Blick auf den Nil. Karim Lardi
einzutüten.
Die Neuen Medien dagegen waren schnell, zeitlos, interaktiv und brachten Sichtweisen ein, die in den traditionellen regierungstreuen Medien nicht vorkamen. Blogs waren geradezu ideal, um ein breites Publikum zu erreichen.
Die neuen Informationsträger gaben Sherif ungemein Rückenwind, seine Vorhaben zu realisieren; er hatte mit ein paar mutigen Federn ein im Internet veröffentlichtes Onlinemagazin gegründet: The groaning of the Nile. Das Ächzen des Nil.
Sherif hatte darin seine eigene Rubrik Fern von Kairo. Hier dokumentierte er anhand seiner Fotos die Misere und das Leiden des ägyptischen Volkes in den vergessenen Gegenden des Landes: Schafkhana, Kharanqa, Fartusch, Tafnis, Hawawisch und und und.
Seine Freunde hingegen führten scharfe Federn und deckten energisch auf, welche verschleierten Skandale im Lande vonstatten gingen und sie fanden großen Zuspruch.
The Groaning blühte immer mehr und die Leserzahl nahm rapide zu. Der Einfluss auch.
„Sogar europäische Blätter sind auf unsere Beiträge erpicht“, sagte Sherif mit scheuem Stolz während ein bescheidenes Lächeln flüchtig über sein Gesicht glitt.
„Was er vor die Linse bekommt ist unglaublich! Du sollst seine Fotoreportagen sehen“, sagten seine Freunde. Ihre Stimmen waren von Stolz erfüllt. Lauras Blick schweifte über einige seiner Aufnahmen. Ein Bild beindruckender als das andere.
Es war ihm gelungen, in ihnen so viel Gefühl einzufangen, dass man beinahe den Eindruck hatte, vor Filmen zu stehen.
Er liebte die Kamera. Sie war seine Leidenschaft, für die er bereit war, jeden Preis zu bezahlen. Die verwegene Liebe zum Fotografieren trug ihm einige Auszeichnungen im Ausland ein, im Inland aber Verhaftung, einen Prozess und Freiheitsstrafe, die er im Gefängnis verbüßt hatte. Er wurde verhört, durchsucht und anderen entwürdigenden Prozeduren unterzogen.
Richtig meinungsfrei war eigentlich niemand. Anfangs ging es der Regierung lediglich darum, durch das Bloggen den sogenannten unzufriedenen Jungs von Onkel Google einen Raum zur Verfügung zu stellen, wo sie klönen und sich verlustieren konnten, und wo man sie besser im Auge behielt.
Als die Blogs der Regierung später ein dicker Dorn in ihrem eitrigen Auge wurde, versuchte sie, mit ständigen Rechtsstreitigkeiten dem Vorhaben einen Stock ins Rad zu stecken. Sie erhob in mehreren Punkten Anklage gegen die Web-Site: Verstellung der Realität, Verstöße gegen das Landessicherheitsgesetz, Verschwörung und Aufruf zum zivilen Ungehorsam.
Die stetigen Abmahnungen und Drohungen konnten die Mitarbeiter weder aus der Ruhe bringen noch einschüchtern. Im Gegenteil, die Resonanz und die Wertschätzung wuchsen dadurch nur noch. Für sie war das ein nobles Ideal, für das sie den Kampf aufnehmen mussten, ohne die Konsequenzen zu fürchten. Sie waren jeder Zeit bereit gewesen, ihr Leben dafür zu opfern. Ihnen war klar, dass jeder Hauch der Freiheit hart erkämpft werden musste.
Je mehr Zuspruch die Blogs fanden, desto größer auch die Unterdrückungsmaßnahmen. Wer die rote Linie überschritt, wurde von der Dreschmaschine niedergedroschen wie Wildwuchs, der ihr den Weg versperrte.
Sherif erzählte tiefbetrübt von etlichen Kollegen und Kolleginnen, die von dubiosen Männern gepackt und in ein Auto bugsiert wurden. Entweder sie waren bis heute verschwunden oder wurden später am Rande der Desert Road aufgefunden, den Leib völlig entstellt, mit einem Gesicht, das wie ein Klumpen Hackfleisch aussah.
Schlüssige Hinweise über die Täter hatte keiner und gab es keine. Alles vollzog sich in Sekundenschnelle. Naheliegende Zusammenhänge verflüchtigten sich im Laufe der Zeit.
Diese repressiven Maßnahmen erschwerten die Aufgabe der Blogger. Die Kolleginnen und Kollegen mussten sich immer wieder neue Ideen einfallen lassen, um sich geschickt durch die Repressalien zu lavieren. Selbst als die Regierung beschlossen hatte, das gesamte Internetsystem im Lande einzustellen, probierten sie -nicht ohne Opfer- alle möglichen Zauberkunststücke, um ihre Artikel unzensiert an die Öffentlichkeit zu bringen.
„Das Bloggen ist das Beste, was mir in meinem Leben passieren konnte. Ich habe wunderbare Menschen aus allen Schichten und Konfessionen kennengelernt, die ich sonst nie hätte treffen können“, sagte Sherif glücklich und deutete mit einer Kopfbewegung auf die vielen jungen Menschen auf der Terrasse. „Sie alle gehören jetzt zu meiner neuen großen Familie“, setzte er fort und drückte ein kleines Mädchen mit auffällig wuscheligem schwarzem Haar, das die ganze Zeit nicht von seiner Seite gewichen war, fest an sich.
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