Lebendige Seelsorge 3/2020. Erich Garhammer

Lebendige Seelsorge 3/2020 - Erich Garhammer


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      Prof.in Dr. Ute Leimgruber

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      THEMA Catholic Women

       Kairos für eine geschlechtergerechte Kirche

      In der katholischen Kirche werden Frauen und Männer differenziert und hierarchisiert. Das entspricht schon lange nicht mehr der Überzeugung vieler Christinnen und Christen von einer evangeliumsgemäßen Kirche. Auseinandersetzungen und Veränderungen sind angezeigt. Jetzt. Andrea Qualbrink

      EIN VÖLLIG NEUES VORZEICHEN

      Das Leben hat ein neues Vorzeichen bekommen: Die Corona-Pandemie, die aktuell das Leben der Menschen weltweit bestimmt, wirkt wie ein Vorzeichen für alles andere. Es fällt mir nicht leicht, unter diesem Vorzeichen, das unsere Existenz betrifft – das Leben, die Gesundheit, die wirtschaftliche Existenz so vieler Menschen – über ein Thema zu schreiben, dass mir wie vielen so lange schon wichtig ist und das Anfang 2019 eine ungeheure Dynamik entwickelt hat: die katholische Kirche und die Frauen. Aber vielleicht hilft dieser Gedanke: Mir scheint, die Lebensbedingungen, die uns die Pandemie aufzwingt, spülen vieles noch deutlicher an die Oberfläche. Für die Kirche stellen sich die Fragen: Was ist ihre Aufgabe unter diesem Vorzeichen, diesen Bedingungen? Was haben wir zu tun? Was ist unverzichtbar? Wie sind wir Kirche angesichts von Tod und Verlust, physical distancing, Quarantäne, Einsamkeit, home office und home schooling, und wie entsprechen wir unserem Auftrag, Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit zu sein (vgl. Lumen gentium 1)? Wie erkennbar ist an uns die unbedingte Liebe Gottes? Und im Zuge dessen wird dann auch die Frage nach den Frauen in der Kirche an die Oberfläche gespült: Entspricht die Kirche mit ihren aktuellen Strukturen, die Frauen und Männer wegen ihres Geschlechts differenzieren und hierarchisieren, ihrem Auftrag?

      ZEITDIAGNOSE: FORDERUNGEN MIT WUCHT

      Seit Jahrzehnten fordern Frauen (und Männer) auf der Grundlage theologischer Auseinandersetzungen und geschlechtertheoretischer Diskussionen eine katholische Kirche, in der Frauen nicht wegen ihres Geschlechts differenziert und vor allem nicht von den Weiheämtern ausgeschlossen werden. Immer war aber auch mit der Diskussion und den Forderungen Angst und Druck verbunden: Angst, wegen der öffentlichen Forderung nach der Priesterweihe für Frauen die eigenen beruflichen Möglichkeiten in der Kirche zu gefährden; Angst, wegen geschlechtertheoretisch fundierter Aussagen zum Thema Gender möglicherweise kein Nihil obstat für einen theologischen Lehrstuhl zu bekommen; Sorge, als katholischer Frauenverband weniger Zuschüsse aus kirchlicher Hand zu erhalten, wenn man die Forderung nach der Priesterweihe von Frauen offen ausspricht. Das Diskussionsverbot nach dem Apostolischen Schreiben Ordinatio sacerdotalis 1994 zeigte Wirkung – trotz aller theologischen Anfragen an die Argumentation. Und auf die 2004 mit dem Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt lehramtlich zementierte Geschlechterdualität ließ sich autoritär pochen – ohne Rekurs auf das Niveau der interdisziplinären Geschlechtertheoriedebatte (vgl. hierzu u. a. Heimbach-Steins 2004).

      Andrea Qualbrink

      Dr. theol., Referentin für Strategie und Entwicklung im Bischöflichen Generalvikariat des Bistums Essen. Sie ist befasst mit Fragen der Organisations-, Personal- und Kirchenentwicklung, promovierte über Frauen in kirchlichen Leitungspositionen, erhob für die Deutsche Bischofskonferenz 2013 und 2018 den Frauenanteil in Leitungspositionen deutscher Ordinariate und entwickelte das Programm „Kirche im Mentoring – Frauen steigen auf“ des Hildegardis-Vereins e. V. mit. Sie ist Mitglied des Forums „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“ auf dem Synodalen Weg.

      Die Forderungen nach der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem Bild und der Position von Frauen erfuhren eine erhebliche Dynamisierung im Fahrwasser eines anderen Themas: 2010 wurde in Deutschland erstmals die schreckliche Tatsache öffentlich, dass Kindern und Jugendlichen insbesondere durch Priester und Ordensleute in kirchlichen Einrichtungen sexualisierte Gewalt angetan und dies zum Schutz der Täter und der Institution verschwiegen und vertuscht wurde. Die deutschen Bischöfe reagierten damals mit der Initiierung des sogenannten Gesprächsprozesses. Im Zuge dieses Prozesses positionierten sich zahlreiche Verbände von Lai*innen zu den Themen, mit denen sich die katholische Kirche dringend auseinanderzusetzen habe. Hierzu gehörten in einer Vielzahl von Positionspapieren – ausgehend vom Thema Machtmissbrauch und der männerdominierten Kirche – auch die Forderungen nach mehr Frauen in Leitungspositionen, nach der Weihe von Diakoninnen und in einigen wenigen Fällen auch die Forderung nach der Priesterweihe von Frauen (vgl. ausführlich Qualbrink 2019/1, 56-66). 2013 reagierte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) mit einem Studientag im Rahmen ihrer Frühjahrsvollversammlung, der die Frage nach Frauen in Leitungspositionen in den Mittelpunkt rückte. Der Studientag endete mit einer Selbstverpflichtungserklärung der DBK, den Frauenanteil in kirchlichen Leitungspositionen weiter zu erhöhen und die Entwicklungen fünf Jahre später zu prüfen (vgl. Bode, 93). 2018 wurde plangemäß das Update der ersten Zahlenstudie vorgelegt, das tatsächlich einen leichten Anstieg von Frauen in Leitungspositionen in den deutschen Ordinariaten von 13 auf 19 Prozent auf der oberen Leitungsebene nachwies (vgl. Qualbrink 2019/2). Die Vorstellung der neuen Zahlen in der Frühjahrsvollversammlung 2019 wurde allerdings erneut überschattet vom Thema Missbrauch.

      Die Ergebnisse der von der DBK in Auftrag gegebenen MHG-Studie zum Missbrauch in der katholischen Kirche durch Priester und Ordensmänner erschütterten die katholische Kirche in Deutschland zutiefst – und das, obwohl die Zahlen des Hellfelds für niemanden überraschend sein konnten. Diese Erschütterung löste auf verschiedenen Ebenen der Kirche in Deutschland das bittere Gefühl und die Erkenntnis aus, dass es so nicht weitergehen könne. So erklärte etwa Bischof Franz-Josef Overbeck, der Missbrauchsskandal in seiner ganzen Weite sei ein „Point of no Return“. Die Kirche erlebe eine Vertrauenskrise extremsten Ausmaßes. Alle Fragen, die es auch vorher schon gab, müssten neu beantwortet werden, darunter die Sicht auf Homosexualität, eine generelle Neudimensionierung der Geschlechterbeziehungen sowie Fragen des Zölibats, des Machtmissbrauchs und der Rolle von Frauen in der Kirche (vgl. Rünker).

      Anfang 2019 erfuhr das Thema Frauen in der Kirche eine Dynamisierung wie noch nie zuvor in der jüngeren Kirchengeschichte. Zu einem entscheidenden Player wurde die Gruppe Maria 2.0, ein Lesekreis von Frauen aus Münster, der zu einer Aktionswoche im Mai 2019 aufrief und eine enorme Bewegung in ganz Deutschland, in Österreich und der Schweiz auslöste. In einem offenen Brief der Initiative an Papst Franziskus heißt es: „Wir glauben, dass die Struktur, die Missbrauch begünstigt und vertuscht, auch die ist, die Frauen von Amt und Weihe und damit von grundsätzlichen Entscheidungen und Kontrollmöglichkeiten in der Kirche ausschließt.“ Etwa gleichzeitig zeigte sich eine Fraueninitiative in Österreich: „50 Tage – 50 Frauen: bleiben – erheben – wandeln“ und eine Initiative in der Schweiz: „Gleichberechtigung.Punkt.Amen“. International dynamisierte sich die Initiative Voices of Faith. Sie erklären in ihrer Kampagne #overcomingsilence: „Mehr als die Hälfte aller Katholiken sind Frauen. Hingegen werden Entscheidungen, die alle Katholiken betreffen, nur von Männern getroffen. Treffen wir aber weiter einseitige Entscheidungen, gefährden wir die Relevanz und Langlebigkeit der katholischen Kirche. Wir brauchen mehr Stimmen, die für unseren Glauben sprechen. Beginnen wir mit denjenigen Stimmen, die bereits die Hälfte der katholischen Kirche repräsentieren.“ Anlässlich der Amazonas-Synode forderte Voices of Faith öffentlichkeitswirksam mit Verweis auf das Stimmrecht von Ordensmännern das Stimmrecht von Ordensfrauen bei Bischofssynoden ein. Im November 2019 gründete sich mit dem Catholic Women’s Council eine globale Dachgruppe römisch-katholischer Netzwerke, die sich für die volle Anerkennung der Würde und Gleichberechtigung der Frau in der Kirche einsetzen.

      Auch die beiden großen deutschen Frauenverbände, die


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