Royal Horses (2). Kronentraum. Jana Hoch
begegnet war. Peinlicher Look hin oder her. Aber das änderte gar nichts … oder? Edward war jetzt wieder offiziell der Prinz von England und musste diese Rolle ausfüllen. Was, wenn er gar nicht mehr er selbst war? Oder viel schlimmer: Was, wenn ich ihm tatsächlich noch mal eine Chance gab und er mich wieder anlog? Das war die Frage, die am meisten an mir nagte.
Ich war gerade so weit, dass ich nicht mehr peinlich losheulte, wenn im Fernsehen eine romantische Szene lief, und ich schaffte es, Nachrichten über Edward zu sehen, ohne danach stundenlang ziellos durch die Wohnung zu laufen. Auf gar keinen Fall wollte ich wieder in die Phase zurück, in der mein einziger Tagesinhalt darin bestanden hatte, mich zur Schule zu schleppen und mich nachmittags in Jordans Bett zu verstecken. Das war doch nicht ich! Das passte gar nicht zu mir!
Ich wechselte zum Messenger und gab Edwards Kontakte ein. Er hatte weder ein Profilbild noch eine Statusmeldung. Kein Wunder, wahrscheinlich war es eine streng vertrauliche Handynummer. Und was hatte ich auch erwartet? Ein Selfie mit seiner Großmutter plus Corgis auf dem Arm?
Unsicher, ob ich das wirklich tun sollte, ließ ich meinen Finger über den Buchstaben schweben. Dann tippte ich.
Meine Antwort auf dein Angebot lautet nein.
Ehe ich mich anders entscheiden konnte, drückte ich auf Senden.
Kaum, dass die Nachricht im Verlauf angezeigt wurde, spürte ich, wie mir der Schweiß ausbrach. Oh Gott, was hatte ich nur getan? Was, wenn Edward antwortete? Und es war sogar ziemlich wahrscheinlich, dass er das tat. Ich hatte ihm schließlich gerade die Erlaubnis dazu erteilt. Shit! Seine Anrufe konnte ich vielleicht ignorieren, aber …
Edward schreibt, erschien in winzigen Buchstaben unter seinem Namen. Was? Wie konnte es sein, dass er meine Nachricht binnen Sekunden gelesen hatte? Es war mitten in der Nacht! Panisch überlegte ich, noch etwas zu tippen wie »Bitte antworte mir darauf nicht« oder »Kein Bedarf an weiteren Gesprächen«. Doch da leuchtete mir Edwards Nachricht bereits entgegen.
Wie geht es dir?
Ich las die wenigen Worte drei Mal. Kein Versuch, mich zu überzeugen, keine Frage nach dem Warum. Einfach: Wie geht es dir?
Mein Herz schlug schneller. Was konnte ich antworten? Etwas Bissiges? Dass das alles seine Schuld war? Nein. Ich wusste, dass das nicht stimmte.
Die Presse hat meine Schule überfallen, ich bin überall in den Nachrichten und der Schulleiter hat mir Zwangsferien erteilt.
Ich formulierte meine Nachricht möglichst sachlich und ohne ein Emoji hinzuzufügen. Gleich darauf hatte ich eine Antwort.
Es tut mir leid, dass ich dich in diese Lage gebracht habe. Ich weiß leider ziemlich gut, wie es sich anfühlt, sich vor der Presse zu verstecken. Und das ist wirklich das Letzte, was ich für dich wollte.
Ich betrachtete die Worte lange, setzte an, etwas zu schreiben, und löschte es dann doch wieder.
Hättest du dir das bloß eher überlegt. Nein.
Kein Problem. Ich komme schon klar. Nein.
Nichts davon fühlte sich richtig an. Ich legte das Handy zur Seite, drehte mich auf den Rücken und richtete meinen Blick auf die Sternbilder.
Wo Edward wohl gerade war? Auch in London? Oder auf Caverley Green? Bestimmt in einem prunkvollen Raum mit verzierten Zimmerdecken und goldenen Applikationen an den Wänden. Ob er sich auch manchmal erdrückt fühlte? Eingesperrt? Und unfähig, etwas dagegen zu unternehmen? Ganz sicher. Wahrscheinlich war das, was ich gerade erlebte, nur die Spitze des Eisbergs. Für Edward gehörte der Hype um ihn zur Tagesordnung. Er hatte schon weitaus Schlimmeres erlebt. Bei unserem letzten Treffen hatte er mir erzählt, wie Lianna und er im Skiurlaub in Davos verfolgt worden waren, obwohl sie beide Helme trugen und nicht von anderen Teenagern auf der Piste zu unterscheiden waren. Ein Reporter hatte Lianna so sehr bedrängt, dass sie gestürzt war. Er hatte erst von ihr abgelassen, als Edward ihm die Kamera aus der Hand geschlagen und auf ihn eingeprügelt hatte.
Dabei hatte Edward vollkommen die Kontrolle verloren und nicht aufgehört, bis Sixton und sein Vater ihn weggezerrt hatten. Das war auch der Grund, warum sein bester Freund James, der ihm in vielen Punkten ähnlich sah, kurzfristig seine Rolle einnehmen musste. Edward war nicht mehr in der Lage gewesen, sich der Öffentlichkeit zu stellen.
Ich gehörte zu den wenigen, die überhaupt davon wussten, und obwohl mich sein Geständnis zutiefst schockiert hatte, hatte ich mein Versprechen gehalten und niemandem davon erzählt. Nicht einmal Jordan.
Der Bildschirm meines Handys leuchtete auf und sofort fühlte ich mich wie unter Strom. Mein Bauch, meine Fingerspitzen, meine Haut – alles kribbelte. Ich zog mir die Bettdecke über den Kopf. Das war doch verrückt. Einfach verrückt. Ich hätte längst schlafen sollen. Und was tat ich stattdessen? Textnachrichten an Seine Hoheit, Prinz Tristan, schreiben. Nummer was weiß ich in der britischen Thronfolge, favorisierter Schwiegersohn alle Mütter mit Töchtern im Teenageralter und ausgerechnet der Junge, mit dem ich eigentlich nie, nie, nie wieder etwas zu tun haben wollte.
Ich seufzte und ließ einige Minuten verstreichen. Dann hielt ich es nicht mehr aus und öffnete Edwards Nachricht.
Bitte sag mir, wenn ich dir helfen oder irgendetwas für dich tun kann. Ich würde so gerne für dich da sein. Wenn auch nur als guter Freund oder Bekannter oder was auch immer ich für dich sein darf …
Drei kleine Punkte. Noch nie zuvor hatten sie ein solches Flattern in meinem Bauch ausgelöst. Ich schloss die Finger fester um das Handy und schob es unter mein Kopfkissen. Miese verräterische Gefühle. Warum hatte Edward bloß nach allem, was passiert war, immer noch so eine Wirkung auf mich? Das war nicht fair. Ich hätte ihn hassen sollen, Bilder von ihm verbrennen und überall herumerzählen müssen, was für ein Idiot er war. Eben das, was wohl jede andere in meiner Situation tun würde. Aber anstatt mit meiner besten Freundin über Edward zu lästern und Dartpfeile auf sein Konterfei zu werfen, fing ich langsam an zu verstehen, warum er mir nicht die Wahrheit gesagt hatte. Jetzt, da ich eine Ahnung davon hatte, was es bedeutete, in der Öffentlichkeit zu stehen, wurde mir einiges klar. Zum einen, warum er so vorsichtig gewesen war und sich am Anfang schwergetan hatte, mir zu vertrauen. Zum anderen, dass er es genossen haben musste, dass ich keine Ahnung hatte, wer er war. Ein Mädchen, das sich nur um seiner selbst in ihn verliebte. Nicht aufgrund seines Titels und der schillernden Welt, in die er hineingeboren worden war.
Ich tippte. Machte eine Pause. Richtete mein Kissen. Tippte weiter. Zögerte. Dann sendete ich es ab.
Was machst du, wenn dir alles zu viel wird?
Wieder kam die Antwort prompt.
Du weißt, was ich dann tue. Daran solltest du dir kein Beispiel nehmen.
Richtig. Edward reagierte aggressiv, wenn er zu sehr unter Druck geriet. Wobei er sich die letzten Wochen, in denen er sich vor den Medien für die Vertauschung hatte verantworten müssen, erstaunlich gefasst gezeigt hatte. Nur sein Blick war mir leer vorgekommen. Wie der eines Pferdes, das sich missverstanden fühlte, sein Schicksal aber einfach akzeptierte.
Wenn es möglich ist, gehe ich ausreiten oder wandern. Irgendwohin, wo mich niemand findet. Wenn ich allerdings gar nicht rausdarf, hilft kaum etwas. In den ersten Tagen tut es Fernsehen, Sport oder ein gutes Buch. Aber danach … schwierig. Spätestens nach einer Woche werden die Wände enger.
Ja, genauso fühlte es sich an. Meine ohnehin schon winzigen elf Quadratmeter schienen mit jeder Stunde weiter zu schrumpfen.
Und was machst du so, um dich abzulenken?
Online-Tutorials schauen, Bücher sortieren und mir zum zweihundertsten Mal Frozen ansehen.
Edward schickte einen grinsenden Smiley.
Du stehst auf singende Schneemänner?
Eine meiner vielen Leidenschaften, die du noch nicht kennst.
Bevor ich michs versah, setzte ich ein zwinkerndes Gesicht dahinter.
Du meinst, so wie die für gotische Vampirlooks?
Idiot.