Sammelband 6 Krimis: Die Konkurrenten und andere Krimis für Strand und Ferien. Walter G. Pfaus
Du kannst ja mal schauen, ob alles dabei ist.“
„Danke.“
„Lass uns ins Haus gehen“, sagte sie.
„Hör zu – die Tatsache, dass mir geholfen hast, heißt nicht, dass wir wieder ein Paar sind“, sagte Bykov kühl.
Nora schickte. „Das weiß ich.“
Sie gingen zurück ins Haus.
„Bringst du mich nachher noch bis nach Paterson?“, fragte sie. Sie sah ihn überrascht an und blickte in die Mündung der Waffe, die er plötzlich wieder auf sie gerichtet hatte.
„Soll das ein Witz sein, Vlad?“
„Tut mir leid, Nora. Aber ich sagte dir ja, dass ich noch das eine oder andere zu erledigen habe. Ich muss wirklich alle Brücken hinter mir abbrechen.“
Nora machte eine Bewegung auf ihn zu. Bykov drückte ab.
Sie presste die Hände gegen die Schusswunde, versuchte vergeblich die Blutung zu stillen und starrte Bykov verständnislos an. Er sah seelenruhig zu, wie sie auf den Boden fiel. Er hatte darauf gedachtet, dass sie auf dem Teppich stand.
Auf dem Rücken war die Austrittwunde der Kugel zu sehen.
Bykov steckte die Waffe weg.
Er ging zur Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, holte ein Schweizer Taschenmesser aus einer Hosentasche und kratzte damit das Projektil aus dem Holz.
30
„Wir müssen komplett umdenken, Milo.“
„So, in wie fern?“
„Bis jetzt sind wir ja immer davon ausgegangen, dass Bykov das Opfer war. Aber diese These hat der DNA-Test wie eine Seifenblase zerplatzen lassen. Vielleicht sollte wir uns daran gewöhnen, ihn als Täter zu sehen.“
Wir waren auf dem Weg zu dem Schneider, der für Vladimir Bykovs zumindest zeitweilige Freundin Nora ein Kleid angefertigt hatte.
„Bykov hat jemanden in seiner eigenen Galerie umgebracht, Jesse?“, fragte Milo ungläubig.
Ich nickte. „Ja - und anschließend ein paar Leute beauftragt, die für ihn aufgeräumt haben.“
„Und Bykov selbst? Was ist aus dem geworden?“
„Untergetaucht. Wir dachten bis jetzt, dass der Täter in Panik geriet, weil er durch irgendetwas gestört wurde, aber das war nicht der Fall. Es war Bykov, der alles so arrangierte, dass es wie ein Einbruch aussah. In Wahrheit hat er das selbst so drapiert.“
„Und der Blutfleck, Jesse?“
„Den hat er mit Absicht hinterlassen. Seine Schwester war untergetaucht, er musste nicht damit rechnen, dass wir sie finden. Er musste eigentlich noch nicht einmal damit rechnen, dass in Frage gestellt würde, ob das Blut von ihm ist.“
Milo atmete tief durch und pfiff durch die Zähne.
„Wenn es tatsächlich so ist, wie du sagst, dann hat Bykov zumindest ein Ziel erreicht: eine Menge Zeit gewonnen!“
„Richtig.“
31
Das Atelier von Manuel DiGiorgio war in einem Haus untergebracht, das bis in die fünfziger Jahre ein Lagerhaus gewesen war.
Marenkov begleitete uns, obwohl er ursprünglich unserem Kollegen Nat Norton bei seinen Ermittlungen helfen sollte. Wie es zu dieser Änderung gekommen war, wusste ich nicht genau und Marenkov selbst antwortete auf entsprechende Fragen nur ausweichend. Aber ich hatte mitbekommen, dass am Morgen ein Gespräch zwischen Mr McKee und dem Major unter vier Augen stattgefunden hatte.
Offenbar hatte er es geschafft, unseren Chef davon zu überzeugen, dass es für den Fortgang der Ermittlungen wichtiger war, dass Marenkov Milo und mich unterstützte.
Manuel DiGiorgio empfing uns in den hohen, Licht durchfluteten Räumen seines Ateliers. Etwa ein Dutzend Näherinnen hatte er beschäftigt.
Wir stellten uns vor und erkundigten uns nach Bykov und seiner Begleiterin.
„Ich erinnere mich an Bykov“, sagte DiGiorgio und verzog das Gesicht. „Normalerweise sind Russen meine Lieblingskunden. Die schauen nicht so kleinlich auf das Geld, sondern kaufen sich einfach, was ihnen gefällt.“
„Bei Bykov war das anders?“, hakte ich nach.
„Ja. Er war sehr kritisch und hat immer wieder an den Entwürfen herumgemeckert. Seine Begleiterin war da viel unkomplizierter.“
„Wissen Sie ihren vollständigen Namen?“
„Natürlich. Einmal bekamen wir den Auftrag, ein Kleid direkt an ihre Adresse zu schicken. Warten Sie, ich schreibe Ihnen das auf!“
Die Adresse lautete 34 Clayton Lane in Queens.
Wir fuhren dorthin. Es handelte sich um ein fünfzehnstöckiges, sehr gepflegtes Mietshaus, in dem es jedoch keinerlei sicherheitstechnischen Luxus gab. Dafür waren auf der Rückseite Parkplätze an der Oberfläche vorhanden, was in gewisser Weise auch ein Luxus war. Wir stellten den Sportwagen ab. Marenkov war uns gefolgt und traf nur einige Augenblicke später ein.
Es war mir aufgefallen, dass er an diesem Morgen ziemlich schweigsam war.
Als er aus seinem Wagen stieg, lockerte er sich die Krawatte und rieb sich den Hals.
Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, lächelte er mild. „Ich glaube, ich werde mich niemals an diese Dinger gewöhnen!“
„Meinen Sie Krawatten?“
„Wer sie erfunden hat, hat es nicht gut mit denen gemeint, die sie sich bis heute umbinden müssen! Normalerweise trage ich in St. Petersburg so etwas nie. Eher einen Rollkragenpullover!“
„Ist vielleicht eine Frage der Konventionen“, warf Milo ein.
Marenkov nickte. „Hier in New York gibt es Restaurants, in die man ohne Krawatte gar nicht hineinkommt!“
„In St. Petersburg gibt es so etwas nicht?“, wunderte sich Milo.
Marenkov grinste. „Inzwischen schon. Früher wäre das eine bourgeoise Verirrung gewesen.“
„Das nennt man dann wohl Globalisierung“, sagte Milo.
Wir ließen uns vom Lift in den 12. Stock tragen, wo die Adresse lag, die uns angegeben worden war.
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