Die Gier des Staates. Peter Uhl

Die Gier des Staates - Peter Uhl


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in welchem Ausmaß Finanzbeamte bereit sind, Steuern bewusst zu hoch festzusetzen. Sie nehmen dabei sogar in Kauf, dass Steuerpflichtige dadurch in die Insolvenz getrieben werden. Jeden, der selbstständig tätig ist, kann das treffen.

      Viele Jahre lang unterrichtete ich angehende Steuerberater und bereitete sie auf die Steuerberaterprüfung vor. Zum Unterricht gehörte auch, über Fehlverhalten von Finanzbeamten zu sprechen und wie man sich dagegen wehrt. Erstaunt war ich, wenn Kursteilnehmer sich dahingehend äußerten, dass sie das nicht glauben würden: »Ein Finanzbeamter tut so etwas nicht, er hat ja nichts davon.« Die meisten hatten allerdings gerade erst ihren Uni-Abschluss gemacht und kaum Berufserfahrung. Andere dagegen mit mehr Praxisbezug – vor allem Steuerfachangestellte – hatten bereits einschlägige Erfahrungen gesammelt und baten mich um Tipps.

      Was passiert einem Finanzbeamten, der sich nicht an das Gesetz hält und gegenüber einem Steuerpflichtigen mit Vorsatz eine zu hohe Einkommensteuer festsetzt? Ein Anliegen dieses Buchs ist es, die Antwort auf diese Frage zu finden, und ein weiteres, wie man sich gegen einen solchen Übergriff wehren kann.

      Meine Beispiele über den geschilderten Verwaltungsmissbrauch kommen in einer nicht spezialisierten Steuerkanzlei in dieser großen Zahl nicht vor. In manchen Steuerkanzleien kommt ein vergleichbarer Fall in einem sehr langen Zeitraum vielleicht sogar nur einmal vor. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten mit der Interpretation. Was kann man aus einer einzelnen Fallgeschichte schon lernen? Man kann kaum erkennen, ob man es mit einem einzelnen besonders dummen, verantwortungslosen und/oder bösen Menschen zu tun hat, oder ob solch ein Fall systembedingt immer wieder geschieht. Gesicherte verallgemeinerungsfähige Aussagen lassen sich kaum gewinnen.2

      Weil ich meine Berufstätigkeit aber auf die Übernahme von Mandaten beschränkte, die ein hohes Ausmaß rechtswidrigen Verwaltungshandelns aufwiesen, hatte ich nicht nur mit einem einzigen Fall, sondern mit vielen Fällen zu tun. Von einer fehlenden Verallgemeinerungsfähigkeit meines Materials kann man deshalb kaum sprechen, vielmehr können repräsentative Erkenntnisse über rechtswidriges Verwaltungshandeln gewonnen werden.

      Betriebsprüfer und Veranlagungsbeamte stehen in einem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsbindung und Amtsinteresse. Da sie sich für Regelverletzungen zulasten des Bürgers nicht verantworten müssen – Finanzbeamte können sich wegen Rechtsbeugung nicht strafbar machen –, besteht bei ihnen keine Notwendigkeit oder innerliche Bereitschaft, für Rechtsverletzungen geradezustehen.3

      Die Betriebsprüfer führen laufend Betriebsprüfungen durch, das ist ihr Alltagsgeschäft. Sie haben ein Verfahrenswissen, das ein Steuerpflichtiger nicht haben kann, weil er mit Prüfungen relativ selten zu tun hat. Der Steuerzahler kennt deshalb auch die zahlreichen psychologischen Tricks nicht, die Prüfer anwenden, um sich durchzusetzen. Ein Prüfer erkennt schnell, ob sich ein Steuerpflichtiger zu wehren weiß, und wird dann vorsichtig agieren. In den meisten Fällen wird sich der Steuerpflichtige aber alleine nicht zu helfen wissen. Der Prüfer weiß das und kann seine Macht entsprechend missbrauchen. Insbesondere ältere Bürger und Menschen mit wenig Wissen über rechtliche Fragen fühlen sich durch die zunehmende Regelungsflut überfordert. Sie verstehen Verwaltungsabläufe nicht und haben auch keine Kompetenz im schriftlichen Umgang mit Behörden. Das führt zu einer großen sozialen Distanz zwischen Bürger und Verwaltungspersonal. In vielen Fällen stehen Bürger einer mangelnden Dienstleistungsbereitschaft des Verwaltungspersonals hilflos gegenüber.4

      Bei allen Fällen, die ich in diesem Buch darstelle, sind die Namen der beteiligten Personen geändert, die betroffenen Finanzämter werden jedoch genannt. Die Lösungshinweise entsprechen der Rechtslage, die in den Jahren galt, als die Finanzämter die Sachverhalte aufgriffen. Inzwischen hat sich bei einigen Sachverhalten die Rechtslage geändert, worauf ich nicht eingehen werde. Es kommt mir bei den Beispielen nur darauf an zu zeigen, dass man Finanzbeamten grundsätzlich nicht trauen darf. Alles muss hinterfragt werden, auch wenn es Zeit kostet.

       Teil I

       Hilf dir selbst, so hilft dir Gott

       1. Die Geschichte mit den Weintanks

      Im Wintersemester 1957/58 immatrikulierte ich mich an der Ludwig-Maximilian-Universität in München und begann mit dem Studium der Betriebswirtschaftslehre. Besonders motiviert war ich nicht, bis ich von meiner Mutter einen verzweifelten Brief bekam: Bei meinen Eltern hatte das Finanzamt eine Betriebsprüfung durchgeführt, die zu sehr hohen Steuernachzahlungen führte. Die Betriebsprüfung bezog sich auf Betriebe meines Großvaters, die meine Mutter 1948 geerbt hatte. Nachdem ihr Steuerberater nicht helfen konnte, sah sie in mir die letzte Chance.

      Zu den Betrieben meines Großvaters gehörten eine Obstkelterei, eine Brennerei und eine Likörfabrik. In seinem Geschäftshaus befanden sich in einem Keller, in dem Weinfässer lagerten, auch vier große gemauerte Tanks, die innen gefliest waren. Mein Großvater hatte für seine Brennerei aus Frankreich Wein importiert, den er in diesen Weintanks lagerte. Jeder Tank hatte ein Fassungsvermögen von 20.000 Litern. Während des Kriegs wurden die Tanks durch von Bomben verursachte Erschütterungen stark beschädigt. Eine Reparatur war zunächst nicht möglich, weil alle Bürger der Stadt evakuiert wurden. Nach Kriegsende besetzte französisches Militär die Stadt und gab sie erst ab 1951 nach und nach wieder frei.

      Eines Tages meldete sich ein Geschäftsfreund meines Großvaters bei meinen Eltern, der aufgrund seiner früheren geschäftlichen Kontakte Kenntnis von den Weintanks hatte. Für die Einfuhr von Wein aus Frankreich war eine Einfuhrgenehmigung erforderlich, die deutschen Staatsbürgern während der Besatzungszeit nicht mehr erteilt wurde. Andere Unternehmer bekamen zwar eine Einfuhrgenehmigung, hatten aber keine Lagerkapazität. Durch den Besuch des Kaufmanns eröffnete sich für meine Eltern die Chance, endlich wieder ein Einkommen zu erzielen. Sie nahmen einen Kredit auf, ließen die Weintanks reparieren und vermieteten sie anschließend zu günstigen Konditionen an besagten Geschäftsmann.

      Dazu muss man wissen, dass nach Abzug des französischen Militärs auch die Behörden wieder aktiv wurden. Im Dritten Reich waren Beamte, insbesondere leitende Beamte, meistens Parteigenossen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP). Das galt auch für die Finanzverwaltung.5 Nach der Freigabe der Stadt 1951/52 übernahmen dieselben Finanzbeamten, die 1945 ihre Arbeit verloren hatten, ihre früheren Arbeitsplätze wieder und sorgten bis zu ihrer Pensionierung zwangsläufig für eine Kontinuität des vom Dritten Reich geprägten Verwaltungshandelns in der Bundesrepublik Deutschland.6

      Nach dem Ende des Dritten Reichs war der Staat pleite. Eine hohe Inflationsrate entwertete die Reichsmark so, dass man dafür nichts mehr kaufen konnte. Zum Essen bekam man nur noch etwas gegen Lebensmittelmarken, die staatliche Stellen jedem Bürger zuteilten. Wer mehr haben wollte, musste irgendwelche Tauschobjekte auf dem Schwarzmarkt anbieten. Da auch die Mittel zur Finanzierung des bürokratischen Apparats fehlten, war der Druck der Finanzbeamten auf die Bevölkerung enorm hoch. Insbesondere für die Umsiedlung der Ostflüchtlinge in den Westen wurden immense Mittel benötigt.

      Der Staatsentschuldung diente einmal die Währungsreform vom 20. Juni 1948, durch die die Reichsmark im Verhältnis 10: 1 in die Deutsche Mark (DM) umgetauscht wurde. Ein weiteres Mittel war das sogenannte Lastenausgleichsgesetz. Es bestand aus den Teilen Hypothekengewinnabgabe, Kreditgewinnabgabe und Vermögensabgabe. Alle Hypothekenforderungen und Kreditforderungen wurden im Verhältnis 10: 1 abgewertet. Der Schuldner musste zwar seine Hypotheken- oder Kreditschuld in voller Höhe zurückbezahlen, der Gläubiger bekam davon aber nur 10 Prozent – 90 Prozent kassierte der Staat. Die Vermögensabgabe diente hauptsächlich der Finanzierung der Umsiedlung der Ostflüchtlinge.

      Für alle Bürger, die im Westen lebten und ihre Heimat nicht verloren hatten, wurde eine Abgabe in Höhe von 50 Prozent ihres Vermögens eingeführt. Das Vermögen wurde nach dem Stand am Tag der Währungsreform in DM berechnet. Das Gesetz, das am 01.09.1952 in Kraft trat, konnte deshalb sehr schnell verabschiedet werden, weil es dazu bereits eine Vorlage gab, die noch aus dem Dritten Reich stammte, denn im Reichsfinanzministerium wurde bereits ab 1936 an einer antisemitischen Sonderabgabe gearbeitet, die kurz nach den Novemberpogromen im Jahr 1938 als Judenvermögensabgabe in Kraft trat. Maßgeblich beteiligt war an den Planungen


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