Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
Ein knapperes Ja konnte man sich kaum vorstellen, und es war für Wiebke Brönstrup ein deutliches Signal dafür, dass er über das Thema sprechen wollte.
Berringer wandte sich wieder dem Sandwich zu und nahm die Tomate herunter, legte sie an den Rand und blickte auf. „Du hattest offenbar auch ein ganz interessantes Leben in den letzten Jahren.“
„Es geht ...“
Aber es war interessant genug gewesen, um ihm davon ausführlich zu erzählen. Sie begann mit den Jahren in Chicago, und es kam Berringer vor, als wäre bei ihr ein Damm gebrochen, denn sie redete wie ein Wasserfall, und Berringer war froh, dass er
- abgesehen von kleinen Äußerungen aktiven Zuhörens - nichts zum Gespräch beitragen musste. Er sagte einmal „Hm“ und mehrere Male „Ja!“ beziehungsweise ab und zu auch „Ja?“.
Solche Gespräche waren wie ein Kaminfeuer, fand Berringer. Man musste nur ab und zu etwas Luft hineinblasen, dann brannte es munter weiter. Früher, als sie ein Paar gewesen waren, hatte sie ihm oft vorgeworfen, sich nicht richtig einzubringen. Das schien sie nicht mehr zu stören.
Nach einer Weile sah Wiebke auf die Uhr. „Ich hab mich richtig verquatscht.
Eigentlich müsste ich schon wieder das Seziermesser schwingen.“
„Tut mir leid.“
„Aber vielleicht setzen wir das ja bald mal fort.“
„Nichts dagegen.“
„War schön, sich mit dir zu unterhalten.“
„Ja, es ist ja inzwischen auch viel Zeit vergangen. Da hat man dann genug Gesprächsstoff.“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube, du bist einfach kommunikativer geworden. Komisch, ich hatte dich immer als maulfaul in Erinnerung ...“ Berringer lächelte milde. Seit sie in diesem Bistro saßen, hatte er kaum einen ganzen Satz gesprochen. „Wahrscheinlich bist du einfach nur nicht mehr so anspruchsvoll“, meinte er, „was auch kein Wunder ist.“
„Wieso?“
„Na, wenn sich jemand über Jahre hinweg überwiegend mit Toten unterhält, ist er ja vielleicht daran gewöhnt, dass seine Gesprächspartner etwas zurückhaltender sind und nicht zu allem ihren Senf abgeben.“
„Witzbold!“ Sie lachte.
Sie lachte genau so, wie Berringer es von früher her in Erinnerung hatte, und er lachte mit. Zum ersten Mal seit langer Zeit lachte er wieder.
Am späten Nachmittag traf sich Berringer noch einmal mit Vanessa und Mark im Büro der Detektei.
„Ich habe Commaneci auf Schritt und Tritt verfolgt“, berichtete Mark Lange. „Unter anderem bis in den Krefelder Osthafen. Und ich hab mich ein bisschen umgehört. In ein paar Tagen läuft da irgendwas, worin Commaneci und die Garol ImEx ihre Finger haben. Genaueres kann ich vielleicht noch erfahren.“
„Gut.“ Berringer nickte und wandte sich an Vanessa. „Gibt es irgendwas Neues an der Avlar-Sport-Front?“
„Da scheint mehr oder weniger die Panik ausgebrochen zu sein“, erläuterte sie.
„Offenbar hat Frank Severin ein ziemliches Chaos hinterlassen. Da geht zurzeit nicht nur die Kripo ein und aus, sondern auch die Steuerfahndung. Ich hab mich mit verschiedenen Mitarbeitern unterhalten, und nach deren Aussagen gab es regelmäßig diese dubiosen Lieferungen von Billigklamotten, die am Verkaufschef vorbei weiterverscherbelt wurden. Severin hatte aus irgendeinem Grund Narrenfreiheit in dem Unternehmen. Er hat sich einmal 100.000 Euro vom Firmenkonto geliehen -
wenn geliehen überhaupt der richtige Ausdruck ist.“
„Ein Darlehen, von dem der Darlehensgeber nichts weiß, nennt man auch wohl Diebstahl“, brummte Berringer.
„Ja, aber Peter Gerath hat das offenbar nicht so gesehen, als die Sache rauskam. Alle dachten, jetzt fliegt der Severin. Und offenbar wäre er selbst auch kaum traurig darüber gewesen.“
„Aber Gerath hat Schwamm drüber signalisiert“, vermutete Berringer.
„Es gab wohl eine ziemlich heftige Aussprache zwischen beiden – und zwar in Severins Büro bei Avlar Sport. Die Auseinandersetzung war so laut, dass man zumindest die Tonart noch im Vorzimmer registrieren konnte. Tatsache ist aber, dass Severin bis zuletzt in seinem Chefsessel saß, obwohl er als Geschäftsführer eigentlich untragbar war und sich aufgeführt hat, als gehörte ihm der Laden.“
„Sehr interessant“, meinte Berringer. „Ich habe sowieso das Gefühl, dass die Geraths mir nicht alles gesagt haben. Was ist mit Severins Verhältnis zu Frau Gerath? Bist du da irgendwie weitergekommen?“
„Nicht besonders. Da mag auch keiner drüber sprechen.“
„Hast du eine Ahnung warum?“
„Wahrscheinlich, weil alle wissen, dass sie jetzt mit Peter Gerath gut auskommen müssen und sich niemand in die Nesseln setzen will. Auf der anderen Seite waren das wohl nur Gerüchte. Was wirklich Konkretes wussten wohl nur sehr wenige Leute.“
„Unter anderem vom Pförtner.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß, dass du es nicht gerne hörst, wenn ein Klient in Verdacht gerät und die Möglichkeit besteht, dass die Detektei für einen Mörder tätig ist ...“
Berringer hob die Augenbrauen. „Du verdächtigst Peter Gerath?“
„Gib zu, dass er durch das, was ich gehört habe, noch ein weiteres Motiv gehabt hätte, Severin umzubringen.“
„Umbringen zu lassen“, ergänzte Berringer. „Für die Tatzeit hat er nämlich ein verdammt gutes Alibi – mich.“
„Natürlich.“
Berringer kratzte sich am Hinterkopf. „Jedenfalls werde ich unserem Auftraggeber ein paar drängende Fragen stellen müssen.“
Für Berringers Mitarbeiter war Feierabend, für ihn selbst noch nicht. Er fuhr noch einmal zu dem Reihenhaus in Unterbilk, wo er den Halter des Golf lokalisiert hatte, und klingelte.
Das Kläffen eines Hundes verkündete, dass jemand zu Hause war. Der Ford in der Einfahrt, dessen Kofferraum offen stand und in dem sich noch zwei schwere Reisetaschen befanden, sprach wiederum dafür, dass Gabriele Hoffmann tatsächlich ein paar Tage im Urlaub gewesen war, wie der Rentner behauptet hatte.
Ein Mann öffnete die Tür und hielt den Münsterländer am Halsband. Das Tier schien ziemlich ungebärdig zu sein. Für die Jagd wohl kaum geeignet, dazu mangelte es ihm entschieden an Disziplin.
„Was ist?“, fragte der Mann. Der Kerl war groß, dunkelhaarig, wirkte muskulös und war sicher zwei Köpfe größer als der unscheinbare Hänfling, der den Golf gefahren hatte.
„Ich hätte gern mit Gabriele Hoffmann gesprochen.“ Eine Frau tauchte im Hintergrund auf. Sie hatte langes blondes Haar, das ihr offen über die Schultern fiel und seidig glänzte. Berringer schätzte sie auf etwa dreißig, den Mann vielleicht fünf Jahre älter.
„Soll ich mal den Hund nehmen?“, fragte sie.
„Ja, sperr ihn in die Toilette.“
„Okay.“
Sie verschwand mit dem Tier und kehrte einen Augenblick später ohne Hund zurück.
„Sagen Sie mir, was Sie auf dem Herzen haben“, forderte der Mann Berringer auf,
„aber fassen sie sich kurz. Alexandra und ich haben eine lange, anstrengende Fahrt hinter uns, und was ich jetzt am wenigsteten brauchen kann, ist zusätzlicher Stress.“
„Ihre Frau heißt nicht Gabriele?“, wunderte sich Berringer.
„Alexandra ist meine Lebensgefährtin. Und, nein, sie heißt nicht Gabriele!“