Die Legende vom Hermunduren. G. K. Grasse

Die Legende vom Hermunduren - G. K. Grasse


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dass Gerwin die Betroffenheit des Älteren erkannte. Aber nicht nur diese Gefühlsaufwallung bedurfte der Beherrschung. Auch die Herausforderung im Verhalten und in den gesprochenen Worten regte den Zorn des Legats an. Obwohl Verginius Rufus diese gegensätzlichen Empfindungen beherrschten, begriff er dennoch, dass der Hermundure sich im Recht zur Anklage und Aufzählung befand.

      „Dann war es meine Klinge, die dich von deinem frühren Obertribun befreite, der zu viel von dir und deinen Entscheidungen wusste und sich, aus deiner Zuneigung befreiend, zu deinem Mörder aufzuschwingen gedachte… Vielleicht strebte dieser auch nach der Macht eines Legat…“ Der Kerl begann weiter in der geöffneten Wunde herumzustochern.

      „Auch der Überfall des gestrigen Tages, die Falle, die dir die Brüder stellten, solltest du berücksichtigen…“ Der junge Hermundure verharrte im Schweigen, bevor er auf den vergangenen Tag zu Sprechen kam.

      „Dann bliebe noch mein Handeln beim Überfall. Ich sah dich noch die Toten Auxiliaren betrachten… Du dürftest erkannt haben, dass nur zwei dieser Verräter Wunden eines Gladius aufwiesen… Der Centurio, oder war er nur Decurio, wurde ein Opfer meiner Klingen. Weitere fünf Auxiliaren dürften, weil auch diese nur Wunden meiner Klingen aufwiesen, als Beweis meiner Aufrichtigkeit dir gegenüber, Anerkennung finden… Aber auch damit ist diese Angelegenheit noch nicht bis zum Ende betrachtet…“

      Gerwin trank aus dem Pokal. Er hatte Zeit und er brauchte die Anerkennung durch den Legat, denn nur dann konnte sich zwischen ihnen beiderseitiges Vertrauen aufbauen. Dieses Vertrauen war es, was der junge Hermundure zu erreichen trachtete. Er, so glaubte Gerwin, hatte genügend Beweise geliefert und indem er diese aufzählte, bot er dem Legat die Möglichkeit zum Abwägen.

      „Leider gab es im Verlaufe des gestrigen Tages, nach deiner Rückkehr zum Castellum, noch eine Überraschung.“

      Plötzlich wandte sich der Legat ruckartig um.

      „Du hast recht! Jeder Dienst ist einer Würdigung wert! Auch deiner und der deiner Gefährten… Ich habe bisher gezögert, dir diese Anerkennung zuzubilligen… Der Legat griff nach dem Pokal mit Wein und nahm einen heftigen Zug, bevor er seine Worte fortsetzte.

      „Für Rom bist du tatsächlich nur eine germanische Wanze, die sich in Roms dickes Fell zwängte und gelegentlich zubiss… So empfand ich, als du mich zu deinem merkwürdigen Packt zwangst! Du gabst dich selbst in meine Hand… Welche Dummheit … oder Kühnheit… Glaubst du, ein römischer Legat hätte Bedenken, einen Germanen zu opfern oder gar selbst zu erdolchen? Du wärst nicht der Erste, dem dieses Unglück widerfuhr… Doch du kamst vom Haeduer zurück… und auch noch ohne jede Schramme… Aber du hattest doch Viator, den gerissenen Hund… Warum sollte ich dir den Erfolg zugestehen, wenn dieser dich begleitete? Doch am gestrigen Tag war kein Viator oder Paratus in der Nähe und es stimmte, deine Klingen waren mein Schutz…“

      Gerwin begriff augenblicklich das Zugeständnis und das war der Moment, den er nutzen musste.

      „Herr, dann kann ich dir jetzt auch den Grund der Verzögerung nennen. Du entsinnst dich, die beiden Centurionen durchkämmten mit ihren Milites den Wald…“ Der Legat nickte.

      „Ofilius und Flaminius fanden nichts und dennoch standen plötzlich Wegelagerer vor uns und forderten die verletzten Treverer von mir.“

      „Waaaas?“ Wut entstellte das Gesicht des Legatus Legionis. Schnell beruhigte er sich. „Wie viele?“

      „Ich meine, es waren vier Wegelagerer, ein Auxiliar und ein Optio der Treverer…“ Gerwin lächelte.

      „Und?“

      „Der Optio und ein Wegelagerer sitzen unten bei deiner Wache! Die anderen brachen zu ihren Göttern auf…“

      „Aber du warst doch allein…“ fuhr Rufus hoch. „Wie ist dir dies gelungen?“

      „Herr, ganz allein war ich nicht.“ Gerwins Antwort kam ganz gelassen.

      „Wieso?“ fuhr Verginius Rufus erneut hoch.

      „Wie hätte ich zwei Schwerverletzte, die nicht mehr gehen konnten, viel Blut verloren hatten, allein in Sicherheit bringen können? Centurio Flaminius half mir mit zwei ihm treuen Legionären und seinem Pferd.“

      „Der Centurio kehrte doch mit mir zurück!“ Rufus wunderte sich.

      „Aber sicher zu Fuß…“

      „Jetzt, wo du es sagst, in der Tat…“ gab der Legat zu. „Habe ich richtig verstanden? Die Fremden wollten die Verräter ihrer Sache… Die Treverer kämpften sicher nicht?“

      Gerwin schüttelte zur Bestätigung den Kopf.

      „Dann waren die Burschen doch wieder an Zahl überlegen…“

      „Herr, so schlimm war das nicht! Die Legionäre hielten sich sehr gut. Ich holte mir zuerst den Optio, dann kam ich aus der Richtung, in der die Angreifer den Optio vermuteten. Der Kerl lag mit gebrochenen Knochen besinnungslos am Boden. Sie hörten und sahen mich nicht. Deshalb überlebte auch noch einer der Wegelagerer…“

      „Wo sind deine tapferen Begleiter? Ich will sie belohnen…“

      „Herr, davon rate ich dir ab…“

      „Warum?“ brauste Verginius Rufus auf.

      „Denke an den Mann, der den Auftrag für den Überfall erteilte. Was wäre das Leben dir treuer Männer wert, wüsste dieser Mann von ihnen? Welche Blutspur zöge der Besagte, falls ihm einer dieser Treuen in die Hände fiele? Es wäre, sowohl an diesen Männern und meinen Helfern, am Versteck der Treverer, ein schlechter Dienst… Diese beiden Legionäre kennt nur Flaminius und der wird Schweigen… Das Versteck kenne nur ich und die beiden Legionäre.“

      „Aber die Männer begleiteten dich doch durch die Porta?“

      „Nein, Herr, dort kam nur ich an. Den Wegelagerer hatte ich gebunden und am langen Strick um seinen Hals. Der verfluchte Optio wäre kaum einer meiner Klingen entkommen… Dennoch versuchte er mich zu überlisten…“

      „Wie?“ Verginius Rufus verkündete Überraschung und Neugier.

      „Er teilte der Wache mit, er sei von mir, in der Ausübung eines Auftrages des Statthalters, hinterlistig überfallen worden.…Wenn sie den Gehalt seiner Klage prüfen wollten, sollten sie doch beim Statthalter nachfragen… Er würde gern so lange warten… Nur müssten sie mich gefangen setzen…“

      „Und wie konntest du dem Ausweichen? Der Kerl war zweifellos schlau und durchtrieben?“ stutzte der Römer.

      Der Hermundure nickte zur Bemerkung des Legats. „Ich stimmte dem Vorschlag zu.“

      „War dies nicht gewagt?“ wandte Verginius Rufus ein.

      „Was sollte ich tun, hatte ich doch genau diesen Moment in meinen Überlegungen übersehen… Also unterbreitete ich mir bewusst werdende Bedenken…“

      „Welche?“

      „Erstens…, sagte ich, …übernehme ich das Verbringen selbst, habe ich doch den bisherigen Weg auch ohne Hilfe überwunden… Dann glaube ich kaum, dass der Statthalter weiß, was ein einzelner Optio seiner Treverer Auxiliaren treibt… Ich sah, dass der Optio verunsichert wirkte. Also schob ich eine weitere Wahrheit nach. Der Statthalter könnte, falls eine derartige Anfrage auf eine Belästigung hinaus lief, sicher recht ungehalten handeln…“ Gerwin war sich seines Erfolges sicher. „Letzteres überzeugte den Optio Custodiarum wohl, denn er winkte mir mit der Hand, dass ich passieren sollte. Vermutlich dachte er daran, dass der Statthalter recht zornig werden konnte und dessen Wut herauszufordern, schien ihm wenig zu gefallen… Ich konnte mir ein Grinsen gerade noch so verkneifen. Schließlich war die Wache von der Macedonica. Mein Glück war, dass dieser Optio mich schon kannte…“

      „Wenn Scribonius Proculus von dem Optio erfährt, bist du dir deines Lebens nicht mehr sicher…“

      „Herr, das bereitet mir im Moment wenig Sorgen… Allerdings müsste ich jetzt erst einmal Flaminius aufsuchen, der


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