Denken neu denken. Rudolf Dr. Kreutzer

Denken neu denken - Rudolf Dr. Kreutzer


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      - Sandoz-Clariant: 1986, Basel Schweizerhalle

      - Occidental Petroleum: 1988, Piper Alpha

      - ExxonMobil: 1989, Exxon Valdez

      - Deutsche Bahn: 1998, Eschede

      - Air France: 2000, Concorde-Crash

      - Silverstein Properties: 2001, 9/11

      - TotalFinaElf: 2001, Toulouse, Explosion

      - BP: 2010, Deepwater Horizon

      - Tepco: 2011, Fukushima

      Misserfolge durch Ereignisse

      Obwohl diese Unternehmen auch sehr hohe Verluste erlebt haben, teilweise in Milliardenhöhe, haben sie diese Ereignisse überlebt.

      Man kann daraus schlussfolgern:

      - Unternehmen sterben nicht wegen plötzlicher und unvorhersehbarer Ereignisse, die u.U. von außen auf das Unternehmen einwirken.

      - Unternehmen sterben an dauerhaften und beobachtbaren Zuständen, die innerhalb des Unternehmens herrschen.

      Zwar hat jedes Unternehmen viele professionelle Funktionen, die sich um die Sicherheit bzw. um die Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs kümmern müssen, wie z.B. Aufsichtsrat, Beirat, Wirtschaftsprüfung, Controlling, Revision, Compliance, Security, IT-Sicherheit, Qualitätssicherung, Krisenmanagement u.v.a.m. Deren Aufgabe ist ausschließlich, das Unternehmen vor schädlichen Zuständen und Ereignissen zu schützen. Dennoch sind selbst die bedeutendsten Unternehmen der Welt nicht vor Misserfolgen gefeit. Warum?

      Eine Antwort kann man aus den offiziellen Geschäftsberichten der Unternehmen ableiten. Dort werden in den pflichtgemäßen und freiwilligen Berichtsteilen die Lage, die Prüfungsergebnisse und die Risiken beschrieben. Es ist charakteristisch für alle Berichte, dass stets der Schwerpunkt der Risiken und Unwägbarkeiten auf externe Ursachen gelegt wird, wie z.B. Markt-, Finanz-, Beschaffungs-, Länderrisiken, Naturkatastrophen, Terrorismus. Das ist klassische externale Schuldverschiebung, oder historisch noch älter: antike Sündenbocksuche.

      Die wichtigsten Gefahren, die subtil im Unternehmen und in seinem Management lauern, werden nicht genannt. Das sind ganz einfach die menschlichen Schwächen, siehe linke Spalte der nachstehenden Liste. Sie werden nicht offengelegt und deshalb auch nicht gebührend behandelt. Führungskräfte werden üblicherweise geschult, ihre derartigen menschlichen Schwächen zu verbergen, indem sie diese Eigenschaft mit eleganteren Begriffen verbrämen, siehe rechte Spalte:

Gier→ „Ehrgeiz“
Hass→ „Leidenschaft“
Angst→ „Verantwortungsgefühl“
Eitelkeit→ „Selbstbewusstsein“
Falschheit→ „Flexibilität“
Herdentrieb→ „Teamfähigkeit“
Unwissenheit→ „Objektivität“
Bequemlichkeit→ „Stressresistenz“
Kurzfristdenken→ „Entschlossenheit“
Oberflächlichkeit→ „Souveränität“
Betriebsblindheit→ „Erfahrung“
Machtmissbrauch→ „Ungeduld“
Fehlervertuschung→ „Großzügigkeit“
Schubladendenken→ „Ordnungsliebe“
Führungsschwäche→ „Pragmatismus“
Selbstüberschätzung→ „Zielstrebigkeit“
Veränderungswiderstand→ „Zuverlässigkeit“.

      Dieses Ausblenden der wichtigsten Risiken eines Unternehmens wird von professionellen Verbänden ebenfalls gepflegt. Beispielsweise verspricht der Bundesverband „Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft“, kurz ASW3, seinen Kunden in der deutschen Wirtschaft:

       „… Der ASW Bundesverband befasst sich mit sämtlichen Bedrohungen für Unternehmen: Wirtschaftskriminalität. Spionage. Cyber-Crime. Extremismus. Terrorismus. Unsere Leistungen sind auf alle unternehmerischen Schutzebenen ausgerichtet: Schutz von Know-how und Mitarbeitern. Sicherung von Vermögen und Wertschöpfungsketten…“

      Auch der ASW fokussiert auf die externalen Risiken und beachtet die wichtigeren internalen Risiken kaum.

      1 Es gibt vorsätzliche Zerstörungen, wie z.B. Brandstiftung oder Mord, die sich zunächst mit einer einzelnen Ursache erklären lassen. Aber bei genauerer Betrachtung, beim Hinterfragen, kann man auch dafür verschiedene zusammenwirkende Voraussetzungen entdecken.

      2 Beispiele für fehlerhaftes Denken: a) Ursachen von Weltkrieg: u.a. staatlicher Rechtsradikalismus, Imperialismus und wahnhafte Selbstüberschätzung; b) Ursachen von 9/11: je nach offiziellen oder inoffiziellen Theorien: einerseits Folgsamkeit gegenüber Allahs Willen, islamischer Vergeltungswille wegen der US-Politik zur Unterstützung Israels, sowie der Glaube, die Welt durch Terror zielgerichtet verändern zu können, andererseits – je nach Art der sog. Verschwörungstheorien – verdeckte politische und wirtschaftliche Interessen sowie Skrupellosigkeit; c) Ursachen von Autounfall: z.B. mangelnde Aufmerksamkeit und/oder Überschätzung der eigenen Fahrkünste; d) Ursache von Tsunamikatastrophe: Missachtung jahrtausendealter Erfahrungen bezüglich Flutgefahren; e) Ursachen der Fukushima-Katastrophe: kaufmännische und politische Beschränkungen der Reaktorsicherheit; f) Ursachen der Finanzkrise Subprime 2007: sorglose Überdimensionierung von Investitionsprojekten, exzessive Spekulation; g) Ursachen von Insolvenz: fehlendes Risikobewusstsein, Leichtsinn oder kalkulierte Überschuldung; h) Ursache von Flugzeugabsturz: z.B. Planungsfehler beim Fail-Safe-Prinzip; i) Ursachen von Amok: private und/oder gesellschaftliche Erziehungsmängel beim Umgang mit Konflikten.

      3 https://asw-bundesverband.de/themen/

      GRÜNDUNG DES ZENTRUMS FÜR SYSTEMISCHES DENKEN

      Ab dem Jahr 2010 war mir das Nachdenken über Sinn und Zweck von Erfolg und Misserfolg besonders wichtig. Zusammen mit einem Netzwerk von Menschen aus unterschiedlichen Berufen, Religionen, Kulturkreisen, mit verschiedenen Talenten und Weltanschauungen gründete ich das „Zentrum für Systemisches Denken“4, nachfolgend ZfSD genannt. Wir begannen, ein Denken zu erforschen, das vor allem in der Wirtschaft und Politik für viele Menschen neu oder ungewohnt war: das systemische Denken.

      Vielen Psychologen und Soziologen war dieses Denken schon länger vertraut5. Sie haben verstanden, dass die Probleme eines Menschen nicht nur von ihm allein erzeugt werden, sondern immer das Ergebnis eines ihn umgebenden Systems sind (z.B. Beziehung, Familie, Gruppe, Firma, Gesellschaft, etc.). Entsprechend wichtig war es für sie, nichtlineare Beziehungen und multikausale Abhängigkeiten deutlich zu machen. Ein schönes Beispiel dafür ist das Arbeiten, Fühlen und Denken mit Hilfe der sog. Familienaufstellungen. Dabei werden die Konflikte oder Probleme von Personen dargestellt durch unbeteiligte Stellvertreter mittels einer räumlichen Aufstellung. Obwohl die Darsteller nicht persönlich im Konflikt involviert sind, können sie in ihrer räumlichen Konstellation meist verblüffend zutreffende Aussagen über die Beziehungen und Wechselwirkungen im realen System machen.

      Dieses systemische Denken von Therapeuten konnte sich jedoch kaum über ihr Fachgebiet hinaus verbreiten. Aus der Sicht des ZfSD ist dieses Denken gleichwohl für alle Berufsgruppen und Gesellschaftsbereiche wichtig. Es sollte jedoch nicht so verstanden werden, dass das systemische Denken das bisher gewohnte Denken ersetzen könne, sondern dass das systemische Denken zusätzlich gelernt werden muss und schließlich das fachspezifische Denken wie ein übergeordnetes Denken leiten soll.

      Die erste Schwierigkeit, sich mit dem systemischen Denken vertraut zu machen, ist zunächst ein sprachliches Verständnisproblem. Es besteht darin, dass sich die Interessenten dem systemischen Denken zwar aufgeschlossen zuwenden, aber dass sie es zunächst mit dem besser bekannten „systematischem Denken“ verwechseln. Letzteres ist aber ein grundsätzlich anderes Denken, dessen Gedankenabläufe einer


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