SoKo Heidefieber. Gerhard Henschel

SoKo Heidefieber - Gerhard Henschel


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Flasche mit dem Schädel von Hobbe Hubertus Schepker erblickt. An der Stelle, wo sonst die chinesische Dschunke gestanden habe. »Un ick dach’, mi draapt de Slag! Daar stunn ick tomaal de Mann tegenöver! Of beter geseggt, sien Kopp! Oog in Oog!«

      »Ja … ja … ja … verstehe … was? Das kann doch wohl nicht sein! … Aha … ja … ja … und wie soll das funktioniert haben? … Verstehe … gut … ja … tun Sie das … nein, wir stochern hier noch im Nebel … ja … danke …«

      Kommissar Gerold legte auf, glotzte Löcher in die Luft und ließ die Unterlippe hängen.

      »Bad news?« fragte Kommissarin Fischer.

      Er sah sie an. »Das können Sie laut sagen. Unser Mann hat wieder zugeschlagen. Falls es wirklich unser Mann ist.«

      »Und wo?«

      »In einem Kaff an der Nordseeküste. Hat einem Krimischreiber aus Jever den Kopf abgehackt und ihn in einem Buddelschiffmuseum ausgestellt. In einer Glasflasche. Und die Kollegen fragen sich, wie er den Schädel da reingekriegt hat.«

      »Und?«

      »Zur Stunde ist die einzige Erklärung die, daß er ein Glasbläser ist und das Flaschenglas um den Schädel herumgeblasen hat.«

      »Schwachsinn«, sagte Kommissarin Fischer. »Wie soll denn das gehen?«

      Zum erstenmal fiel ihr jetzt auf, daß sich unter Gerolds Augen Tränensäcke bildeten. Die Vorboten des Alters. Noch recht unscheinbar, denn er war ja erst Anfang vierzig, aber hey, noch fünfzehn oder zwanzig Jahre, und sie hätten das Format von Adidas-Umhängetaschen. Doch im Embryonalstadium standen sie ihm gar nicht so schlecht.

      »Das ist alles noch unklar«, sagte Gerold. »Die Flasche und der Schädel werden jetzt von der KTU untersucht. Wenn hier tatsächlich ein Serienmörder am Werk ist, dann hat er mehr drauf als Jack the Ripper, Fantomas und David Copperfield zusammen. Was aber nicht heißt, daß wir ihn nicht drankriegen können …«

      4

      Der Zellersee in der baden-württembergischen Gemeinde Kißlegg im Landkreis Ravensburg war an und für sich eine gute Wahl als Kulisse für seine Kriminalromane gewesen, denn auf den Zellersee und dessen Umgebung war zuvor noch niemand verfallen, und es hatten sich viele Titel angeboten: »Zellerseemord«, »Zellerseeblut«, »Zellerseegift« und »Zellerseetod«. Drei davon hatte Justus Weindl bereits verbraucht, als er nach einem Ohnmachtsanfall mit gefesselten Händen und Beinen wieder zu Bewußtsein kam und sich in Erinnerung rief, was vorgefallen war: Er hatte einem Paketboten die Tür geöffnet und war k.o. geschlagen worden. Und nun lag er hier in seinem Jacuzzi. Nackt, gefesselt und mit schweren Fußkugeln zur Unbeweglichkeit verurteilt.

      »Wollet Sie mai Geld?« fragte er den Einbrecher, der aus dem Nebenraum auf einer Sackkarre ein großes graues Objekt hereinschob. Was war das? Ein Bierfaß?

      »I hon vill Geld gbunkerd!« rief Weindl. »Damit könndet Sie sich einen schöna Lebensabend uf Ibiza macha! Wäre des ned schee?«

      Der Einbrecher hatte es jedoch weder auf Geld noch auf Wertgegenstände abgesehen. Er stellte das Faß ab und rollte die Sackkarre wieder hinaus.

      Bei der jähen Erkenntnis, mit wem er es hier zu schaffen hatte, hielt Weindl den Atem an, und seine Hoden zogen sich in Richtung Beckenraum zurück. Natürlich! Er hatte die Nachrichten verfolgt. Er wußte, daß ein Mörder umging, der die Verfasser von Regionalkrimis umbrachte. Nach den Methoden, die sie selbst in ihren Krimis beschrieben hatten. Und in seinem Roman »Zellerseeblut« hatte Weindl detailliert geschildert, wie der gefesselte und mit zwei jeweils fünfzig Kilogramm schweren Fußkugeln versehene Musikproduzent Ludwig Steinmaier in einem Jacuzzi in seinem Eigenheim in der Sebastian-Kneipp-Straße am Zellersee zu Tode gekommen war.

      Jede Zeile dieser Szene stand Weindl wieder vor Augen:

      »Ich serviere dir zwei Gänge«, sagte der Unbekannte und kippte das erste Plastikfaß aus. Fünfzehn Löwenmähnenquallen schwappten in das Wasser. Sie gehörten zum Stamm der Nesseltiere und gesellten sich sofort zu dem rosaroten Menschenleib, der ihnen keinen Widerstand leisten konnte. Mit ihren Tentakeln riefen sie eine starke allergische Reaktion hervor. An Steinmaiers Haut auf den Beinen und am Gesäß bildeten sich rötliche Quaddeln.

      »Holen Sie mich hier raus!« schrie er. »Ich gebe Ihnen alles, was Sie wollen!«

      »Zu spät«, knurrte der Unbekannte und kippte das andere Faß aus. »Hier kommt der nächste Gang, mein Herr …«

      Eine zwei Meter lange Streifenruderschlange, deren Biß tödlich war, glitt aus dem Wasserschwall und steuerte Steinmaiers haarige linke Wade an. Der Homo sapiens fiel zwar nicht in ihr Beuteschema, aber wie hieß es so schön? In der Not frißt der Teufel Fliegen …

      Und diese Schlange war wirklich außergewöhnlich hungrig. Dafür hatte ihr Eigentümer umsichtig gesorgt. Falls »Eigentümer« der richtige Ausdruck war, denn er hatte sie illegal erworben, in Doha am Persischen Golf, und sie nach Deutschland geschmuggelt, um ein bißchen Spaß mit ihr zu erleben.

      Nun war es soweit. Steinmaier brüllte und bäumte sich auf, das Wasser schäumte, und dann umhüllte eine Blutwolke die Beine und den Unterleib des Opfers. Sie erinnerte den Unbekannten an das zerfließende Abendrot in einem Gemälde von William Turner, das er in der National Gallery in London gesehen hatte. Guter Maler. Schade nur, daß Turner die Nachahmung seiner Farbgebung in Steinmaiers Jacuzzi nicht bestaunen konnte.

      Aber wie, fragte sich Weindl, soll dieser Wahnsinnige, der mich überfallen hat, an eine Streifenruderschlange gekommen sein? Oder an fünfzehn Löwenmähnenquallen? Das hier war das reale Leben und nicht irgendeine Räuberpistole, in der sich die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nach Belieben außer Kraft setzen ließen …

      »Falls Sie sich gerade an ein bestimmtes Romankapitel erinnert fühlen sollten«, sagte der Einbrecher, während er das zweite Faß hereinrollte, »dann beglückwünsche ich Sie zu Ihrer Intuition. Sie haben richtig geraten. Ich habe weder Kosten noch Mühen gescheut, um für unser Treffen alles so zu arrangieren, wie es Ihren Vorstellungen entspricht. Oder sollte ich sagen: für unser kleines Picknick?«

      In der Hoffnung, aus dieser Nummer doch noch herauszukommen, prägte Weindl sich das Äußere des Einbrechers gut ein: Mitte fünfzig, glattes schwarzes Haar, kurzgeschnitten, Blumenkohlohren, hellbraune Augen, hohe Stirn, breite Wangenknochen, breite Nase, Kinngrübchen, muskulös, Größe ungefähr eins achtzig, schwarze Lederjacke, rotes Oberhemd, blaue Leinenhose … und an den Füßen keine Schuhe, sondern … ja, was? Gefrierbeutel? Jedenfalls irgendwas aus Plastik. Solche Treter, wie Mark Wahlberg sie im Finish des Thrillers »The Departed« getragen hatte, um beim Mord an Matt Damon keine Spuren zu hinterlassen.

      »Dann wollen wir mal«, sagte der Einbrecher und löste den Deckel vom ersten Faß. »Hier kommt das Vorgericht. Ach nein, verzeihen Sie, ich wollte sagen: Hier kommen ein paar Dinnergäste. Denn das Vorgericht sind Sie ja selbst.«

      »Wardet Sie!« rief Weindl. »Könna mir darübr ned no mol schwätza? I könnda Ihna Milliona geba, verschdehet Sie? Milliona!«

      »Geld ist nicht alles«, sagte der Einbrecher und schüttete das Faß aus, in dem sich, wie versprochen, fünfzehn Löwenmähnenquallen befanden. An Süßwasser waren sie nicht gewöhnt, doch es gab da ja jemanden, an dem sie ihren Ärger auslassen konnten.

      Weindl wand sich und schrie: »Des könnet Se mir ned andun! Womid soll i des verdiend han? Saget Sie mir des!«

      »Der Kavalier genießt und schweigt«, sagte der Einbrecher und öffnete das zweite Faß. »Gestatten: Mister Hydrophis cyanocinctus. Es freut mich, Sie mit Herrn Justus Weindl bekanntmachen zu dürfen, der seinen Lesern schon viel von Ihnen erzählt hat. Er ist ganz versessen darauf, Sie näher kennenzulernen …«

      »Dun Se des ned!« schrie Weindl, doch der Einbrecher hatte das Faß bereits angekippt, und die ausgehungerte Streifenruderschlange, die herausschnellte, hielt sich nicht mit Formalitäten auf. In der freien Wildbahn hätte sie als Leckermäulchen einen großen Bogen um jemanden wie Justus Weindl gemacht,


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