Usus Belli. Thorsten Klein

Usus Belli - Thorsten Klein


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und ihm Meldung machte. In diesem Moment gruben sich il caskars Fingernägel schmerzhaft in Takhtushos Hand. „Der General, Takhtusho. Sieh dir den General an. Wir sind gerettet.“

      „Gerettet?“

      „Mensch, Takhtusho, erkennst du ihn nicht? Es ist mein Vater. Der wird uns helfen.“

      Ort: Psyche, Dai Nippon, Tokio

      „Sie wollen mir helfen, Herr Sabota?“, fragte Hotsumi.

      „Nicht nur dir, auch deinem Land“, antwortete der.

      „Mein Land ist das mächtigste in Asien. Bald wird es das mächtigste in der Welt sein.“

      „Glaubst du?“, zweifelte Sabota und konkretisierte diesen Zweifel: „Wird man mächtig, indem man einen Krieg anfängt, den man unmöglich gewinnen kann?“

      „Wir haben bis jetzt jeden Krieg gewonnen“, hielt Hotsumi dagegen.

      „Umso mehr Angst müssten die Japaner vor jedem weiteren Krieg haben. Man kann nicht immer gewinnen. Jeder Sieg macht die kommende Niederlage wahrscheinlicher. Ich weiß, dass du das spürst.“ Richard Sabota war stehengeblieben und sah den Japaner eindringlich an.

      Der wollte eine schnelle Antwort geben, überlegte die sich aber, als er diesen Blick sah. „Ich spüre das? Was meinen Sie damit?“

      „Ich kenne deine Gedichte.“

      „Sie kennen meine Gedichte? Niemand kennt meine Gedichte. Ich habe sie keinem Menschen gezeigt.“

      „Du musst sie mir nicht zeigen. Sie liegen in der Luft. Ganz Japan ist voll von deinen Gedichten. Japan ist voll von jenen Gedanken, die du in Worte gekleidet hast. Gedanken, die sonst noch keiner auszusprechen wagt. Darum hast du auch noch keinem deine Gedichte gezeigt. Veröffentliche deine Werke. Es ist an der Zeit, dass sie gelesen werden.“

      „Sie können Gedanken spüren? Sie kennen meine Gedichte, obwohl Sie diese nie gelesen haben? Wer sind Sie? Ein Kami?“

      Richard Sabota nickte. „Ich bin ein Kami in allen Arten, die dieses Wort in deiner Sprache ausdrückt. Du bist auch einer.“

      „Ich lebe, also bin ich kein Geist“, wehrte dieser ab.

      Sabota lächelte. „Ich lebe auch. Trotzdem kann ich sehen, in welcher Gefahr dein Land schwebt, und, dass man diese Gefahr nicht abwehren kann. Auch Deutschland schwebt in dieser scheinbar unabwehrbaren Gefahr.“

      Ozaki Hotsumi war unter dem Blick Sabotas wie in Trance.

      „Sprich aus, was du siehst. Danach ist es weniger schlimm“, forderte ihn Sabota auf.

      „Japan wird einen Krieg beginnen, den es verliert. Unsere Feinde werden zurückschlagen. Mit Waffen, die diese Welt noch nie gesehen hat. Mit furchtbaren Waffen. Danach wird es Japan nicht mehr geben.“

      „Glaubst du, deine Voraussage ist zutreffend?“

      „Ich bin mir nicht sicher. Ich sehe nur furchtbares Leid und die komplette Zerstörung von allem, was das alte Japan einst ausgemacht hat.“

      „Wenn das alte Japan nicht mehr existiert, muss man aus seinen Trümmern ein neues Japan bauen. Ein neues Japan, das nichts mehr von dem hat, was zur Zerstörung des alten Japans führte. Deine Gedichte werden dabei helfen. Du persönlich könntest dabei helfen. Möchtest du das?“

      „Und wenn ich recht habe? Wenn die vollständige Zerstörung meines Landes unausweichlich ist?“

      „Nichts ist unausweichlich. Nicht, solange es Menschen gibt, die bereit sind, sich der vollständigen Vernichtung entgegenzustellen und etwas Neues aufzubauen.“

      „Ich kann helfen, ein neues Japan aufzubauen? Was muss ich dafür tun?“

      Richard Sabota lächelte. Genau diese Frage wollte er hören.

      Also erklärte er, was er vorhatte.

      Ort: Psyche, Berlin, Parteizentrale der Nazis

      „Du hattest wirklich vor, dich in diesem Aufzug bei ihnen einzuschleichen?“, fragte Takhtusho mehr verwundert, als erbost.

      „Und du? Wie hast du von meinen Plänen Wind bekommen? Ich dachte, du liegst auf Sakania“, erwiderte il caskar mehr erbost als verwundert.

      „Wer mir davon erzählt hat, sag ich nicht. Du glaubst es mir sowieso nicht.“

      „Was gibt’s da schon groß zu rätseln. Es kann ja nur Sakania gewesen sein. Ich weiß, dass die nicht will, dass ich wieder mächtig werde. Ich will es aber.“

      „Indem du dich als normaler Psychaner verkleidest und versuchst, an den Reichsmarschall ranzukommen?“

      „Wie denn sonst? Hatten wir nicht ausgemacht, die Ereignisse zu unseren Gunsten zu nutzen? Genau das war mein Plan.“

      „Denkst du auch nur ein paar Minuten über deine Pläne nach, nachdem du sie gefasst hast? Unter welchem Namen wolltest du dort erscheinen?“

      „Als Krüger natürlich. Der Reichsmarschall ist dem noch was schuldig.“

      „Das Einzige, was der dem schuldig ist, wäre ein Kopfschuss und das anschließende Verscharren im Wald. Du warst auf ihrer Todesliste. Sie haben dich erschossen. Hast du das vergessen? Wie wolltest du deine wundervolle Auferstehung erklären? Sie werden dich für einen Hochstapler halten. Wenn du Glück hast, wanderst du nur in die Klapsmühle. Hast du Pech, erschießen die dich nochmal.“

      „Ich muss aber etwas tun, um wieder mächtig zu werden. Verstehst du das nicht? Ich muss. Dieses Nichtstun und das auf-Ereignisse-warten frisst mich auf.“

      il caskars Wut hatte einen Punkt erreicht, bei dem man nur noch heulen konnte. Takhtusho spürte das. Er kannte sich da aus. Seine Wut hatte oft diesen Punkt erreicht. Und er hatte oft geheult. Meist seines Freundes il caskar wegen.

      Nun war er froh, ihm in einer solchen Situation helfen zu können.

      „Hast du nicht geglaubt, deinen Vater zu sehen? Ich habe mich kundig gemacht. Der Mann heißt wirklich General von Eberbach. Wir werden ihn sprechen. Mit seiner Frau habe ich bereits gesprochen. Sie hat mir gesagt, du wärst ihr Sohn.“

      „Siehst du. Du hast mir nicht geglaubt. Ich wusste, auf meine Mutter ist Verlass.“

      „Sie ist nicht deine Mutter. Ich habe sie gescannt. Aber sie hält dich trotzdem für ihren Sohn. Ich weiß zwar nicht, wie sie auf diese bekloppte Idee kommt, aber dir hilft es. Wir besorgen dir eine Uniform. Dann bist du halt nicht Oberstleutnant von Krüger, sondern Oberstleutnant von Eberbach. Was sind schon Namen, wenn sie eine Existenz verschaffen. Okay?“

      il caskar hatte sich inzwischen beruhigt. Er sah Takhtusho anerkennend an. „Das hast du alles organisiert? Für mich?“

      Hatte Takhtusho eigentlich nicht, sondern seine Schwester Bcoto. Ohne das Takhtusho herausgefunden hatte, warum sie das tat. Er vermutete, sie arbeite für den Hohen Rat. In wichtiger Position. Aber das konnte er il caskar nicht erklären. Der hätte das nicht verstanden und die Hilfe nicht angenommen.

      „Ich weiß, wo die von Eberbach wohnen“, bot er statt einer Antwort an. „Es ist in der Nähe unserer Villa im Grunewald. Nehmen wir ein Taxi oder wollen wir durch die RaumZeit reisen? Auf Psyche kannst du das doch noch.“

      il caskar nickte. Das und seine Unverwundbarkeit waren die einzigen Dinge, die ihm von seiner einstigen Göttlichkeit geblieben waren.

      * lat.: Verleumdung, Vorwurf, Anschuldigung; Verbrechen

      2 im Japanischen wird erst der Familien- und dann der Vorname genannt

      2. Kapitel Para Bellum*

      „Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nation auf dem Spiele … Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo Ihr Wissen, Ihr Gewissen und Ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbieten.“

      L. Beck, (Generalstabschef, Reichsheer, Erde,


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