas rauskommt, interessiert mich weniger.

      Für Außenstehende schien mein Leben in so mancher Lebensphase oft ganz, ganz schlimm. Nicht selten habe ich mich in schwierigen Situationen wiedergefunden. Könnte sein, dass der eine oder andere die sich häufenden Turbulenzen mit einem Burn-out verarbeitet hätte. Ich nicht. Und das ist wohl meine große Gabe, dass es für mich „keine schlimmen Zustände“ gibt. Ich gehe mit einer negativen Situation ins Bett und wache mit einer positiven auf. Und die vermeintlich „schwierige Situation“ erwies sich im Nachhinein nicht selten als Glücksfall.

      Und genau darum geht es in diesem Buch: um das unerwartete Glück. Die zufälligen Begegnungen im Leben. Und darum, dass materieller Reichtum das Leben zwar sorgloser macht, es aber ratsam scheint, nicht am Finanziellen festzuhalten.

      Heimat

      Der Tag, an dem ich feststellte, glücklich zu sein, war ein beliebiger Wochentag. Ich war zehn Jahre alt und hing mit meinen Kumpels Aaron, Murat, Mike, Tim und Andi draußen auf der Straße ab. Es war neu für mich, Freunde zu haben. Siebenmal hatte ich aufgrund familiärer Umstände umziehen müssen, was zur Folge hatte, dass ich fünfmal in eine andere Grundschule und einmal in eine neue Hauptschule wechselte. Ich hatte mich gar nicht getraut, mit jemandem näher befreundet zu sein. Wie lange hätte die Freundschaft gedauert? Aber jetzt schien endlich klar, wo ich hingehörte, konnte dieses von zahlreichen Kulturen geprägte Viertel meine Heimat nennen, und wusste, dass auch der nächste Tag ein guter Tag sein würde.

      Dieses Unstete hatte bereits kurz nach meiner Geburt begonnen, als ich nicht bei meiner Mutter bleiben durfte, sondern in die Obhut meiner Oma kam. Nicht gerade ein leichter Start ins Leben, wenn auch die Vorgeschichte zu den Klassikern zählt: Hübsches blondes deutsches Fräulein verliebt sich in rassigen türkischen Gastarbeiter. Kaum wird sie schwanger, ist er weg!

      Das scheint mir allerdings die falsche Pointe, denn meine Mutter lernte während der Schwangerschaft einen anderen Mann kennen: groß, blond und ein Nachkriegsarier, wie ich ihn später nannte. Wer sich von wem trennte? Keine Ahnung. Der blonde Mann jedenfalls wollte meine Mutter, aber nicht mich, den Sohn eines Türken!

      Das Erinnerungsvermögen setzt bekanntlich mit drei oder vier Jahren ein. Deshalb weiß ich noch ganz genau, wie schrecklich es sich anfühlte, als mich meine Mutter wieder zu sich und den blonden Mann, mit dem sie mittlerweile verheiratet war, zurückholte. Nein, das ist viel zu milde ausgedrückt. Sie riss mich aus meiner neuen Familie förmlich heraus.

      Oma Else, selbst Mutter von zehn Kindern, sei nicht gerade „liebevoll“ gewesen, wurde von meiner Tante und meinen zahlreichen Onkeln immer wieder erzählt. Und von meinem Großvater – der nicht mein richtiger Großvater war – wurde behauptet, er habe seine Kinder früher geschlagen. Ich konnte mir das kaum vorstellen, denn ich, das Nesthäkchen und der Enkel, schien Narrenfreiheit zu haben. Ich fühlte mich geliebt und sah die viel älteren Verwandten als meine Geschwister an. Und jetzt sollte das alles nicht mehr gelten?

      Dass mich auch im neuen Umfeld Geschwister erwarteten, nahm ich zwar zur Kenntnis, tröstete mich jedoch nicht. Meine Halbschwester war ein Jahr nach mir zur Welt gekommen, mein Halbbruder zwölf Monate später. Er hatte im Mutterleib unter Sauerstoffmangel gelitten und galt als schwerstbehindert. Ich verstand das damals noch nicht, wunderte mich aber, dass er weder eigenständig essen noch mit mir reden konnte. Er lag einfach nur da und wartete darauf, dass er gewaschen, gewickelt und gefüttert wurde.

      Er hätte eine Lebenserwartung zwischen vier und sechs Jahren, wurde gesagt. Für mich nur eine Zahl. Erst als Erwachsener wurde mir klar, dass sein Alter von letztendlich siebenunddreißig Jahren Mutters hingebungsvoller Pflege zu verdanken war.

      Wie soll ich ein Familienleben beschreiben, das nach außen hin Wohlstand in Form von Haus und dickem Auto demonstrierte, im Inneren jedoch von Angst und Gewalt beherrscht wurde? Meine Mutter sieht es mir hoffentlich nach, denn meine Sicht der Dinge scheint eine andere als die der restlichen Familie. Wenn ich an diese Zeit denke, wird mir noch heute ganz wirr im Kopf. Hatte mein Stiefvater nur mich regelmäßig geschlagen? Galten nur für seinen Stiefsohn bestimmte Regeln und für seine eigene Tochter nicht? Seinen schwerkranken Sohn lasse ich hier mal außen vor.

      Die Atmosphäre war stets angespannt und eigentlich eine Katastrophe. Wie ich sie damals für mich benannte, kann ich nicht sagen. Wahrscheinlich fand ich keine Worte dafür, sondern trug eine ständige Angst in mir, verbunden mit Aggressionen gegen alles und jeden.

      Einmal fehlten angeblich fünf D-Mark im Geldbeutel meines Stiefvaters. Für ihn schien sofort klar, wer sie „geklaut“ hatte. Natürlich ich. Ohne mich anzuhören, zog er seinen Gürtel aus dem Hosenbund, legte mich übers Knie und versohlte mir den Hintern.

      In meiner Erinnerung waren Gewaltausbrüche dieser Art an der Tagesordnung, so als bräuchte er ein Ventil für seinen Frust. Dass er Alkoholiker war, erfuhr ich erst Jahre später.

      Während dieser Zeit fanden die zahlreichen Umzüge statt. Ich war nicht gut darin, mich immer wieder auf neue Mitschüler, unbekannte Lehrer und eine mir fremde Umgebung einzustellen. Und an gute Schulnoten war unter diesen Umständen nicht zu denken.

      Meine Mutter konnte meine innere Zerrissenheit nicht ausgleichen. Sie schien mit der schwierigen Familiensituation überfordert. Dazu der plötzlich aufwallende Zorn ihres Mannes, unter dem auch sie zu leiden hatte. Wir mussten höllisch aufpassen, denn ehe wir uns versahen, kippte die Stimmung und der Tag war gelaufen.

      Und dann geschah etwas, das ich kaum für möglich gehalten hätte und das alles verändern sollte. Meine Mutter trennte sich von ihrem Mann. Meine Schwester kam ins Internat – so die offizielle Version. Tatsächlich wurde sie bei einer Pflegefamilie untergebracht. Mein kranker Bruder blieb bei meiner Mutter und ich durfte endlich wieder zu meiner Oma zurück.

      Der Wechsel fiel mir leicht. Ich hatte ihn ja geradezu herbeigesehnt. Eine Bindung zu meiner Mutter hatte ich damals nicht, und wenn ich meine Gefühle hätte beschreiben müssen, wäre mir dazu nichts eingefallen. Das klingt traurig, aber so war es.

      Die meisten Onkel waren mittlerweile bei meiner Oma ausgezogen, und meine Tante Mia, die einzige in der Familie mit einem richtigen Schulabschluss (Hauptschule), lebte ebenfalls nicht mehr dort. Aus heutiger Sicht schienen fast alle mit jungen Jahren die Flucht von der Familie weg ergriffen zu haben. Hilfsarbeiter wurden auf dem Arbeitsmarkt gesucht und Gelegenheitsjobs gab es fast überall. Nur Onkel Oliver wohnte noch zu Hause, damals etwa sechzehn Jahre alt und für mich tatsächlich wie ein Bruder. Otto, Benno und die anderen kamen immer mal sporadisch und nur für kurze Zeit zurück, wenn eine Beziehung auseinandergegangen oder eine angemietete Wohnung gekündigt worden war. Ergab sich eine neue Lebensperspektive, zogen sie sofort wieder aus.

      Meine Oma war das Familienoberhaupt. Ich sehe sie noch heute vor mir, damals Anfang fünfzig, mit ergrauten Haaren und in einer Kittelschürze.


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