ELDORADO - Räuberpistole mit Fremdenführer. Klaus Schafmeister
Handwerk, lässt das Messer fallen und wird schlagartig gerade, den Finger gegen die aufziehende Dunkelheit und die neben der Felsnase knorrende Araucarie gereckt. Er schrillt derart los, dass die anderen Halunken augenblicklich von ihren Opfern ablassen und auf die Straße hasten, wo wie gerade materialisiert, ein riesiger Kerl in langem Mantel steht vor den schenkeldicken Stachelblattästen, farblich nahezu damit verschmolzen. Der Fremde gleitet auf die Wegesmitte und ist mit schnellem Schritt auf die Gruppe zu, schreitet lautlos durch die Schwaden und den Staub, den seine Stiefel und der Wind umtreiben; als er keine 20 Meter mehr entfernt ist, werden die Freischützen wieder mobil, reißen die Gewehre hoch. Perfido fuchtelt mit dem Revolver und brüllt: „Bleib sofort stehen, Hombre! Und Hände hoch, sonst gibts Blei vor den Latz!“
Unbeeindruckt und ohne den Gang zu verlangsamen, hält der Fremde auf sie zu, greift dabei geschmeidig unter den Umhang, hat eine LugerParabellum in der Hand, die er vorstößt wie einen Degen; zieht den Finger durch und schießt dem Fuchs die Mütze weg mit dem halben Schädel darin, worauf der Rest des rückstolpernden Handelslehrers mit einer Gesteinslawine unwiederbringlich in einen ausgetrockneten Camino abgeht. Noch zweimal knallt die NullAcht, auch die beiden anderen Schlagetots kippen um wie abgesägt - das alles geschieht rasend schnell, nichtmal Papp! hat einer sagen können, geschweige denn selbst abdrücken. Die Körper liegen am Boden, die Hirne ringsum in den Büschen.
Pulverdampf steht über der Szene, der Wind hat den Atem angehalten. Der Pistolero schleift die beiden habhaften Schlachtopfer an ihren Gürteln zur Felsnase, schlitzt ihnen die Bäuche samt Gedärm auf mit einem gewaltigen amerikanischen Bowie-Messer dann schwimmen sie nicht verräterisch auf wenn sie unten anfangen zu gären! raunt Paranuszs alter Soldatenschweinehund Der Kerl weiß was er tut! Der sprachlose Fremde wirft die Kadaver von der Klippe, zweimaliges Platschen, fort für ewig.
Erste Sterne wagen sich ins Abendblau. Mimbrenjo Paranusz ächzt sich auf die Knie; Abdul und Esmeralda sind in etwas besserer Verfassung und zerren den Direttore aus dem Graben. Signore Tagliatelles Haupt samt linker Hemdseite glänzen rot wie der Schopf Esmeraldas, die Tücher in Streifen reißt und um des Vaters Haupt flicht. Er wird sacht auf eine Wurzel gesetzt, wo er am Töchterlein lehnt und sich den Kopf hält.
Dann wieder ER, der von der Seebestattung zurück kommt und die vier zusammenfahren lässt, dass die Kindlein aufkreischen, verzittern vor der grausen Amme, so düster, so schweigsam. Die Pistole ist längst unterm Staubmantel verschwunden, doch der Trumm hält noch das Schlachtmesser in der Pranke, dies und sein Umhang beschmiert mit Blut und Innereien. Die Geschlagenen weichen, bis sie ans Blech der Renaultkarosse stoßen. Der Fremde bleibt weiter stumm, die Gequälten sprachlos, wagen keinen einzigen Ton. Nichtmal Papp!
Mimbrenjo müht sich unter Qualen hoch und bietet dem finsteren Retter als Lohn ein paar Heilige Schriften an. Die weist der Fremde brüsk von sich, hat längst das italienische Fahrgeld aus Perfidos abgerissenem Geldbeutel gezogen, dazu den Rest der Mördertaschenschätze - darunter auch jener Ring, den Rinaldo dem Abdul für das Mitnahmebillett abgeknöpft hatte, und der nun dem Finstermann mirnichts-dirnichts auf den kleinen Finger rutscht und sich partout nicht mehr lösen will, was Abdul zu Kulleraugen treibt und zur geflüsterten Bemerkung, dass sich nicht der Mann den Ring, sondern jener sich den Mann ausgesucht habe. Auch die Schärpe mit dem zerbeulten DetenteBala einschließlich Kugelstecker untersucht der Hauklotz intensiv, drückt sie aber zurück auf Paranuszs wehen Leib, schiebt danach den Fuhrmann beiseite und beguckt sich das bibbernde halbnackte Tanzmädchen.
Als er sich nach der Inspektion abwenden will, hält ihn die gerupfte Esmeralda plötzlich am Mantel fest, schluchzt, dass sie ihm keine Reichtümer bieten könne, er ihr jedoch im Herzen bliebe und er bei jeder Theatervorstellung, die sie und der Vater gäben, ein stets gern gesehener Gast sei. Der Papa sei nämlich phänomenaler Opernsänger, sie des Tanzens einigermaßen mächtig und beide guten Mutes, trotz aller Wirren bald wieder ein Engagement zu finden in Nombredelrio und später im sagenhaften ELDORADO. Doch wo sie sich auch befänden: der Fremde dürfe sich dort ebenfalls zu Hause fühlen, jederzeit und solange er wolle! Der Signore indes röchelt ob des gewagten Schwures, besonders, als die Tochter ihm noch eine goldfarbene Wertkarte aus der Jackentasche angelt, ein All-Inclusiv-Billett, und dem Fremden in die Klaue drückt. Der guckt schwer auf das Blatt, auf das Mädchen, auf den blutigen kleinen Mann. Endlich zuckt er die Schultern und schiebt das Papier in eine Manteltasche.
Wenn schon keine Heiligen Schriften … ob er den Senor wenigstens wohin mitnehmen könne, fragt Paranusz, weist unsicher zum Wagen, man müsse ja auch die Guardia … Vom Wüstling kommt nur ein Kopfschütteln Keine Mitfahrt, keine Polizei! Der Riese dreht sich auf dem Absatz um, geht zum Räuberkarren hinüber, spannt mit ein paar Handgriffen das Pferd aus, wirft sich darauf, und Ross und Reiter verschwinden in besagtem Hohlweg, ohne dass der Kerl einen Ton von sich gegeben hätte.
Die Sonne sinkt hinter die Picos, das Brigantenblut in Richtung Hölle; einige späte Fliegen lassen es sich darauf wohl sein. Dem Abdul kommt bei der Talfahrt ein Kindermärchen in den Kopf aus dem großen Afrika, wo er einst aus dem Ei kroch und die Großmutter die Brut abends schreckte mit Geschichten über den Asanbosam, einem Dämon mit Messern an Armen und Beinen, der nachts auf Bäumen lauert und Menschen, die dort längskommen, greift und schlachtet - und auch kleine Kinder, die partout nicht schlafen wollen. Den ganzen Weg bis Nombredelrio hat keiner mehr was gesagt.
Hier endet Old Paranuszs Erzählung aus Halbwahrheiten und Hirngespinsten. Doch jedes Mal, wenn nach all den Jahren die Rede darauf kommt Mimbrenjo erzähl mal wies damals war auf dem Pass! leiert der höchstbetagte Pistenheld diese Mär herunter (und glorifiziert seinen Anteil maßlos). Und wenn der Oldtimer geendet hat, das Glas hochnimmt zum letzten ölenden Schluck, berührt er die Brust, wo das Herz-Jesu-Medaillon sitzt mit der Kugel darin, und er murmelt: „So ists gewesen, so wahr wie ich hier sitze - GOTT ist mein Zeuge!“
Und als ob er fürchtete, dass der HERR ihm für seine halbgaren Märchen eines baldigen Tages den Hals umdreht, kippt er schnell den Roten hinunter in einem Zug. Und schweigt.
Kaliber 6 - Miasma Grande
Im Oktober des Jahres 1493 riss ein Sturm die Karavelle LasFunebras des in kastilisch-aragonesischen Krondiensten stehenden Abenteurers und Trunkenboldes Perpendiculo Pirazz aus dem Schiffsverband des Cristobal Colon, welcher damals seine zweite Westindienfahrt unternahm. Lange Wochen als Spielball der Wogen und des Windes gen Süden gepeitscht, wurde die LasFunebras am Neujahrstag Anno Domini 1494 an die schroffen Gestade einer großen Vulkaninsel geworfen - Pelargonien eben, es muss beim heutigen Vayacondios gewesen sein. Ein bestialischer Gestank nach Vogelmist hing allüberall in der Luft des kakteengespickten Eilandes, und trotz eifriger Heilmitteleinnahme in Form von schwerem Wein und diversesten Liquoren überkamen den Pirazz fürchterliche Kopf- und Brustschmerzen. So verließen Schiff und Mannschaft nach hastiger Bunkerung von Frischwasser, Kaktusfeigen und Robbenfleisch nach wenigen Tagen die enervierende Örtlichkeit (von Don Perpendiculo treffend MiasmaGrande getauft), setzten Ost-Kurs und erreichten nach einiger Zeit die Afrikanische Küste, nahmen dann Nordkurs auf die Kapverdischen Inseln, und von dort aus sollte es über die Kanaren heim nach Spanien gehen.
Leider ging die von der langen Reise ziemlich mitgenommene Karavelle vor Lanzarote mit Männern und Mäusen im Sturm verloren. Nur das Logbuch, ein leeres Weinfass und der an beides gekrallte Schiffsjunge überlebten die Havarie; Bottich, Buch und Bürschchen wurden nach Tagen von Fischern aus dem Wasser gezogen. Der halbtote Junge faselte wirres Zeug von einem großen stinkenden Landfladen mitten im Südatlantik, das Logbuch schien ihm Recht zu geben - trotzdem gerieten MiasmaGrande, Don Pirazz und die ganze unglaubliche Reise der LasFunebras in dumpfe Vergessenheit.
Gut 20 Jahre später fand (und stahl) Don Pirazz’ Neffe, der wie sein windiger Onkel ebenfalls vom balearischen Archipel stammende Ziegenzüchter Juan Oblong deCobolz, während einer Lustreise nach Tenerife in der dortigen Hafenverwaltung zufällig das verschollene Logbuch der LasFunebras - und darin des Onkels Auslassungen zur nämlichen Insel. DeCobolz spürte den damaligen Schiffsjungen auf und stach ein Jahr später mit diesem sowie 49 Halsabschneidern, 68 Ziegen und 12 Tonnen Saubohnen von Mallorca aus auf einer alten, aber geräumigen Nao in See. Don Juan hatte seine Geldtruhen geleert und jeden freien