Blick auf den Nil. Karim Lardi
die griechisch-römische Zeit sowie über die einst hier gelegene Stadt“, erklärte er fachkundig.
Gelassen rückte er seinen Wüstenhut zurecht, legte seine leitende Hand über ihre Schulter und sie steuerten auf die Ausgrabungsstätte zu. Laura verstand, dass er sie einweihen wollte.
Der Ort befand sich in ihrer direkten Nachbarschaft, er war hinter einem kleinen Sandhügel versteckt und von der Straße aus nicht leicht zu erkennen.
Von Sanders Haus kommend, bogen sie nach wenigen hundert Metern nach links in einen schmalen Pfad, der einen schmalen Wüstenstreifen durchschlängelte, vorbei an etlichen Gräbern und Grabungslöcher. Von irgendwoher drang schwach Musik, eine zarte Frauenstimme, die über die Dünen wehte und leicht in die Seele ging. Weitab vom Dorf war eine koptische Kirche zu sehen. Im Osten floss der Nil unbeirrt weiter.
Sie gingen einige Minuten schweigend nebeneinander her, waren aber keineswegs verlegen. So konnte sie in Ruhe sein Profil betrachten. Professor Sander war eine angenehme Person, die beruhigend auf sie wirkte. In seiner Gegenwart war ihr vom ersten Moment an wohl. Er bewegte sich sicher und gemächlich, so gemächlich, dass seine Schritte kein Geräusch im Sand machten. Laura bewunderte diese Ruhe.
Der glänzende Schimmer seiner Augen verriet sein gewissenhaftes Wesen, seinen Sachverstand und Scharfsinn. Von ihm ging die Aura des ewigen Forschers aus, der das Abenteuer liebte. Laura war beschwingt und genoss es, neben ihm durch prähistorische Grabbauten und Gräberfelder zu schlendern. Das gab ihr ein unbeschreibliches Gefühl, das an einen Nervenkitzel grenzte. Sie empfand alles sehr abenteuerlich.
„Genau hier führte von 1905 bis 1906 im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft der damals knapp 30 Jahre alte deutsche Ägyptologe, Georg Möller, Grabungen durch“, sagte er. Seine Stimme war von Stolz erfüllt.
Bei einem baufälligen Gemäuer hielt er an und sie blieben kurz im Schatten stehen.
Er sprach von mörderischen Rivalitäten zwischen den gierigen Plünderern und Grabräubern, die vom schnellen Reichtum träumten und in den Fundstätten ihr neues Eldorado sahen. Grabräuberei war für Kriminelle ein lukratives Geschäft geworden.
„Zweimal hintereinander wurde ich letzten Monat durch laute Schießerei geweckt. In einem Schacht vor dem archäologischen Fundplatz fanden die Grabungsarbeiter am nächsten Morgen die Leichen von drei blutüberströmten Wächtern“, erzählte er mit vor Aufregung geröteten Augen.
Es kursierten sogar Gerüchte, dass Marodeure, Dunkelmänner und sogar berüchtigte Sicherheitsmänner ihre Hände im Spiel hätten. Diese würden Familien mit ihren Kindern erpressen, für sie dort zu arbeiten.
Er selbst wurde mehrmals von ein paar ruppigen Typen mit Klappmessern bedroht, genötigt und schikaniert. Die Erinnerungen daran streifen immer wieder in seinen Gedanken umher. Er wird nie vergessen, wie sie einmal völlig durchdrehten, und ihm mit Drohgebärden ihre ganze Wut verbal entgegen schleuderten: „Du alter, verruchter Kolonialist! Bist du doch einer! Kümmere dich um deine Mumien und geh uns nicht auf den Geist mit deinem aufklärerischen Gehabe!“
Sie hatten seinen alten Geländewagen fast in Brand gesetzt, zum Glück waren ein paar mutige Grabungsarbeiter rechtzeitig zu Hilfe gekommen und hatten die Kerle weggescheucht.
Professor Sander hielt den Kopf gesenkt und stahl sich davon, ohne sich umzudrehen, in der Hoffnung, dass die erhitzten Gemüter endlich einmal herunterkühlten, während sie ihn weiter mit einem Kettenfluch, abgeschmackten Sprüchen und wüsten Beschimpfungen überschütteten.
„Bald wirst du dein Fett abkriegen. Dir wird widerfahren, was deinen Vorfahren widerfahren ist. Wir haben sie alle mit einem Tritt im hohen Bogen durch die Luft in ihre Heimat katapultiert“, raunten sie mit streitlustigem vorgeschobenem Kinn, die Stöcke in der Hand wedelnd. Diese Geste deutete etwas extrem Erniedrigendes an.
„Die haben wir weggejagt mit einem Stock im A..… “, Professor Sander verstummte mitten im Wort und ließ den Satz unvollendet. „Verzeihen Sie meine Direktheit“, sagte er leise und blickte bloß düster drein.
Später war ihm aufgegangen, dass sie ihn eigentlich lieber tot gesehen hätten. „Man sieht sich, alter Kolonialist! Mach dich auf etwas gefasst! Du bist Bläser und wir sind Trommler und die langen Nächte bringen uns bestimmt zusammen“, zischten sie ihm zornig zu und fuhren sich mit der Handkante an die Kehle, ganz so, als wollten sie ihn mit dem Gurkeldurchschneiden drohen, sollte er ihnen in irgendeiner Art ins Gehege kommen.
Dies wurde natürlich von umstehenden Dorfbewohnern wahrgenommen, die offensichtlich in Angststarre verfielen. Niemand rührte sich. Angst um sich und die eigene Familie brachte hier oft die Menschen zum Verstummen. Wer es wagte, sich mit ihnen anzulegen, dem brachen sie sämtliche Knochen im Leib und er landete elendiglich in der Gosse. Allein der Gedanke daran war äußerst unbehaglich und ließ einem ein paar kalte Schauer den Rücken herunterrieseln.
„Mein einziges Vergehen war, dass ich versuchte, das Plündern zu bekämpfen“, sagte er, während in den Winkeln seiner Stimme noch immer die Überreste einer bitteren Enttäuschung steckten. Professor Sander fuhr sich mit der Hand durchs Haar und rubbelte sich mit beiden Händen das Gesicht, so als wollte er diese schlechten Erinnerungen ein für allemal wegwischen.
Einen Moment lang brachte er keinen Ton heraus, bis Laura verwundert fragte:
„Und die Polizei?!“
Er schaute sie über seine Brille hinweg an, darauf bedacht, ihr sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. „Nichts! Sie tat nichts“, erwiderte er mit einem leichten Schulterzucken und einem bedauernden Lächeln, das sagen sollte „wen juckt´s?“.
Professor Sander hatte sich tatsächlich oft persönlich bei der Polizei beschwert, aber „no answer no comment.“ Als er erneut mit Hilfe der Deutschen Botschaft seine Beschwerden vorbrachte und eine ausführliche gerichtliche Untersuchung anleiern wollte, bekam er von der ägyptischen Seite ein kurzangebundenes „Ma tiqlaqusch! Das lasst mal unsere Sorge sein“ zu hören.
Er schluckte seinen Verdruss hinunter und wartete voller Geduld darauf, dass der Vorgang schneller vonstatten ginge, als man ihm versprochen hatte.
Seitdem ist viel Wasser den Nil hinuntergeflossen und nahm die Beschwerden unwiederbringlich mit sich. Man hatte nicht den Eindruck, dass die Polizei sich in ihrem Tatendrang überschlug, um irgendetwas herauszufinden.
Schikane und systematisches Plündern blieben unverändert und niemand scherte sich darum. Dies musste die Fachcommunity immer wieder mit großer Sorge und unendlichem Bedauern zur Kenntnis nehmen.
Plündern war nun keine Seltenheit mehr in Ägypten, eher wurde sie zu einer gewerbsmäßigen Obsession. Die Lebensbedingungen wurden immer härter und die Menschen immer verzweifelter. Die armen Menschen in den Dörfern hatten die Nase voll und wollten auch endlich mal etwas von den Reichtümern ihres Landes haben.
Da schienen ihnen selbstverständlich alle Mittel recht zu sein, um irgendwie ihre Misere zu lindern und die Drangsale des Lebens überstehen zu können. Die Not hat eigene Gebote, so sagt man.
„Wenn die da oben sich gewissenlos über alles hinwegsetzen, warum soll uns hier unten dies verweigert bleiben. Wir nehmen einfach, was uns zusteht und was uns die „Mutter der Welt“ in ihrem Inneren verborgen hält“, dachten sie sich ganz einfach.
Für diese Menschen war Plündern, als würde jemand seine eigene Wohnung ausrauben: ein abwegiger Gedanke, aber lange kein Verbrechen, das ihnen ein schlechtes Gewissen bereitete oder sie zu schlechten Menschen machen sollte.
So gruben sie nicht nur in den archäologischen Stätten, sie gruben selbst unter ihren eigenen Häusern, die sich in deren Nähe befanden. Seit einige Hobby-Ausgräber und Glücksritter von den Schätzen einer versunkenen Stadt gesprochen hatten und sichere Informationen über ein sagenhaftes, reiches Königreich, das ausschließlich Goldmünzen und Edelmetall als Währungsbasis hatte, kursierten, ließen sie keinen Stein mehr auf dem anderen. Man hörte nur noch schabende Geräusche und emsiges Klopfen. „Eine winzig kleine Schatulle davon, so klein wie eine Streichholzschachtel, würde reichen, um ein Leben wie ein