Die Gier des Staates. Peter Uhl

Die Gier des Staates - Peter Uhl


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Lastenausgleich, arbeitete. Auf diese Weise konnte das bereits vorhandene Wissen kurzfristig in das Lastenausgleichsgesetz eingebracht werden.7

      Auch die Vermögensabgabebescheide konnten bald erlassen werden. Bei den Plünderungen während der Besatzungszeit hatte sich niemand für die Steuerakten interessiert, sie waren alle noch vorhanden. Die Vermögensabgabe musste 30 Jahre lang in vierteljährlichen Raten an das zuständige Finanzamt abgeführt werden. Um die vierteljährlichen Raten finanzieren zu können, mussten viele Bürger immer wieder Vermögensteile verkaufen, vor allem Grundstücke.

      Wegen der Vermietung der Weintanks mussten meine Eltern eine Einkommensteuererklärung abgeben. Dadurch bekam das Finanzamt Kenntnis von der günstigen Vermietung, witterte unvermutete bisher nicht bekannte Steuerquellen und ordnete eine Betriebsprüfung an. Der Betriebsprüfer war der Auffassung, die Weintanks seien bei der Festsetzung der Vermögensabgabe übersehen worden und erhöhte die vierteljährlichen Raten so, dass die gesamten Mieteinnahmen an das Finanzamt abzuführen waren. Daneben hatte er noch elf weitere Beanstandungen. Die Prüfung hatte zu so hohen Steuernachzahlungen geführt, dass meine Eltern insolvent geworden wären, wenn sie sie akzeptiert hätten. Der zugezogene Steuerberater meinte dazu nur, da könne man nichts machen, die Gesetze seien nun mal so.

      Meine Mutter übersandte mir also den Bericht des Betriebsprüfers und erwartete von mir, dass ich ihr helfen würde. Ich hatte aber von Steuern keine Ahnung und verstand zunächst gar nichts; bisher hatte ich mich mit ganz anderen Dingen beschäftigt, mein eigentliches Berufsziel war nämlich die Schauspielerei. Ich hatte bereits während der Schulzeit Schauspielunterricht genommen und bewarb mich nach dem Abitur an der Schauspielschule Stuttgart, die mich aber ablehnte. Ich zog mich daher zunächst in die Staatsbibliothek zurück und studierte Kommentare zu den verschiedenen angesprochenen Steuerarten, entdeckte zahlreiche Widersprüche und erhob gegen alle zwölf Punkte des Betriebsprüfungsberichts Einwendungen.

      Das Finanzamt schrieb zurück, dass es schwierig sei, einem Laien die Richtigkeit der Feststellungen des Prüfers in einem Brief zu erläutern, und bat mich zu einem persönlichen Gespräch. Als armer Student blieb mir nichts anderes übrig, als von München zum Finanzamt in Kehl zu trampen. Dort warteten in dem angegebenen Zimmer bereits der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter. Die Unterhaltung verlief ausgesprochen einseitig. Die beiden redeten auf mich ein, ohne auch nur auf einen der von mir beanstandeten Punkte einzugehen. Ich forderte sie auf, zu erklären, warum sie meine Beanstandungen ablehnten.

      Da sie dazu nicht bereit waren, verließ ich den Raum und suchte das Zimmer des Vorstehers. Ich klopfte an die Tür, trat ein und stand der Sekretärin gegenüber. Dieser erklärte ich, dass ich den Vorsteher sprechen müsse. Sie sagte, so gehe das nicht, ich müsse erst einen Termin vereinbaren. In diesem Moment hatte ich Angst, die lange Reise könnte umsonst gewesen sein, fasste meinen ganzen Mut zusammen, drängte sie zur Seite, öffnete die Tür und trat ein.

      Ich blickte auf den Vorsteher. Er saß hinter einem Schreibtisch, der sich auf der der Tür gegenüberliegenden Seite des Raumes befand. Es war ein typischer massiver Schreibtisch, wie er in den Fünfzigerjahren in Amtsstuben üblich war. Das Vorzimmer mit der Sekretärin, der Schreibtisch, der Ort seiner Aufstellung im Raum und die Amtsbezeichnung des Vorstehers waren seine Insignien der Macht. Sie dienten allein dazu, einen Besucher einzuschüchtern. Mir war das damals allerdings nicht bewusst und reagierte nicht so, wie man es erwartete. Mich machte die ganze Situation eher aggressiv. Ich war der Meinung, ein berechtigtes Anliegen zu haben, und gewann den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden. Der Vorsteher hatte Angst. Es war nicht alltäglich, dass ein Jugendlicher, der in diesem Augenblick noch nicht einmal volljährig war, beim Vorsteher eines Finanzamts ohne Anmeldung vorsprach.

      Ich trug mein Anliegen vor, er griff zum Telefon und sagte: »Hier ist Herr Uhl und behauptet, Sie beide wären unfähig, konkrete Fragen zu beantworten, kommen Sie bitte zu mir.« Auf mich wirkte dieses Telefonat wie ein weiterer Einschüchterungsversuch und steigerte meine Aggressivität noch.

      Der Betriebsprüfer und sein Vorgesetzter traten ein und das Spiel ging weiter wie zuvor, nur dass nun drei Beamte auf mich einredeten und keiner willens war, mir zuzuhören. Keiner äußerte sich konkret zu den Beanstandungen. Hätte der Prüfer recht gehabt, wäre es leicht gewesen, meine Einwendungen zu widerlegen. Da sie dies aber nicht einmal versuchten, stieg in mir der Verdacht hoch, dass meine Hinweise nicht so abwegig waren, wie sie vorgaben. Da sie bereits im Dritten Reich in Amt und Würden waren, hatten sie sich daran gewöhnt, den Bürger als bloßen Befehlsempfänger zu behandeln, und mussten das Zuhören, Nachdenken und Abwägen erst noch lernen8.

      Der Vorsteher machte kurzen Prozess und wies mich mangels Eignung zum mündlichen Vortrag zurück. Auf gut Deutsch: Er warf mich hinaus. In diesem Augenblick war ich sprachlos. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich konnte nicht verstehen, dass ein älterer Beamter mit langer Berufserfahrung sich einer sachlichen Auseinandersetzung durch Hinauswurf entzog. Ich fühlte mich so, wie ich es viele Jahre später bei Stefan Zweig las: Jugendliche hatten nichts zu sagen, die Meinung des Lehrers galt als unfehlbar, die Einrichtungen des Staates waren absolut und in alle Ewigkeit gültig. Bevor jungen Leuten irgendwelche Rechte zugebilligt wurden, sollten sie erst einmal Pflichten erfüllen und sich vor allem vollkommen fügsam unterwerfen. Sie hatten kein Recht etwas zu fragen oder zu fordern.9

      Während meiner Schulzeit von 1944 bis 1957, 40 Jahre nach Stefan Zweigs Erlebnissen, hatte sich rein gar nichts geändert. Zur Durchsetzung dieses Erziehungsgrundsatzes war bis 1951 die Prügelstrafe noch eine gängige Erziehungsmethode und wurde erst 1973 per Gesetz verboten.

      Das Verhalten des Vorstehers war rechtswidrig, das Grundgesetz war immerhin schon seit acht Jahren in Kraft. Er konnte sich aber auf die Reichsabgabenordnung berufen, die noch bis 1976 galt. Sehr spät nach dem Untergang des Dritten Reichs, Spötter behaupten, nachdem fast alle Finanzbeamten mit Nazivergangenheit in den Ruhestand getreten oder gestorben waren und sich deshalb nicht mehr mit dem an demokratische Regeln angepassten Verfahrensrecht befassen mussten, also erst ab 1977 wurde das steuerliche Verfahrensrecht reformiert. Der Maulkorbparagraf, der dem Finanzamt erlaubt, einen Bürger, der nicht Steuerberater oder Rechtsanwalt ist, mangels Eignung zum mündlichen Vortrag zurückzuweisen, wurde zwar beibehalten und gilt auch heute noch, ist aber nach der Rechtsprechung restriktiv anzuwenden.10

      Der Vorsteher des Finanzamts Kehl rechnete wohl nicht damit, noch einmal etwas von mir zu hören. Er war überzeugt, dass ich selbst weder über ausreichendes Wissen noch über die notwendigen finanziellen Mittel verfügte, um mich wehren zu können. Heute weiß ich, dass sich Finanzbeamte mitunter auch deshalb rechtswidrig verhalten, weil sie um die Unwissenheit oder die finanzielle Notlage der Betroffenen wissen, sich keinen Steuerberater leisten zu können. – Aber so leicht gab ich mich nicht geschlagen.

      Zurück in München ging ich wieder in die Staatsbibliothek und versuchte herauszufinden, was in dieser Situation noch unternommen werden konnte, und wurde fündig. Ich schrieb eine Dienstaufsichtsbeschwerde an die nächsthöhere Behörde, in diesem Fall die Oberfinanzdirektion Freiburg, beschwerte mich über das undemokratische Verhalten, verwies auf das in Artikel 103 des Grundgesetzes enthaltene Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, nicht nur im Prozess, sondern auch im davor liegenden Verwaltungsverfahren,11 und trug meine zwölf Einwendungen vor.

      Nach einiger Zeit bekam ich Post vom Finanzamt Kehl. Man teilte mir mit, die Aufsichtsbehörde habe das Finanzamt angewiesen, mich anzuhören. Ich wurde gebeten, nochmals beim Finanzamt vorzusprechen, und trampte also wieder von München nach Kehl.

      Dem Vorsteher des Finanzamts Kehl stand die Prügelstrafe – aus seiner Sicht wohl leider – nicht mehr zur Verfügung und so rächte er sich auf die einzige Art, die ihm noch verblieb: Er ließ mich die lange Reise per Anhalter machen, lediglich um mir mitzuteilen, dass sich das Finanzamt entschlossen habe, den Fall an die Aufsichtsbehörde zur weiteren Bearbeitung abzugeben. Dafür hätte auch ein einfacher Brief genügt.

      Die Akten befanden sich nunmehr in Freiburg. Von dort bekam ich nach einiger Zeit positive Nachricht. Ich hatte vorgetragen, dass Sachverhalte im Prüfungsbericht unzutreffend dargestellt wurden, woraus sich eine zusätzliche – unberechtigte – Steuerbelastung ergab. Das ist übrigens auch heute noch eine


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