Blick auf den Nil. Karim Lardi
„Wann wohl die Karawane ankommt“, witzelte man.
Uniformierte Männer saßen in vielen kleinen Grüppchen lethargisch zusammen und verfolgten missmutig die Witze der Heimkehrer. Mit versteinerter Miene beobachteten sie sie Kürbiskerne knackend, Tee und ungesüßten türkischen Mokka schlürfend.
Endlich nach einer Weile ratterte das Gepäckband und brachte in quälender Langsamkeit die Koffer in die Halle.
Hurtig und genervt packten die Fluggäste ihre dicken Koffer, krampften die Hände um ihre Kartone und ihre Plastikeinkaufstaschen aus den Duty-Free-Shops. Jeder bemühte sich mit seiner Pyramide ab und verschwand eilend in Richtung Ausgang.
„Bringt Devisen, Leute! Überquert das Meer nicht um Wasser zu holen!“, sagte ein schnauzender Beamter barsch, mit einem wehmütigen Stich des Neids.
„Von dem asiatischen Zeug haben wir selber genug hier!“, setzte er mit schmetternder Stimme hinzu.
Als sich die Türen öffneten, weiteten sich Lauras Augen beim Anblick der vielen Familienangehörigen, die draußen hinter den Schranken, in der sauerstoffarmen Luft, warteten und spähten. Der von Lärm erfüllte Flughafen war plötzlich ein einziger Hexenkessel.
„Gott sei Dank seid ihr gut angekommen! Willkommen daheim, willkommen daheim! Sie erleuchten Ägypten!!“, begegneten sie rührselig jedem der Heimkehrer. Ein rührender Moment.
Etwas weiter rauften sich verzweifelte Leihautofirmen, Hotelvermittler und Taxifahrer um einige Touristen und redeten wild gestikulierend auf sie ein.
„Leute! Ihr seid ehrenwürdige Taxifahrer und keine Bettler! Benehmt euch!“, tadelte abfällig ein alter Herr.
Reisende versuchten, jeder auf seine Art, die nächste Transportmöglichkeit zu ergattern, nur um dem ganzen unerträglichen Rummel zu entkommen.
Kleine verstreute Gruppen lösten sich langsam auf.
Auch Laura eilte mit schnellen Schritten hinaus um nur so schnell wie möglich das tosende Durcheinander und das Gewirr hinter sich zu lassen.
Draußen regte sich kaum ein Lufthauch. Kairo brütete in einer erstickenden Hitze.
Laura war dabei ein Taxi heranzuwinken als eine hechelnde, verrauchte Stimme in ihrem Rücken erklang und eine süßlichblumige ägyptische Begrüßungssalve abfeuerte.
Als sie sich umdrehte blickte sie in das vom Wetter gezeichnete und zerfurchte Gesicht eines alten gedrungenen Taxifahrers, der mit einem breiten zahnlosen Lächeln vor ihr stand.
Halb in gebrochenem Englisch, halb auf Ägyptisch begrüßte er sie immer wieder mit den erlesensten Wendungen, die für ihren europäischen Geschmack bestimmt zu schwülstig klangen. Laura nahm sie so wie sie waren.
„Welcome…Welcome…Ich wünsche Ihnen einen Morgen voller taufrischer Rosen und Jasmin! Sie sanft duftendes Veilchen, Sie Jasmins´ Essenz! Was für ein Glanz in Ägypten! Ihr Besuch ist für uns eine Ehre.“
Laura hätte lieber mit ihm Arabisch gesprochen, aber er gab ihr keine Chance; er legte einen noch größeren Eifer an den Tag, so dass sie nicht Schritt halten konnte. Außerdem hatte das Klassisch-Arabisch, was sie in ihren drögen Vorlesungen gelernt hatte, mit dem Dialekt, den der Taxifahrer gerade sprach, wenig zu tun, um nicht zu sagen nichts. Zumindest kam es ihr so vor.
Der alte Fahrer öffnete übereifrig die Fahrertür des schwarzweißen Taxis älteren Baujahrs.
Laura stieg ein und nahm auf dem Rücksitz Platz. Der Taxifahrer quetschte sich mühsam in seinen Sitz und schloss die Tür so sachte wie möglich.
„Abu Huyam Abd-Essabur el-Harankesch!“, stellte er sich selbstbewusst vor. Laura stellte ihren Rucksack auf ihren Schoß und nannte die Zieladresse.
99, Rosengirlandengasse. Zamalek.
Der Taxifahrer murmelte ein paar Gebetsfetzen, bevor er versuchte, den alten Zündschlüssel herumzudrehen. Der Motor hustete und spuckte ein paarmal bevor er endlich ansprang.
Laura stellte die Zeit ein. Es war 5.30 Uhr in der Früh, als sie losfuhren, den Flughafen hinter sich lassend und sich langsam in den Verkehr einfädelten. Vornübergebeugt saß der alte Taxifahrer hinter dem Lenkrad, das er so fest umklammert hielt, dass seine Adern dunkelgrün hervortraten.
Es war recht viel Verkehr für einen Freitag. Kairo kennt nämlich keinen Ruhetag. Tag und Nacht bedeuten nichts. Die Menschen ebben und fluten in allen Richtungen, wie von unsichtbaren Strömungen bewegt.
Er betrachtete sie im Rückspiegel, an dem eine Hand der Fatima mit türkisfarbenem Auge in der Mitte baumelte.
Eine Zeit lang fuhren sie schweigend, bis der alte Taxifahrer sie mit der Frage überrumpelte:
„Wie lange werden Sie uns beehren?“, sagte er und drehte sich langsam wie eine Eidechse zu ihr.
„Solange meine Forschung dauert!“, kam ihr stockend über die Lippen.
Er möchte nicht unhöflich sein, er frage, weil sie nur mit einem kleinen Rucksack unterwegs war.
Der Taxifahrer erzählte, er fahre für sein Leben gerne Europäer, einzig und allein aus dem Grund, dass sie sehr praktisch reisen. „Keiner in der Welt reist mit so viel Aufwand, wie wir Ägypter. Wir Ägypter, wir sind unglücklich, wenn wir auf unserer Reise nicht die Pyramiden mit uns verlagern. Pyramiden sind immer in irgendeiner Art mit uns, egal wohin wir reisen. Wir sind die Pyramiden und die Pyramiden sind wir. Unzertrennlich!“, sagte er philosophierend und drehte sich langsam zu ihr um, über seine Formulierung lachend.
„Haben Sie jemals einen Ägypter erlebt, der mit einem einzigen Koffer reist?“, sagte er in fragendem Ton und wandte sich wieder zu ihr. Sie bewegte ihren Kopf hin und her, hielt sich am vorderen Sitz fest und wünschte im Stillen, er würde geradeaus schauen. Der Verkehr war nämlich gerade nicht beruhigend. Alle rasten mit gewaltiger Geschwindigkeit und überholten zackig und gewagt, während der Motor des alten Taxis bedenklich schnaufte und ächzte.
„Der Karren braucht bald einen neuen Motor! Bald stirbt er ab… bald gibt er den Geist auf…“, sagte er mehr zu sich als zu ihr und schlug mit der Hand ermahnend auf das dünne Lenkrad.
An den Laternen, entlang der Straße, die den Flughafen mit der Innenstadt verband, hingen gigantische schwarz-weiße Bilder von Präsident Husni Mubarak in seinen jungen Jahren. Voller Stolz schaute er von oben herab als würde er alles aus der unangreifbaren Höhe seiner Macht betrachten.
„Minnak lillah ya Mubarak, Minnak lillah ya Mubarak!!! Gott seiest du geklagt, Mubarak!!!“, redete der alte Taxifahrermehr mit sich selber und seufzte immer wieder, wenn sie an einer solchen Straßenlaterne vorbeifuhren. Eine große Spur von Frustration war in seiner Stimme mitgeschwungen.
„Er soll sich zum Teufel scheren! Zum Teufel mit dem Kerl! Mein Blutdruck klettert jedes Mal hoch, wenn ich sein Bild sehe“, sagte er in den Rückspiegel schauend wo er sah, dass Lauras Blicke auf den Plakaten geheftet blieben.
„Das Regime steht ganz oben am Rande des Abhangs und es ist kurz davor, in die Tiefe zu sausen. Das Hochseil wird langsam dünner und der Abgrund darunter tiefer, bloß es will niemand glauben“, flüsterte er und führte mit zwei Fingern über seinen Mund, als würde er einen Reißverschluss schließen.
Abd-Essabur hatte gute Gründe zu glauben, dass es, vielleicht in gar nicht allzu ferner Zukunft, so kommen würde.
„Dieser Mann und sein Klüngel haben uns ruiniert. Sie haben uns versklavt, gedemütigt und ausgewrungen, dreißig Jahre lang leben wir nun schon unter seiner Fuchtel und seiner Knute!“, schnaubte er verächtlich, wobei er in den Flüstermodus verfiel.
„Stellen Sie sich vor“, erging er sich erneut in einem lawinenartigen Monolog über die Drangsale seines Lebens, „mit 20 Pfund am Tag konnte man früher eine ganze Familie festlich ernähren.“ Er tätschelte sich den Bauch. „Es gab Hähnchen, gefülltes Gemüse, es gab Muskraut mit Kaninchen, und … und am Ende jeden Arbeitstages hatte man sogar kleine Geschenke für