Blick auf den Nil. Karim Lardi

Blick auf den Nil - Karim Lardi


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Er flehte die Runde an, seinen Satz genau zu übersetzen. In der Runde wurde geflüstert, dann kicherten alle. Auch Sherif konnte ein Grinsen nur schwer verkneifen. Laura meinte, darin eine Spur der Belustigung zu sehen.

      „Habe ich etwas verpasst?“, wandte sie sich zu Sherif und warf ihm einen hilfesuchenden Blick zu.

      Sie neigte den Kopf und wartete einen Moment auf eine Erklärung.

      „Scherzen, darin seid ihr Ägypter unübertroffen“, sagte sie dann mit einem enttäuschten Lächeln, als er nur eine wegwerfende Handbewegung machte und belustigt lachte.

      Saadiya aber schlug sich neiderfüllt auf die Brust. Sie fuchtelte eifersüchtig mit einer Schöpfkelle ihrem Mann zu. Schließlich rannte er davon mit kehligem Lachen, während er mit einer Hand sein langes Gewand anhob, um zu verhindern, dass es sich zwischen seinen Beinen verfing, und mit der anderen Hand seinen dicken, bläulichen sich auflösenden Turban festhielt und um Gnade bettelte.

      „Ich kenne dich! Du missratenes Wesen. Du schlimmster aller Männer. Er ist unersättlich wie kein anderer. Ich werde dir zeigen, wie es dir ergeht“, sagte sie in gespielt strengem Tonfall, und ihre Augen verrieten, dass sie scherzte. Sie warf eine Sandale nach ihm und stemmte die Fäuste in ihre vollen Hüften. Die anderen krümmten sich vor Lachen und machten sich lustig: „Onkel Hany du bist und bleibst ein Lausebengel, den Kopf voller Flausen!“ „Onkel Hany, du sexy-Biest, du Ladykiller und Frauenheld!“, schrien sie mit gespielter Derbheit.

      Die lustigen Hänseleien zwischen Onkel Hany und seiner Frau Saadiya begeisterten den Freundeskreis immer wieder aufs Neue. Das, was nach Zank und Streit aussah, war bloß Spaß. Ein herzlicher Spaß, der immer damit endete, dass Onkel Hany Saadiya tollpatschig umarmte, ihr versöhnlich einen Kuss auf die Stirn drückte und etwas reumütig sagte:

      „Möge Gott uns unser Lachen vergeben! Kommt Kinder! Lasst uns wieder seriös werden.“

      Onkel Hany zog sich lautlos zurück, sein Ohr dem kleinen schwarzen Taschenradio, das einst bessere Zeiten gesehen hatte, zugeneigt. Seit Sherif denken konnte, sah er ihn sein über alles geliebtes Gerät ans Ohr gedrückt haltend. „Ohne mein Radio bin ich ein halber Mensch“, betonte er immer wieder. Dauernd kochte und rührte er die alten Batterien in der rußgeschwärzten Kasserolle um, als würde er harte Eier fürs Sonntagsfrühstück kochen.

      „Wie oft willst du sie noch kochen. Wo kein Saft ist, kann man auch keinen Saft herauspressen!“, raunte Saadiya ihm zu und seufzte wie jemand, der es überdrüssig war, ständig dieselbe Bemerkung zu machen. Onkel Hany antwortete nichts, Saadiyas Worte schlicht ignorierend.

      Er löffelte eifrig seine Saubohnen, wie ferngesteuert verfolgte er tief besorgt die Weltnachrichten, die aus dem kleinen Gerät dröhnten und rauschten, als kämen sie aus einem anderen Universum.

      Onkel Hany war ein richtiger Newsaholic, ein echter Nachrichtensüchtiger. Er hörte, seit Sherif denken konnte, BBC-Arabic. Er schwor auf den Sender und kannte das ganze Team mit Namen, als wären sie alle seine Kollegen, mit denen er gerade die Morgensitzung geteilt hätte. Die Jungs in der Gasse nannten ihn spaßeshalber Mister Bean-BC. Alle amüsierten sich, wenn er die Eröffnungsmelodie sang und seine Stimme an und wieder abschwoll, um die sonore und volltönende Stimme der Sprecher nachzuahmen, sein oberägyptischer Akzent sich aber stärker durchschlug: „Huna London! Huna London! Hier ist London! Hier ist London!“

      „Wenn er ….. (sie meinte, wenn er stirbt, sie sprach das aber nicht aus. Sie zeigte bloß mit dem Zeigefinger himmelwärts) wird er bestimmt seinem Willen gemäß sein heiliges Radio neben ihm begraben haben“, sagte Saadiya. Am liebsten wäre es ihm wohl, wenn bei seinem Begräbnis das ganze BBC-Arabic-team anwesend wäre“, sagte sie belustigt und flocht ihren grauen Zopf etwas nachdenklich.

       -8-

       Junge Blogger

      Sherif hatte die ganze Zeit zugehört, aber nicht sonderlich viel gesagt. Man sah ihm an, dass er nicht gerne im Rampenlicht steht. Er war nicht der geschwätzige Typ, der zwei Wörter verschwendete, wenn eines genug war.

      Laura und Sherif saßen einfach ruhig nebeneinander, als würden sie sich seit ewigen Zeiten kennen. Sie fühlte die Wärme seines Blickes, wenn er sie hin und wieder verstohlen anschaute, und die Wärme seiner Haut, die sich auf ihren Körper übertrug und in ihr ein Gefühl von Zuneigung auslöste. Und sie spürte, wie sein holzig-herber Duft wieder diese Welle von Hingezogenheit in ihr aufschäumen ließ.

      Ihr Blick wanderte zu ihm, während sie genussvoll ihre Bohnen löffelte, deren warmer Duft und scharfer Geschmack sie verführerisch fand. Er war ein gelassener, gutaussehender junger Mann. Sein Alter, wie oft bei den Arabern, ließ sich schlecht erraten. Mitte zwanzig, schätzte sie gut und gerne. Seine glänzenden pechschwarzen Haare, die hohen Wangenknochen, das Grübchen an seinem kantigen Kinn und der exakt geschnittene Schnurrbart gaben ihm einen eitlen Gesichtsausdruck, ja die stolze Ausstrahlung eines Omar Sherifs in seinen jungen Jahren. Ein schönes Arabergesicht. Laura lehnte sich träumerisch auf der Bank zurück und genoss die angenehme Brise, die gerade vom Nil herüberwehte, die Blätter der Pergola streifte und von überall ungedämpft laute Musik vermischt mit Verkehrsrauschen, krachendem Feuerwerk, weit entfernten Muezzinrufen und Glockengeläut herbeitrug. Das, was zuerst wie zusammengeflossenes schreiendes Chaos klang, ließ eine flippige ansteckende Hybridmusik entstehen, die die Frühlingsluft erfüllte, den Boden unter den Füssen erbeben ließ und für einen treibenden Rhythmus und ausgelassene Stimmung sorgte, die jeden erfasste.

      Je später die Nacht, desto wilder und lauter wurde es.

      Laura warf ihren blonden Schopf in den Nacken, hob das Gesicht in den Nachthimmel und sah wie die farbenfrohen Funken des Feuerwerks am Himmel zerstoben.

      Sie hätte nichts dagegen, den ganzen Abend in genau dieser Haltung zu verbringen. Sie atmete langsam behaglich aus und gab sich dem angenehmen Wind hin, der vom Nil herüber wehte, und den sie wie zarte Küsse auf ihrer Haut spürte.

      Sie kam erst wieder zu sich, als ihr Sherif zuflüsterte.

      „Siehst du, wie Kairo sich auf dich freut und wie der Himmel leuchtet?“, und auf die atemberaubenden Blumenkronen, die die Feuerwerkskörper am Himmel hinterließen, zeigte.

      Die Worte schienen ihr Gesicht in ein leuchtendes Rot verwandelt zu haben. Er sah, wie ihre Augen immer größer wurden und wie ein wunderbares Lächeln ihr ganzes Gesicht erfasste.

      „Heute scheint mein Glückstag zu sein“, sagte sie und lachte. Ihr fröhliches Lachen schallte über die Terrasse und war wie der frische Nilwind, der den Staub der pessimistischen Gedanken, die Sherif in den letzten Jahren folterten, fortblies.

      Ein Glücksgefühl, das ihnen nichts und niemand mehr nehmen konnte, überkam beide, während sie dasaßen und schweigsam die Feuerstreifen am Nachthimmel Kairos betrachteten.

      …

      „Was machst du so, beruflich?“, fragte Laura, die ihre brennende Neugier nicht verbergen konnte und merkte, dass ihm ihre Frage zu abrupt war.

      „Blogger…Influencer“, sagte er, legte eine kleine Pause ein und rieb sich die Stirn, als würde er seine Gedanken sortieren, bevor er ihr von seinen Abenteuern als Blogger umfänglich berichtete.

      Vor genau zwei Jahren begann Sherif mit der Umsetzung seiner Idee, Gedanken zu teilen und den Dialog mit Gleichaltrigen zu suchen, um gemeinsam über gewisse Probleme und Phänomene zu reflektieren, um Lösungswege zu suchen. Unter dem Motto „Junges Land, greise Regierung“, lernte Sherif in sozialen Netzwerken immer mehr junge Menschen kennen, die das System nicht mehr aushalten konnten, dem ständigen Zusehen der Missstände überdrüssig waren und langsam den Drang verspürten, gegen die brackigen Zustände zu rebellieren und selbst etwas zu ändern. Sherif war klargeworden, dass der, der eine neue Gesellschaft gründen möchte, heutzutage keine Zeitungen und keine Bücher braucht, sondern die neuen Medien. Die meisten Zeitungen lieferten für Jugendliche nur einfallslose Berichterstattung. In ihrer miserablen Druckqualität verschmierten sie bloß alles, was mit ihnen in Kontakt kam, von den Händen bis in die Köpfe hinein. Mit den Büchern


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