Der erste Tag im Ruhestand. Udo Lange

Der erste Tag im Ruhestand - Udo Lange


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„Ja, 12,38 €.“

       „Kann ich Dir das alles in Kleingeld geben?“

       „Ja, gerne. Ich bin heute damit sowieso knapp dran.“

       Friedhelm war einem Zusammenbruch sehr nahe und fragte sich, was er heute angestellt haben musste, dass ihm so etwas widerfuhr. Die Frau schüttete ihr Portemonnaie aus und bat Gerda, das Geld abzuzählen, da sie ihre Brille vergessen hatte. Als diese fertig war, meinte sie:

       „Das sind aber nur 11,87 €. Da fehlen noch 51 Cent.“

       Friedhelm kochte.

       „Moment, ich müsste noch etwas Kleingeld in den Manteltaschen oder in meiner Handtasche lose rumliegen haben. Sekunde, bitte.“

       Sie kramte und kramte, und ihre Suche war abrupt beendet, als sie sagte:

       „Gerda, ich habe ganz vergessen, dass ich das ganze Kleingeld heute Morgen rausgenommen habe. Hier ist noch ein 50 €-Schein, habe es leider doch nicht anders.“

       Die Kassiererin konnte nichts mehr sagen, war ihre Hoffnung auf das Kleingeld doch jäh verflogen. So musste sie die wenigen Münzen, die sie noch hatte, rausgeben. Die beiden verabschiedeten sich und nun war Friedhelm an der Reihe. Die Kassiererin an Kasse eins hatte mittlerweile schon vier Kunden bedient, als eine Frau an der Reihe war, die, wie die beiden vor ihm, ein Schwätzchen begann.

       „Macht 38,39 €, bitte.“

       Er zückte seine prall gefüllte Geldbörse und begann den Betrag der Kassiererin vorzuzählen. Die war sehr glücklich, bekam sie doch ganz viel Kleingeld.

       „Geht das hier immer so?“

       „Wie meinen Sie das?“

       „Na ja, mit den älteren Leuten?“ Von hinten eine donnernde Stimme:

       „Meine Zeit, geht es mal endlich voran da vorne? Setzt euch ins Café, dann könnt ihr genug quatschen, es reicht.“

       Friedhelm drehte sich um und meinte nur: „Gemach, gemach, alles hat seine Zeit.“ Dann ging er aus dem Geschäft. Er eilte mit seinem Einkaufswagen zu seinem Auto und traute seinen Augen nicht. Stand doch ein Fahrzeug quer hinter seinem, so dass er weder vorwärts noch rückwärts rausfahren konnte, denn vor ihm parkte auch noch ein Auto.

       Zum Glück nahte sich die Person, die das Auto quer vor seinem abgestellt hatte. Der Fahrer meinte nur:

       „Entschuldigung, es war alles voll und die Tratschtanten an Kasse eins fanden kein Ende.“

       Friedhelm atmete auf, beschloss aber für sich: Heute ist nicht mein Tag!

      10 - Heimat

       Wo ist, und wie finde ich meine Heimat? Was ist Heimat? Ein Ort? Ein Gefühl?

       Ich bin gereist, privat und auch beruflich, fand viele Orte und Landschaften wunderbar. Habe tolle Menschen kennenlernen dürfen. Aber kann ich sagen, dass dort irgendwo meine Heimat war? Bin getrieben und gehetzt durch Orte und Länder gereist. Auch war ich in meinem Geburtsort, in dem ich für zwei Jahre als Kleinkind und später als Erwachsener war. Aber Heimat?

       Bin im Rheinland aufgewachsen und habe in verschiedenen Orten gelebt - oder was ich dafür hielt - und gearbeitet. Hatte gemeint, ich hätte dort Freunde gefunden. Es waren am Ende doch nur Bekannte, die mir im Leben begegnet waren und ein kleines Stückchen meines Weges mitgegangen sind. Wo waren die Menschen, die mir das Gefühl von Heimat gaben? Unsere Eltern, selbst Entwurzelte, zerrissen durch den Krieg und nun irgendwo gestrandet, ohne den Halt durch Freunde und weitere Familienangehörige. Die hatten sie nicht. Verwandtschaft aus ihrer alten Heimat, verstreut übers Land, unauffindbar im Ausland oder dahingerafft durch den Krieg. Ja, Briefe schreiben und gelegentliche Telefonate. Wie sollte ich ein Heimatgefühl entwickeln, wo war mein Zuhause? Ja, teilweise bei den Eltern, vielleicht. Ich hatte keine Ahnung.

       Es wurde gearbeitet bis in die Nächte, gereist für Firmen. Ich kam nach Hause und wurde mit den Worten begrüßt: „Ach, du bist schon da?“ Kein Wort der Sehnsucht, kein Satz wie: „Ich habe dich so vermisst.“ Es ging alles seinen gewohnten, ätzenden Gang: lange arbeiten, zu Hause angekommen - „Ach, ich hatte dich so früh noch gar nicht erwartet“ - etwas gegessen, ein paar Minuten in die Glotze schauen und ab ins Bett. Das ging tagein, tagaus so. Heimat, was ist das und wo ist sie? Geborgenheit? Ein Fremdwort.

       Ich fühlte mich oft wie ein Fremder in meiner eigenen Wohnung. Verbunden war ich nur durch einen Ehering, der mich täglich daran erinnerte, dass ich noch verheiratet war.

       Bin dann irgendwann ausgebrochen, weil ich alles nicht mehr ertragen konnte, weggelaufen wie einer, dem man sein Zuhause gestohlen hatte. Wie sollten da Heimat oder Wohlfühlen entstehen?

       Bin ausgezogen und habe in einer anderen Stadt gelebt, wo ich wieder lieben durfte und geliebt wurde, wieder das Gefühl hatte, jemand freue sich, wenn ich anwesend war. Das hatte ich Ewigkeiten nicht mehr gehabt. Aber auch das zerbrach und ich zog wieder weg in eine andere fremde Stadt. Dort traf ich eine wunderbare Frau, die ich sehr, sehr liebe.

       Jetzt, nach Jahrzehnten der Suche, habe ich das Gefühl, im Heimathafen angekommen zu sein. Ich arbeite immer noch, aber ich weiß, wofür und für wen. Meine Blindheit war weg, ich wusste, warum ich etwas tat. Meine verdammte Hechelei nach … Ja, wonach eigentlich?

       Frieden und Heimat habe ich sehr lange vermisst und beides gesucht, später auch gefunden. Traf eines Tages Menschen, die mich so annahmen, wie ich war, wo ich wachsen und werden durfte.

       Ich unternahm eine lange Reise und fand einen ganz besonderen Ort, wo ein Tempel steht, ein wunderschöner und ein immer erhabener Anblick. Dieser ist mein Heiligtum, in dem ich endlich Frieden und Heimat fand, nämlich:

       In meinem Herzen.

      11 - Der Arztbesuch

       Das Rentnerehepaar Hans-Willi und Brunhilde Schroeder, geschrieben mit o und e, beschloss, einen Ausflug zu machen. Dazu wollten sie am nächsten Morgen schon früh aufstehen, um auch noch bei ihrem Hausarzt vorbeizufahren, denn beide benötigen noch ein paar Medikamente, da ihre zu Ende gingen. Sie wollten nicht noch einmal extra deswegen dort hinfahren.

       Brunhilde rief in der Praxis an und teilte der Sprechstundenhilfe mit, wer welche Medikamente in den entsprechenden Mengen benötigte. Sie würden morgen früh kommen und die vorbereiteten Rezepte nur noch abholen.

       Am anderen Morgen fuhren sie schon so um 7.30 Uhr los. Sie kamen gut gelaunt in der Praxis an, mussten sich aber erst einmal in eine Schlange stellen, denn in der Praxis war viel los. Als sie dann endlich nach fast 30 Minuten an der Reihe waren, erfuhren sie, dass ihre gestern telefonisch bestellten Rezepte vom Arzt noch nicht unterschrieben waren und in seiner Unterschriftenmappe lagen. Aber sobald der Doktor da sei, sorge sie dafür, dass er sie unterschrieb. Bis dahin sollten sie doch bitte noch im Wartezimmer Platz nehmen. Gesagt, getan. Im Wartezimmer waren bis auf zwei Stühle alle Sitzmöglichkeiten besetzt, und auf die beiden setzten sie sich, so brauchten sie wenigstens nicht zu stehen.

       Alle Patienten unterhielten sich zwar leise, aber es herrschte ein sprachlicher Wirrwarr sondergleichen. Zwei ältere Herrschaften tauschten sich unter anderem über Kochrezepte aus. Auch sei früher alles einfacher mit dem Kochen gewesen. Da musste gegessen werden, was die Hausfrau auf den Tisch brachte. Heute sitzen drei Personen am Tisch und es müssen mindestens vier Gerichte aufgetischt werden. Nein, das sei nicht mehr schön.

       Ein anderes Paar unterhielt sich darüber, dass Frau Malewski ein Kind bekam. Plötzlich wurde es ziemlich ruhig und alle anderen spitzten die Ohren, um nur


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