Fixin. Rayton Martin Villa

Fixin - Rayton Martin Villa


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noch einmal kurz zurück. Ihre Nase und Lippen fühlten sich schon heiß und trocken an, wie bei einem Sonnenbrand.

      Ich hätte doch Helm und Schutzanzug anlegen sollen!, dachte sie.

      Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Fresh-Air und begab sich wieder in den Schutz der Anlage. Nachdem sie das nahe gelegene Gebäude erreicht hatte, in dem sie arbeitete, ging sie hinunter zum Labor im zweiten Untergeschoss. Dort befanden sich die großen, geschlossenen Meerwassertanks, in denen ihre technisch bisher fortgeschrittensten Algen-Experimente abliefen. Jia checkte den Status des aktuellen Tests, der hier seit Tagen lief.

      Nach acht Wochen in Svalbard war sie froh, morgen zurück nach Antarktika zu fliegen, auch wenn der Grund die nach wie vor ungelösten und sehr bedrohlichen Probleme waren.

      Svalbard war aus historischen Gründen einer der Hauptsitze ihres Projekts. Hier war vor über zweihundert Jahren, also schon zu Beginn der Klimakatastrophe, eine Art Arche Noah im damals noch vorhandenen Dauerfrostboden errichtet worden.

      Die Inselgruppe war zu dieser Zeit von mächtigen Gletschern und Schnee bedeckt gewesen, der felsige Boden darunter bis in große Tiefe das ganze Jahr über minus achtzehn Grad kalt. In diesem Permafrost herrschten vermeintlich für alle Zeiten ideale Bedingungen zur Konservierung von Pflanzensamen. Die Nature-Scientists dieser Zeit hatten daher Millionen Exemplare aus der ganzen Welt gesammelt und klimatisierte Räume in tiefen Stollen eines Berges angelegt, um sie dort vor Wärme zu schützen. Es war der Weitsicht der Planer zu verdanken, dass sie die Anlage weit oberhalb der Wasserlinie gebaut hatten. So wurde sie nicht sofort überflutet, als der Meeresspiegel im Jahre 2035 in unvorstellbarem Tempo zu steigen begann und Sturmfluten die Küstenregionen mehr und mehr unbewohnbar machten.

      Ob und in welchem Ausmaß dies überhaupt jemals eintreten würde, hatte zuvor natürlich niemand genau gewusst. Die meisten gingen wohl eher davon aus, dass durch die Erwärmung der Erde nur die eine oder andere Tier- und Pflanzenart aussterben würde und das Abschmelzen des antarktischen und grönländischen Eispanzers erst in tausenden von Jahren stattfinden würde. Dass bald alle Kontinente, mit Ausnahme von Antarktika, unbewohnbar sein würden, hätte damals kaum jemand für möglich gehalten.

      Innerhalb weniger Jahrzehnte stiegen die Temperaturen durch eine Kaskade vollkommen unvorhergesehener Rückkopplungsprozesse jedoch weltweit auf extrem hohe Werte. Dies zerstörte alles Leben auf den alten Kontinenten.

      Die Eispanzer der Antarktis und Grönlands sowie alle Permafrostböden schmolzen sehr schnell vollständig ab, auch in den Hochgebirgen, was den Meeresspiegel um fünfundneunzig Meter ansteigen ließ.

      Weil sich die zuvor eisbedeckten Landmassen wegen der Entlastung des Untergrunds auch heute noch hoben, kam es dort ständig zu Erdbeben als auch Bergstürzen gewaltigen Ausmaßes. Die Beben hatten oft eine Stärke von 10,0, und wenn sie im Küstenbereich auftraten, was sehr häufig der Fall war, lösten sie riesige Flutwellen aus, genauso wie die enormen Felsmassen, die sich durch die Beben lösten und ins Meer abstürzten.

      Die so in Grönland ausgelösten Wellen jagten über den Nordatlantik und donnerten als bis zu sechzig Meter hohe Tsunamis auch gegen Svalbards Küste. Die Gen-Tresor-Anlage, die sich an einem Fjord der Westküste befand, lag nun unglücklicherweise genau an einer der am schlimmsten betroffenen Regionen und war dadurch in höchster Gefahr.

      Um den wertvollen Inhalt vor der Zerstörung zu bewahren, wurde schon während des Zusammenbruchs der alten Welt eine neue Anlage errichtet. Um sie auf lange Sicht auch vor den weiter steigenden hohen Temperaturen zu schützen, war sie mit riesigen Kühlsystemen ausgestattet und lag an einem der wenigsten heißen Orte der Insel auf eintausend Metern Höhe.

      Von ganz besonderer Bedeutung und für sie alle heute vielleicht sogar lebensrettend war, dass dort auch Reservoire für Kleinstlebewesen der Meere errichtet worden waren. Diese konnten wie die Millionen Pflanzensamen bis heute konserviert und am Leben erhalten werden.

      Diese zweite Anlage war glücklicherweise selbst im Krieg während der Klimakatastrophe vor Zerstörung bewahrt geblieben, weil alle kriegführenden Parteien an ihrer Unversehrtheit interessiert gewesen waren. In der Zeit danach, während des Aufbaus von Antarktika, wurde die Anlage mit größter Sorgfalt weiter aufrechterhalten. Selbst heute noch wurde sie aus Sicherheitsgründen parallel zu den Laboren in Byrd Island in Antarktika betrieben und immer wieder auch erweitert.

      Die Erhaltung der hier konservierten Pflanzen war für viele Jahre eines der wichtigsten Vorhaben überhaupt, denn sie waren für die Besiedlung von Antarktika und die Ernährung seiner Bevölkerung überlebenswichtig. Die riesige Entfernung zwischen Svalbard und Antarktika war dabei anfangs ein großes Problem.

      Die Distanz von fast zwanzigtausend Kilometern konnte damals nur mit U-Booten überwunden werden, denn Flugzeuge waren wegen der extrem starken Stürme vor allem bei Start und Landung nicht mehr beherrschbar. Aus diesem Grund wurde versucht, so schnell wie möglich auch in Antarktika einen Gen-Tresor aufzubauen. Dazu war schon in den 2120er Jahren die Forschungsanlage auf Byrd Island gegründet worden, einer weit vom Festland abgelegenen und unbewohnten kleinen Insel. Alle in Svalbard existierenden Arten wurden vermehrt und in den dort neu aufgebauten Gen-Tresor gebracht. Im Gegensatz zu der von da an auch in Byrd Island betriebenen Forschung wurden die aktuellen Experimente wegen der für sie erhöhten Sabotagegefahr jedoch nur auf Svalbard durchgeführt. Dieser Standort war unerreichbar für Personen, die nicht absolut hinter dem Projekt standen.

      Am nächsten Morgen wurde Jia wie immer in ihrer kleinen Svalbarder Wohnung von den sanften Bewegungen ihres Bettes geweckt. Nach einer Weile öffnete sie die Augen. In der absoluten Dunkelheit ihres Zimmers tanzten die türkisfarbenen, violetten und orangeroten Schleier der Polarlichter an der Decke, deren Bilder live von den Kameras außerhalb der Schutzkuppel kamen und jetzt über ihr vollkommen realistisch wiedergegeben wurden.

      Ein paar Minuten schaute sie dem Farbspiel zu, schwang sich dann aus dem Bett und setzte die Eyefoil auf, um sich als erstes den Status der Experimente anzeigen zu lassen, die über Nacht im Labor weitergelaufen waren.

      Leider hatte sich nichts verändert.

      Die Eyefoil war eine 'Augmented Reality'-Datenbrille, die zur Grundausstattung des täglichen Lebens gehörte. Alle trugen sie den ganzen Tag, denn sie diente zugleich als universelles Kommunikationsmedium wie auch als Informations- und Steuerzentrum.

      Sie ähnelte einer stark überdimensionierten Sportbrille, wie man sie früher gerne trug und bedeckte einen Großteil des Gesichts, von der Mitte der Stirn fast bis zum Mund. Ihre Form war leicht gewölbt, wie aus einer großen Kugel ausgeschnitten und legte sich mit einer Aussparung für die Nase eng um die obere Gesichtshälfte. Dabei verlief sie auch zu den Seiten hin in dieser Breite und ohne Unterbrechung über Schläfen und Wangenknochen weiter, war also aus einem einzigen Stück ohne Scharniere oder Rahmen, um das Blickfeld nirgends einzuschränken. Erst kurz vor den Ohren wurde sie schmal und bildete einen Halbkreis um die äußeren Gehörgänge. Auch dieser Teil war für jede Person individuell angepasst, nicht nur um einen sehr guten Halt zu erreichen, sondern auch, weil dort die Audioeinheit saß, die ebenfalls mit AR-Funktionen ausgestattet war und optimalen Ton lieferte. Da die Eyefoil aus einer nur ein Millimeter starken Folie eines LCP-Hochleistungspolymers bestand, war sie superleicht und trotzdem extrem stabil.

      Ihre Außen- und Innenseite spiegelte in allen Regenbogenfarben, wenn man sie entsprechend ins Licht hielt und solange sie nicht eingeschaltet war. Diese Farben kamen durch die mikroskopisch kleinen Pixel zustande, die auf der Außenseite der Bildaufnahme dienten und auf der Innenseite die Lichtstrahlen so ins Auge lenkten, dass darin das berechnete Bild erzeugt wurde.

      Ihre Funktionsweise war einfach. Die bei der Bildaufnahme anfallenden Daten wurden an Rechner weitergeleitet, mit denen die Eyefoils permanent drahtlos verbunden waren. Diese Rechner gehörten heute generell der Quasarklasse an. Es handelte sich dabei um Quantencomputer, die jede Aufgabe quasi momentan erledigen konnten, da die auf ihnen laufenden Algorithmen aufgrund der Quantennatur alle


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