Blick auf den Nil. Karim Lardi

Blick auf den Nil - Karim Lardi


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allen Seiten dröhnten Stimmen aus scheppernden Lautsprechern. Die Worte waren maßlos energisch und bestimmend. In der Luft hing ein schwerer Geruch, der aus qualmenden herben Weihrauchstäbchen kam, sich mit Dieseldämpfen vermischte und die schwüle Hitze noch erdrückender machte.

      Einen Augenblick blieb sie stehen und ließ die Atmosphäre eines Platzes, der sich vor ihr auftat, auf sich wirken. Ihr Blick fiel auf junge Männer, die Spenden sammelten und dann weiter glitten. Die Einnahmen mussten wohl recht gut gewesen sein. Das konnte sie ihren Gesichtsausdrücken ansehen.

      Es war Freitag. Das schoss ihr jetzt durch den Kopf und am Freitag verwandeln sich manche Straßen zu öffentlichen Moscheen. Viele Menschen eilten zielstrebig, mit abwesender Miene, zum Freitagsgebet. Überall hingen die Augen der wie magnetisiert hockenden Menschen an den Lippen eines Predigers. Diesen konnte sie nicht sehen, da dessen Kanzel in einer kleinen windigen, schwer zu überblickender Straßenecke stand. Eine unbestimmbare Befürchtung ließ sie nicht los, jedes Mal, wenn sie sich umsah. Was den Anlass dazu gab, vermochte sie nicht zu definieren. „Was der Mensch nicht kennt, flößt angeblich Angst ein“, dachte sie sich. Sie merkte nicht einmal, dass sie inmitten einer Straßenmoschee stehen geblieben war. Nach dem Muezzin Ruf standen die Menschen, wie in einem hypnotischen Zustand, mit entschlossenem Gesichtsausdruck in Reih und Glied, um das Gebet zu beginnen. Als sie vorbeiging, warfen ihr einige verstohlene Blicke zu. Ob es argwöhnische Blicke waren oder nicht, neugierige, oder einfach überraschte, konnte sie nicht beurteilen. Ihr wurde es langsam mulmig. Die Blicke und Gesichtsausdrücke der Männer verunsicherten sie zutiefst. Sie wusste nicht warum, aber es war so. Sie versuchte beharrlich die Blicke zu meiden, das Gesicht abzuwenden.

      Sie wollte den Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen. Hastig wandte sie sich durch die Menschenmenge und musste aufpassen, dass sie bei all dem Unrat und den Unebenheiten auf der Straße nicht stolperte. Alle Bürgersteige waren mit Motorrädern und Autos zugeparkt. Sie schob sich dazwischen. „Diese Stadt ist nicht für Fußgänger ausgelegt“, dachte sie sich. Hier muss man flink sein wie ein Wiesel. Man muss lernen, sich an den Autos, die an einem haarscharf vorbeifahren, vorbeizuschlängeln, schnell zu lavieren und rechtzeitig zur Seite zu springen, will man mit seinen Fersen wieder heil nach Hause zurückkommen. Wer nicht genug aufpasste, dem haute man die Absätze weg oder man fuhr ihn platt. Überall quietschte und schepperte es. Es ging laut, sehr laut zu. Die Menschen waren laut, die Katzen miauten laut, die Vögel zwitscherten laut und die Tauben gurrten laut. Überall wurde gehupt, überall gebuddelt. Der anhaltende Lärm ist ein vertrauter Begleiter des Lebens in Kairo. Er gehört zu Kairo wie das Atmen zu einem Körper.

      In Gedanken war Laura immer noch mit den Blicken und Stimmen der hockenden Männer beschäftigt. Selbst als Sie in die Straße des 26. Juli bog, meinte sie, trotz des Rauschens und Hupens vorbeifahrender Autos, immer noch zu hören, wie sie aus vollem Herzen rezitierten.

      Laura ging weiter und ließ ein langgezogenes Hupkonzert über sich ergehen. Über ihrem Kopf dröhnte ein Flugzeug und unten heulten Sirenen, bretterten und brausten gerade ein paar Harley-Davidson Motorräder mit Höchstgeschwindigkeit und Mordgetöse vorbei, als wären sie auf einer Rennstrecke oder auf einem Highway in Amerika, aber nicht im Zentrum von Kairo. Für einen Moment verwandelten sich diese schwarzen Ungetüme in potentielle Amokläufer, übertönten das Dröhnen der Autos, ja sogar des gesamten Straßenverkehrs und ließen ihren zarten Körper bis zur letzten Faser vibrieren. Nichts brachte sie so schnell in Fahrt wie diese Scheusale. Sie konnte nicht begreifen, was diese Motorradfahrer an diesen Lärm schön finden. Zumal eine Stadt wie Kairo sowieso unter einer Lärmepidemie und ständigem akustischen Smog leidet. Drückten sie mit diesem Lärm ihre Menschenverachtung aus, oder war das ein Ersatz für mangelnde Aufmerksamkeit, also eine Art Ersatzbefriedigung? Nach dem Prinzip alles was nicht laut ist, geht unter und ist lebensunfähig oder existiert schlicht und einfach nicht. Du existierst erst, wenn man dich wahrnimmt. Eins wurde ihr nun klar: Kairo ist keine Stadt für Hörempfindliche!

      Sie stellte sich Kairo gerade als einen phonophoben Menschen vor, der zusammengekrümmt vor Schmerzen stöhnt, während der Lärm ihm hinterrücks unaufhörlich und erbarmungslos Todesstöße versetzt. Münster dagegen kam ihr vor, wie ein Sanatorium, umgeben von Ententeichen.

      Sie weigerte sich, weiter zu vergleichen und folgte somit einer alten arabischen Weisheit: „Vergleiche nicht, was sich nicht vergleichen lässt.“

      Laura ging beherzt weiter, immer wieder öffnete sich eine Straße, die in eine andere führte. Inzwischen war sie in das Herz von Zamalek vorgedrungen und ging an einer Reihe von herrschaftlichen Villen vorbei. Trotz der unerfreulichen Begleiterscheinungen des Alters, konnte man ihnen einen gewissen Reiz des Maroden nicht absprechen. Laura genoss in vollen Zügen die malerische Atmosphäre der Straßen, die gesäumt waren von alten Bäumen und etwas angenehm Vergammeltes ausstrahlten. Hier wurden ihre Sehnsüchte nach dem alten Kairo geweckt und sie konnte sich gut vorstellen, wie es früher ausgesehen haben musste, bevor die Stadt unkontrolliert aus allen Nähten platzte. Damals, als Kairo noch die Hauptstadt des Orients und Treffpunkt aller Karawanen war, damals als alles noch nach Jasmin und Veilchen roch.

      Wer Kairo nicht sah, hatte vergeblich gelebt, hieß es.

      Kairo ist heute kein Model mehr, das über den Laufsteg gleitet. Kairo stapft. Kairo ist wie eine gealterte Schönheitskönigin, bei der trotz der Zeichen, die die Lebensjahre in ihrem Antlitz hinterlassen hatten, ein Hauch ihrer einstigen Schönheit noch immer durchschimmert. Die Anziehungskraft verschwindet zwar im Gleichschritt mit der Zeit, der Charme und der Zauber des Alters wächst jedoch unaufhaltsam.

      „Schönheit vergeht, Charme besteht“, dachte sich Laura voller Nostalgie.

       -4-

       Magische Klänge

      In dem Getöse der Stadt fischte sie eine leise Musik heraus, die wie ein Geist von irgendwoher unablässig über ihre Dachterrasse huschte. Zuerst dachte sie, ihre Fantasie spiele ihr einen Streich. Es war eine Musik wie keine andere. Eine Musik, die sie nicht leicht einordnen konnte. Angespannt lauschend erkannte sie die Töne einer Flöte aus einer der Nebenwohnungen, die umfächelt von lauer Morgenluft immer wieder zu ihr rüber drangen und schleichend um sie herum ertönten. Sie schloss ihre müden Augen und ließ sich davon verzaubern. Je mehr sie hörte, desto intensiver spürte sie, wie ein kleines Feuer in ihrem Herzen zum Leben erwachte und langsam im ganzen Körper wohltuende Wärme ausströmte. Die betörende Weise berührte etwas in ihr. Es überkam sie eine nie gekannte tiefe innere Ruhe, die sie nicht genau zu beschreiben vermochte und die weder die Musik eines Beethovens, eines Mozarts noch eines Brahms hervorrufen konnte. Die unnachahmliche schwebende Klangschönheit entrückte sie gänzlich der Gegenwart und allem Irdischen. Es schien, als würde sich ein Fenster öffnen, das sie in eine andere Welt führte, sie im Kreis empor wirbelte, immer höher, hinauf in eine unerreichbare ätherische Weite, wo Menschen wirklich erfahren, was Glück und Harmonie bedeutete.

      Sie konnte es nicht erklären, aber sie fühlte, dass diese melodiösen Töne an sie persönlich gerichtet gewesen waren.

      Langsam wiegten sie sie in einen wohltuenden und unendlich tiefen Schlaf.

       -5-

       Der Schlüssel zum Glück

      Sie hämmerte mit einem hübschen Klopfer gegen die Tür, erst langsam dann energisch und nach einer Weile ertönten ohne Hast Schritte auf der anderen Seite. Ein junger Bursche in einem einheimischen Gewand öffnete die Tür, lächelte schüchtern und führte sie in ein rundes Wohnzimmer. Ein vom Boden bis zur Decke reichendes Panoramafenster bot ihr einen herrlichen Blick auf die weite, blaue Fläche des Nil.

      Laura verschlug es fast den Atem, als sie den Nil in seiner ganzen Pracht vor ihren Augen sah. Das Haus war von einem wunderschönen, weitläufigen und sonnigen Garten umgeben, in dem Palmen und Mangobäume Schatten spendeten.

      Die scheinbar unberührte Natur mit ihrer unbeschreiblichen exotischen Faszinationskraft war atemberaubend schön. Der Duft von Rosen erfüllte die Luft. Zahlreiche Blumengirlanden schmückten die Wände. Die Weintrauben hingen prall und saftig an den Reben. Granatapfel,


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