Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse
aus einer Botschaft, die dessen Bedienstetem nicht gefällt? Auch wenn der Mann den Inhalt nicht erfahren wird, ohne die Siegel zu brechen, weiß er doch, woher das Dokument kommt… Das allein könnte schon reichen, um diese Botschaften erst zu lesen und anschließend verschwinden zu lassen…“
Belletor lauerte auf eine Erwiderung. Er wartete vergebens. Weil dem so war, fügte er damals noch an: „Der Mann, den ich aufsuche, übergibt die Botschaft persönlich an den Kaiser.“
Damit waren die Gespräche zwischen ihnen, vor Beginn der Reise, beendet.
Der Abend mit Viator und Paratus brachte einige neue Erkenntnisse zu den Verlorenen und deren Erlebnissen im Land der Hermunduren, ein kräftiges Mahl und einen trefflichen Falerner aus Kampanien.
Am Morgen begann ihr Ritt in den Süden.
Belletor war nicht gewillt, Mogontiacum noch einmal zu durchqueren. Er wollte die Aufmerksamkeit nicht erneut auf sich lenken und überließ deshalb Sexinius die Führung, der sich in dem Gebiet ihrer Wahl etwas besser auskannte. Am dritten Tag erreichten sie die römische Straße am Rhenus.
Bisher vermieden sie Tavernen, wohl auch deshalb, weil es in dem durchrittenen Gebiet keine gab. Dafür lernten sie sich besser kennen.
Der tägliche Ritt und das abendliche Feuer waren Gelegenheiten zum Führen langer Gespräche. Sie nutzten die Zeit und so gelangte jeder der Reiter zu einem Wissen über das bisherige Leben des Anderen.
Was die Kindheit oder die Jugend anbetraf, schienen beide annähernd Gleiches erlebt zu haben. Es gab nur einen kleineren Unterschied.
Sexinius stammte aus einer Familie, die es in Rom zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatte, während Belletor, soweit dieser sich erinnern konnte, mit seinem Vater von einer Arbeit zur Nächsten wanderte.
Belletor kannte keinen Ort, an dem er länger als ein paar Monde weilte. Anfangs fand der starke und willige Mann, der sein Vater war, gute Arbeit. An seine Mutter konnte sich der Knabe nicht erinnern…
Dann veränderte sich der Vater. Er war des ständigen Unglücks überdrüssig, wurde launisch, ungerecht und vor allem zornig. Ab dieser Zeit führte sie der Zorn des Vaters immer tiefer in die Ausweglosigkeit. Der Vater arbeitete schlechter, was sich in kürzeren Zeitabständen zwischen den einzelnen Arbeitsstellen ausdrückte.
Mitunter unzufrieden, verabschiedete sich der Vater mit einem Faustschlag, wenn dieser sich ungerecht behandelt fühlte. Er hatte Streit mit Anderen, gleich ihm Hoffnungslosen, und auch da flogen oft Fäuste. Manches Mal zogen sie so schnell weiter, dass der Vater vergaß, den geschuldeten Lohn einzufordern. Wenn dennoch einige Sesterze den Weg in seine Hände fanden, dann verschleuderte er diese in so mancher üblen Taverne. Sein Vater wurde ein Säufer.
Kaeso Belletor kannte nur einen einzigen guten Freund: den Hunger!
Als den Vater dann ein anderer, ebenso mitteloser Trinker von seinem Leid befreite, in dem er diesem einen Dolch in die Brust stieß, war Kaeso Belletor von der täglichen Prügel zwar befreit, allerdings auch gezwungen den Freund ‚Hunger’ noch eindringlicher zu umarmen.
Also begann er zu stehlen. Das aber brachte ihn in Rom in Gefahr und ein Ausweg zeichnete sich nicht ab…
In dieser Phase seines Daseins begegnete ihm ein alter Mann, der ihn beim Stehlen ertappte. Er hätte sich dem Festhalten des Alten, durch einen einzigen Stoß, entziehen können. Immerhin war er als fast Vierzehnjähriger dafür kräftig genug und der Alte viel zu schwach, sich nach einem Angriff auf den Beinen halten zu können…
Es war die einfache Frage des Alten, die ihn zum Einhalten zwang.
„Du hast Hunger?“
Er musste zu dieser Zeit wirklich einen ausgemergelten Eindruck hinterlassen haben, deshalb nickte er nur und der Alte nahm ihn mit.
Von da ab ging es ihm gut und fast zwei Jahre vergingen. Der Alte war eigentlich nicht ganz so alt. Er war krank und wusste, dass er bald sterben würde. Davon sprach der Mann jedoch nicht und Belletor wunderte sich nur, dass zwei Dinge ständig auftraten. Es stand immer Essen für ihn bereit und der Alte wälzte sich Nachts unter Schmerzen.
Belletor ergründete nicht, was den Alten zur Güte ihm gegenüber veranlasste und welches Leiden diesen plagte. Die Nachbarn kümmerten sich weder um den Alten, noch um ihn. Als er dann den Alten tot auf seinem Lager liegend fand, nahm er den letzten Rest des Brotes, die wenigen Münzen aus der Schale und verließ das Haus.
Die Münzen reichten nur wenige Tage und danach griff wieder der Hunger nach ihm. Er trieb sich herum, suchte nach einer Arbeit, die er zu leisten vermochte oder war schon manchmal mit einem Kanten harten Brotes, das er sich zumeist zu Unrecht ergattern konnte, zufrieden.
Sein Weg führte ihn oft zum Forum Boarium und dem dort befindlichen Portus Tiberinus, wo er hoffte, eine Arbeit finden zu können. Der Viehmarkt, unmittelbar in dessen Nähe, könnte andererseits dabei behilflich sein, durch eine andere, weniger glückliche Beschäftigung beim Kotauflesen, einen Kanten Brot zu erlangen.
Kaeso Belletor war nicht glücklich über diese niedrige Tätigkeit und dennoch froh, wenn dann, nach den Mühen des Tages, ein zumeist nur den Kühen gestohlener Brotkanten seinen Hunger stillte.
Er war am untersten Ende der Besitzlosen Roms angelangt und überlegte deshalb nicht lange, als er auf Werber der Legionen stieß. Plötzlich fiel ihm ein, dass schon lange über des Kaisers Absicht gemunkelt wurde, Britannien zu erobern. Er wusste weder wo das lag, noch begriff er, zu was er sich verpflichtete, als er den Werber ansprach.
Der ältere Mann in der Uniform der Legionen blickte ihn traurig an.
„Junge, ich würde dich schon gern nehmen… Doch sieh dich mal genau an… Du siehst verhungert aus. Die Lumpen, die du Tunica nennst, würde kaum ein Sklave tragen und wer sollte bestätigen, dass du einer Berufung in Roms große Legionen würdig wärst? Hast du einen Vater, der für dich bürgt? Kennst du Verwandte, die dich gern loswerden wollen und dafür Bürgschaft leisten? Du scheinst trotz allem kräftig zu sein, wirst, so scheint mir, auch nicht auf den Kopf gefallen sein und dennoch nimmt dich keiner… Geh Junge, ich kann dir nicht helfen…“
Belletor nahm seinen ganzen Mut zusammen, blickte in die gütigen Augen des Optio und fragte ihn, ob er wüsste, wohin er ihn schicken würde?
Der Werber für Roms Legionen, der schon sehr viel gesehen und erlebt hatte, oft schon solche Abweisungen durchführte, stutzte. Zumeist war diese Art Hungerleider nicht befähigt, eine solche vernünftige Frage zu stellen. Er rang mit sich und knurrte letztlich nur: „Wohin?“
„Auf den Viehmarkt, Scheiße auflesen…, damit Roms Straßen sauber sind… Weil es dafür weder Brot noch Münzen gibt, klaue ich den Rindern ein Stück von dem Brot, das man diesen Tieren vors Maul wirft… Herr, weißt du noch etwas?“
„Sprich!“
„Wenn mich der Viehhändler oder einer seiner Knechte fängt, habe ich die Wahl zwischen Prügel und dem Verlust der Hand, mit der ich stahl…“
„Du lügst!“ entfuhr es dem Optio.
„Komm mit und sieh zu. Ich beweise es dir!“
„Warte!“
Es war, seit dem Tag, als ihn der Alte beim Stehlen erwischte, der erste wieder gute Tag…
„Warte, bis wir abziehen!“ schnauzte der Optio, sich grob und unnahbar gebend. „Ich kann dich nicht aufnehmen, ohne ein Zeugnis. Auch kenne ich dich nicht. Also wirst du vorerst kein Probatus!“ Diese Entscheidung des Optio trug die Züge einer Endgültigkeit. Der Ältere besann sich einen Augenblick und verkündete dann eine Absicht.
„Dafür mache ich dich zu meinem Diener… Der Vorgänger lief mir davon. Erfüllst du deine Aufgaben, bürge ich dann für dich und du kommst in die Legion. Bist du faul oder nachlässig, werde ich dich erziehen!“ verkündete der Optio das Ende seiner Überlegungen.
„Du meinst prügeln?“ erwiderte Belletor.
Der