Whitney Houston. Mark Bego
Aktivitäten unter einen Hut zu bekommen, trug dazu bei, dass sie so gut mit der Belastung der ersten Soloerfolge umgehen konnte, als ihr Terminplan plötzlich für große Hektik sorgte. Sie war damit aufgewachsen, gleichzeitig an verschiedenen Fronten tätig zu sein, und später half ihr das, alle Projekte gleich gut im Blick behalten. Als ihr Leben ein Wirbelsturm aus Aufnahmen, Fotosessions, Interviews, Videodrehs und Reisen wurde, war Whitney bereit, willens und gut darauf vorbereitet, all ihre Ziele zu erreichen. Noch zu ihrer Teenagerzeit schlug man ihr vor, die Schule abzubrechen und sofort ins Musikbusiness einzusteigen, aber ihre Eltern bestanden darauf, dass sie erst ihren Abschluss machte. „Ich unterschrieb erst mit 18 meinen ersten Vertrag“, berichtete sie. „Meine Eltern sorgten dafür, dass ich eine richtige Kindheit hatte – dass ich ein kleines Mädchen sein konnte, als ich auch eins war, und dass ich ein Teenager sein konnte, als ich einer war.“
Cissy Houston fügte hinzu: „Ich wollte, dass sie zuerst die Schule beendete, denn ich wusste, wenn sie erst einmal ins Musikgeschäft einstieg, dann würde sie nicht mehr aufzuhalten sein.“
Wollte Whitney schon immer Sängerin werden? „Nein, ich wollte Lehrerin werden oder Tierärztin. Aber als ich meinen Mund öffnete und sang, dachte ich plötzlich: ‚Wow. Jetzt warte mal einen Augenblick. Warum denn nicht?‘“ Cissy erkannte, wie ernst es ihrer Tochter mit dieser Karriere war, als Whitney mit dreizehn, vierzehn Jahren in der Junior High School war. „Da merkte meine Mom, hey, sie will wirklich diesen Weg einschlagen.“ Aber wieder legten ihre Eltern Wert darauf, dass sie es mit dem Einstieg ins Showgeschäft langsam angehen ließ und ihre Teenagerzeit genoss. „Sie sagten: ‚Sie ist noch so jung, sie soll erst mal die Schule fertig machen, ein Teenager sein, verrückte Sachen machen.‘ Und ich hatte damals wirklich viel Spaß, deshalb hörte ich auf ihren Rat und wartete ab.“
Noch während ihrer Schulzeit stellten sich dennoch die ersten Weichen für eine Profikarriere als Sängerin. Sie hatte die Stimme, jetzt brauchte sie nur noch ein wenig Erfahrung. Und die sollte sie bekommen.
Mit nur vierzehn Jahren übernahm Whitney 1978 bei den Auftritten ihrer Mutter in Clubs und kleinen Hallen den Begleitgesang. Den Abend ihrer ersten Show in der Town Hall von Manhattan vergaß sie nie. Die Town Hall ist ein Konzertsaal in Broadway-Nähe, aber er ist gleichzeitig als Theater noch klein genug, um eine gewisse Intimität zu vermitteln.
Cissy Houston hatte mit „Tomorrow“, einem Titel aus dem Musical Annie, der auf ihrem 1977 veröffentlichtem Album Cissy Houston erschienen war, einen großen Erfolg gelandet. Für die Live-Show hatte sie sich überlegt, dass Whitney vortreten und einen Teil des Leadgesangs übernehmen sollte. Whitney erinnert sich, dass sie kurz, bevor sie ins Scheinwerferlicht treten musste, das Gefühl hatte, vor Angst zu sterben. Aber sobald sie mit dem Singen begann, verschwand das panische Gefühl, und ihr wurde klar, dass dies der Ort war, nach dem sie sich sehnte: mitten auf der Bühne.
Das Album Cissy Houston war ein so großer Erfolg gewesen, dass Cissy 1978 wieder mit dem Produzenten Michael Zager in New York ins Studio ging. Es war die große Zeit der Disco-Musik, und Zager hatte gerade mit seiner Band und dem Titel „Let’s All Chant“ selbst einen Hit gelandet. Vor allem in New York hatte es den Anschein, dass Disco nun die einzige Musik war, die sich verkaufte. Als man sich also an den Nachfolger zu Cissy Houston machte, beschloss Zager, auch diesem Album einen gewissen Disco-Touch zu geben.
Und das hörte man Think It Over von 1978 schließlich auch an: Vor allem der Titel-Song klang sehr gut gelaunt. Das Material entstand in den Secret Sound Studios von New York. Als Cissy für die Gesangsaufnahmen eintraf, brachte sie ihre Teenagertochter mit, die die Backing Vocals übernehmen sollte. Außer auf einem ist Whitney auf allen Tracks von Think It Over zu hören. Der Titel-Song, eine sechsminütige Disco-Nummer, wurde nach seiner Veröffentlichung zu einem Top-Ten-Hit in den amerikanischen Dance-Charts.
Die große Stärke Cissy Houstons lag eigentlich in der Präsentation gefühlvoller Balladen. Da Disco aber zur damaligen Zeit den Markt dominierte, ließ sie sich von Zager gern überreden, dem aktuellen Trend zu folgen. Doch die Fähigkeit, dem Publikum eine Ballade „zu verkaufen“, um die Leute dann beim nächsten Song schon wieder gut gelaunt zum Tanzen zu bringen, war Teil der musikalischen Vielseitigkeit, die Cissy an Whitney weitergab. Ihre Tochter lernte ebenfalls, die emotionalen Tiefen einer Ballade nach genau dem einen entscheidenden Moment auszuloten, um dann das Tempo anzuziehen und dann zu den schnelleren Titeln überzugehen.
1980 nahm das Leben der sechzehnjährigen Whitney eine unvorhergesehene Wendung. Eines Nachmittags war sie mit ihrer Mutter in Manhattan an der Kreuzung Seventh Avenue und West 57th Street unterwegs. Ganz in der Nähe liegt die Carnegie Hall, aber auch das Büro einer kleinen Fotomodellagentur namens Click.
Der Legende nach lief ein Talentsucher von Click Models der jungen Whitney über den Weg und schlug ihr spontan vor, sich bei der Agentur vorzustellen, da er in ihr ein perfektes Model zu erkennen glaubte. Die Gründerin und Chefin von Click Models, Frances Grill, bestätigt diese Geschichte: „So war es! Sie begegnete jemandem, der für mich arbeitete, Dean Avedon. Er entdeckte sie unten im Flur und fragte, ob sie Model werden wollte. Dann brachte er sie nach oben ins Büro, und ich fand sie wirklich großartig. Wir begannen sofort, mit ihr zu arbeiten.“
Frances war von der jungen Whitney sehr beeindruckt. „Sie war nicht so, wie man sie jetzt kennt“, erklärte sie Mitte der 1980er-Jahre. „Sie war ein sehr hübsches Mädchen und kam immer in Begleitung ihrer wunderbaren Mutter. Man merkt in einer solchen Situation schnell, ob wer das Zeug zum Model hat, wenn man die Leute einfach nur vor die Kamera stellt; wenn sie gut sind, dann passiert etwas. Sie haben einen ‚Ausdruck‘. Die Talentierten können das sofort, und Whitney gehörte dazu. Wir waren alle von ihr begeistert. Sie vermittelte soviel unverdorbene, frische Energie. Und sie hatte etwas sehr Reines an sich.“
Die Agentur Click konnte Whitney sofort ein paar Aufträge vermitteln. „Sie hat für viele Zeitschriften gemodelt“, berichtete Grill. „Für Mademoiselle oder für Seventeen, aber auch für einige Werbekampagnen.“
Es dauerte nicht lange, und Whitney war auch in einigen der großen Modemagazine zu sehen, unter anderem in Cosmopolitan, Young Miss und Glamour. Außerdem wirkte sie bei einer Printkampagne für die Kosmetikfirma Revlon mit und warb für die Limonade Sprite. Später wechselte sie von Click Models zur Wilhelmina Modeling Agency.
„Es macht mir Spaß, Modell zu stehen, aber das Singen liegt mir im Blut“, erklärte sie später mal. „Die Fotoaufnahmen sind eher eine Nebenbeschäftigung. Das ist nicht wie beim Singen, wo ich wirklich alles glaube, was ich rüberbringe. Die Gelegenheit ergab sich, also habe ich eine Weile als Model gearbeitet. Aber der Gesang stand immer an erster Stelle.“
Zum Modelgeschäft gehört auch eine gewisse Verbindung zum schnellen Leben, zu Partys, Drogen und Alkohol. Whitney sagte Mitte der Achtziger darüber: „Meine Mom hat nichts davon zugelassen, von daher habe ich vom schnellen Leben nicht so viel mitbekommen.“ Damals, als sie noch Modell stand und sich als Sängerin erst ausprobierte, war sie immer noch Cissys liebes Mädchen.
Whitney sang weiterhin an der Seite ihrer Mutter und baute allmählich ihre Karriere als Model weiter aus. Dabei trat sie mit Cissy nicht nur in der Town Hall auf, sondern auch in verschiedenen Clubs in Manhattan wie dem Schwulen-Club Les Mouches, den Jazz-Clubs der West 96th Street und einem berühmten West-Side-Cabaret namens Mikell’s.
Pat Mikell war ein Freund der Familie Houston, und Cissy trat mehrfach in seinem Club auf, während Whitney sie begleitete. Pat erklärte später: „Cissy war eine großartige Mutter. Sie war hart. Deswegen hat Whitney heute so viel Klasse.“
Allmählich räumte ihre Mutter Whitney in ihrem Programm immer mehr Raum ein. Abgesehen von ihrem Solo in „Tomorrow“ übernahm sie nun noch einen weiteren Song, bei dem das Rampenlicht ganz ihr gehörte. Eines Abends wurde Whitney offenbar ein wenig zu übermütig, was ihr Gesangstalent betraf, und begann sich vor dem Publikum aufzuspielen. Um sie dafür zurechtzuweisen, strich Cissy ihre Soloauftritte für zwei Wochen, damit sie lernte, sich zu benehmen. Whitney sagte später: