Sammelband 6 Krimis: Die Konkurrenten und andere Krimis für Strand und Ferien. Walter G. Pfaus
FBI. Wir suchen Miss Nora Crawley.“
„Die ist nicht da.“
„Dann sind Sie Jeanne Steinman?“
„Ja, aber was wollen Sie?“
„Vielleicht können wir einen Moment hereinkommen.“
Joanne Steinman seufzte und wirkte sichtlich genervt. „Wenn es sein muss...“
„Leider ja“, sagte Milo.
Sie führte uns in die Wohnung. „Wo befindet sich Nora Crawley sich jetzt?“, fragte ich. „Wir haben Anlass zu der Annahme, dass sie sich in Lebensgefahr befindet.“
Joanne schluckte. „Ich habe keine Ahnung. Wir wohnen nur zusammen, aber ansonsten macht jede ihr eigenes Ding.“
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich arbeiten in der Filiale der Grand National Bank am Central Park West.“
„Und Nora Crawley?“
„Sie hat mal diesen und jenen Job. Hören Sie, was werfen Sie ihr eigentlich vor?“
„Gar nichts. Aber sie ist vermutlich eine wichtige Zeugin. Sagt ihnen der Name Bykov etwas?“
„Das ist der Typ, mit dem sie zuletzt zusammen war. Ein viel älterer Mann, Marke seriös und bieder. Sie hat praktisch bei ihm gewohnt und sich aushalten lassen. Ich kann so etwas nicht verstehen.“
„Dieser Bykov ist verschwunden, hat wahrscheinlich jemanden umgebracht und seine eigenen Tod vorgetäuscht“, erklärte ich. „Er scheint eine große Nummer in der internationalen Kunstmafia zu sein und versucht wohl gerade unterzutauchen, weil ihn seine ehemaligen Geschäftsfreunde zu töten versuchen. Und wenn Ihre Freundin damit auch nur ganz am Rande etwas zu tun haben sollte, sollten Sie uns das sagen, dann erhöhen Sie ihre Chance, sowohl juristisch als körperlich einigermaßen unversehrt aus der Sache herauszukommen.“
Joanne atmete tief durch. Milo warf ein Blick in eines der Zimmer. Die Tür stand halb offen.
„Ist das Noras Zimmer?“, fragte er.
„Ja“, murmelte Joanne. Sie rieb die Handflächen gegeneinander und schien mit sich zu ringen. Sie hatte wohl das Gefühl, eine Freundin zu denunzieren, wenn sie uns half.
Es dauerte etwas, bis sie begriff, dass sie ihr höchstens half.
„Es ist schon seltsam“, murmelte sie.
„Wovon sprechen Sie?“
„Nora war für kurze Zeit Sekretärin in einer Anwaltskanzlei. Dadurch hat sie Bykov kennen gelernt.“
„Was war das für eine Kanzlei?“
„Irgend so ein Nobelunternehmen in der 5th Avenue.“
„Heißt dieser Anwalt zufällig Norman Gallesco?“
Sie blickte auf. „Ja, woher wissen Sie das?“
„Reden Sie einfach weiter!“, forderte ich. Sie nickte und biss sich dabei auf die Lippen. Es dauerte ein paar Augenblicke, bis sie fortfuhr. Auf jeden Fall würde uns Gallesco noch ein paar Fragen beantworten müssen, denn seine geschäftliche Beziehung zu Bykov war offenbar viel stärker, als er das uns gegenüber dargestellt hatte.
„Wie ich schon erwähnte, ist Nora bei Bykov eingezogen und der hat sie mit alle möglichen Geschenken verwöhnt. Aber vor ein paar Wochen war Schluss. Sie hat nicht darüber gesprochen, weshalb. Sie wohnte dann wieder ständig hier. Aus dem Mietvertrag ist sie ja sicherheitshalber nie ausgestiegen. Seltsam ist nur, dass sie seit ein paar Tagen wieder dauernd unterwegs ist und mir nichts davon sagt, wo sie hingeht. Außerdem tut sie seltsame Dinge. Sie besorgt Männerkleidung, sie verhandelt am Telefon über den Kauf eines Geländewagens gegen Barzahlung und noch ein paar andere Dinge. Das hat für mich alles keinen Sinn ergeben, aber wo sie mir jetzt erzählen, dass Mister Bykov unterzutauchen versucht, sieht es fast so aus, als würde sie ihm dabei helfen.“
„Hat sie ein Handy?“
„Ja.“
„Dann werden wir versuchen das von unserem Field Office aus anpeilen zu lassen“, sagte ich. „Geben Sie uns bitte die Nummer!“
Sie nickte stumm.
32
Als wir zum Parkplatz gingen, meinte Marenkov: „Scheint so, als hätten Sie diesen Bykov bislang etwas unterschätzt!“
„Sie nicht?“, fragte ich.
Marenkov zuckte mit den Schultern. „Sie wissen doch, wie das ist. Polizeibehörden erfahren alles mögliche, aber beweisen lässt sich nicht alles, was man erfährt.“
„Das stimmt leider.“
Wir stiegen in unsere Wagen und fuhren los.
Die Kollegen des Innendienstes unseres Field Office konnten das Handy von Nora Crawley sehr schnell orten.
Es war glücklicherweise eingeschaltet und befand sich in der Nähe des Tappan-Sees, ungefähr 500 Meter von Staatsgrenze zwischen New Jersey und New York State entfernt.
Es gab dort Wochenendhäuser, die man mieten konnte. Ansonsten war das Gebiet kam besiedelt. Eine Naherholungsoase vor den Toren des Big Apple.
Wir machten uns auf den Weg.
Mr McKee alarmierte die Kollegen der State Police, die das Gebiet weiträumig absperren sollten. Bykov stand jetzt offiziell unter dem Verdacht, ein Kapitalverbrechen begangen zu haben, auch wenn uns kurioserweise die Leiche fehlte.
Wir hatten gerade den Lincoln Tunnel hinter uns gebracht als der Kontakt plötzlich abbrach.
Das Handy von Nora Crawley ließ nicht mehr anpeilen.
Die Ursache dafür konnte natürlich ganz harmlos sein.
Mr McKee bat den zuständigen County Sheriff, ein paar seiner Männer zur letzten angepeilten Position zu schicken.
Zwanzig Minuten später hatten die Deputies diese, bis auf wenige Meter exakte Position erreicht.
Sie befand sich in der Nähe eines kleinen Holzhauses am Seeufer mit eigenem Bootssteg, das Tage- und Wochenweise vermietet wurde. Aber es gab dort auf den ersten Blick weder eine Spur von Nora Crawley noch von Bykov. Nur Spuren von Reifen, die zu einem Geländewagen passten.
Als wir mit entsprechender Verspätung dort eintrafen, waren bereits überall Einsatzkräfte des County Sheriffs und der State Police.
Wir stiegen aus.
Marenkov ließ den Blick schweifen. „Ein idealer Ort für jemanden, der untertauchen will“, lautete sein Kommentar.
Der zuständige Sheriff begrüßte uns. Sein Name war Bradley. Er trug einen feuerroten Vollbart und überragte Milo und mich um fast einen ganzen Kopf.
„Gut, dass Sie kommen“, sagte Sheriff Bradley.
„Haben Sie etwas gefunden?
„Das kann man wohl sagen. Folgen Sie mir bitte.“
Wir folgten Sheriff Bradley zu ein paar Sträuchern, ungefähr