Sammelband 7 Krimis: Tuch und Tod und sechs andere Thriller auf 1000 Seiten. Alfred Bekker
er sich das Telefon und versuchte Björn Dietrich zu erreichen. Treffer. Er war schon an seinem Arbeitsplatz am Nordwall 1 in Krefeld.
„Was ist denn mit dir los?“, fragte er. „Freiwillig unter die Frühaufsteher gegangen?
Du willst sicher wissen, was mit den Geraths ist.“
„Genau.“
„Sie sind beide auf freiem Fuß, sollen sich aber in nächster Zeit zur Verfügung halten, damit wir sie erneut befragen können.“
„Hat sich irgendwas Neues in der Beweislage ergeben?“
„Bis jetzt nicht. Wir können Frau Geraths Aussage, wonach sie erst am See aufgetaucht ist, als Severin schon im Wasser lag, bislang nicht widerlegen.“ Dietrich fiel die schöne Wortspielerei mit dem „auftauchen“ und dem „im Wasser liegen“, die er da betrieb, offenbar gar nicht auf, denn er redete einfach weiter: „Den Schlag gegen die Gurgel hätte sie natürlich ausführen können, aber da werde ich mich bei ihrem Aikido-Lehrer noch mal erkundigen, ob das wirklich der reinen Lehre dieser Kampfsportart entspricht.“
„Wer sagt dir, ob dieser Kampfsportlehrer ihr die reine Lehre beigebracht hat?“
„Na ja, das wird er mir dann ja hoffentlich sagen.“ Björn hustete erbärmlich. Tbc, Endstadium, unheilbar, dachte Berringer. Aber Totgesagte lebten manchmal länger.
„Wer auch immer der Täter war“, sagte Berringer, „er stand Severin Auge in Auge gegenüber. Ein Arm ist ja nicht sehr lang.“
„So schlau sind wir auch schon. Nach Sherlock Holmes letzter Weisheit klingt das nicht gerade. An besten, du lässt uns einfach unsere Arbeit machen, und ich melde mich dann wieder bei dir.“
„Ihr solltet euch mit den Düsseldorfer Kollegen kurzschließen.“
„Wieso?“
„Wegen Ferdinand Commaneci und seiner Firma Garol ImEx.“ Björn seufzte laut und machte damit überdeutlich, dass Berringer ihm im Augenblick ziemlich auf die Nerven ging. „Alles der Reihe nach. Wir vergessen dich nicht, und ich sorge schon dafür, dass du alles mitbekommst.“
„Hast du mal mit den Kollegen gesprochen, die den Golffahrer kontrollierten?“
„Ich hab’s versucht.“
„Was soll das denn heißen?“
„Der eine Kollege ist ab heute in Urlaub, der andere hat wegen der Entbindung seiner Frau frei gekriegt. Von den diensthabenden Kollegen weiß aber niemand, wo der Vermerk geblieben oder ob es überhaupt einen gegeben hat.“
„Na, großartig!“, maulte Berringer.
„Kann ich vielleicht was dafür?“, beschwerte sich Dietrich.
„Du hättest gleich gestern anrufen können!“
„Berry, du überbewertest die Sache mit dem Golf.“
„Hoffentlich.“
„Ich muss jetzt erst mal Blumen für unseren Revierhäuptling auftreiben. Der hat nämlich Geburtstag. So was ist auch wichtig!“
„Grüß ihn schön mir.“
„Ganz bestimmt nicht. Wenn der wüsste, was ich mit dir bespreche, gäb's 'ne Standpauke, die sich gewaschen hat! Mach's gut!“
„Mach's besser!“
Dietrich unterbrach die Verbindung.
So ganz nimmt der dich nicht für voll, dachte Berringer. Er hatte das vom ersten Tag an gespürt, als er nicht mehr die Polizeimarke hatte vorzeigen können. Es war eben doch ein Unterschied ...
Berringer machte sich einen löslichen Kaffee. Um die Vorräte im Büro war es etwas besser bestellt als um die zu Hause auf dem Schiff. Lag wohl daran, dass im Büro Vanessa Karrenbrock für den Einkauf zuständig war.
Anschließend setzte er sich an den Computer, fuhr ihn hoch und holte sich noch mal die Fotos auf dem Bildschirm, die Mark Lange geschossen hatte. Vor allem jenes, auf dem er dieses Gesicht wiederzuerkennen glaubte. Er sah noch einmal genau hin und versuchte dann in die verborgenen Kammern seiner Seele zu blicken, in denen er ein paar Scheußlichkeiten aus seiner Vergangenheit sorgsam eingesperrt hatte.
Er konnte sich nicht wirklich erinnern. Er bildete es dir nur ein ... Der Mensch war nun mal ein Gesichtserkennungstier. Gleichgültig ob bei der Vorderfront eines Autos oder irgendwelche Flecken auf dem Mars – man glaubte immer, darin Gesichter zu erkennen. Das war offenbar die Konstante in der menschlichen Wahrnehmung, und die spielte ihm nun einen Streich ...
Und dabei war er sich so sicher gewesen!
Er konnte sich von den Fotos erst losreißen, als Mark Lange das Büro betrat.
„'n Morgen“, sagte er und schaute ziemlich befremdet. Wenig später traf auch Vanessa ein. Berringer konnte die Fotos gerade noch rechtzeitig wegklicken.
„Ich möchte, dass du diesen Commaneci beobachtest“, befahl er Mark. „Ich weiß nicht, was er mit Frank Severins Tod zu tun hat, aber er ist auf jeden Fall Teil seiner dubiosen Machenschaften.“
„Du bist der Boss.“
„Leider ist die Polizei nicht ganz so eifrig bei der Sache, wir ich mir das vorgestellt habe. Ich werde nachher mal mit meinen ehemaligen Kollegen hier in Düsseldorf telefonieren. Wenn man gegen diese Leute vorgehen will, muss man das mit einer entschlossenen Aktion tun, sonst kann man's vergessen.“
„Bekomm ich wieder den unwahrscheinlich gefährlichen Job, das Telefon zu bewachen?“, fragte Vanessa. „Ich weiß aber nicht, ob ich das noch lange durchstehe, Robert. Du bringst mich damit wirklich an die Grenzen meiner Belastbarkeit.“
„Ich dachte mir, du hörst dich bei Avlar Sport um“, sagte Berringer. „Alles, was du über Frank Severin herausfinden kannst, könnte wichtig sein.“
„Ich werde tun, was ich kann.“
„Schön.“
Vanessa verschränkte die Arme vor der Brust und zog die Brauen so zusammen, dass zwischen ihren Augen eine ungewohnt tiefe Furche entstand. „Und was machst du, wenn’s gestattet ist zu fragen?“
„Ich werde noch mal unseren Auftraggeber aufsuchen müssen“, erklärte Berringer.
„Er will, dass ich auf der BOOT seine Wachmänner unterstütze, und ich denke, da werden wir noch einiges miteinander besprechen müssen. Außerdem glaube ich, dass er inzwischen bereits mehr über Severins Machenschaften sagen kann.“ Berringer schüttelte den Kopf. „Ich kann es einfach nicht glauben, dass er so ahnungslos war.“
„Ich an Geraths Stelle würde allmählich mal Ergebnisse erwarten“, meinte Vanessa.
„Also, wenn du mich nach meiner Meinung fragst, ich finde, wir treten ziemlich auf der Stelle.“
Es fragt dich aber niemand!, dachte Berringer verärgert, doch er ließ Vanessas Statement unbeantwortet im Raum stehen, stand auf, nahm seine Kaffeetasse und trank das inzwischen kalt gewordene Gebräu. „Ich möchte übrigens, dass ihr beide auf der BOOT auch dabei seid. Sechs Augen sehen mehr als zwei.“
„Glaubst du, dass es da wirklich gefährlich wird?“, wunderte sich Vanessa.
„Keine Ahnung. Aber wenn jemand Gerath wirklich schaden will, muss er nur dafür sorgen, dass die Präsentation auf der BOOT nicht so läuft wie geplant.“
„Bei diesem Kerl gibt es wohl nur zwei Dinge, die ihm wirklich wichtig sind“, meinte Vanessa. „Seine Firma und seine Pferde. Die Reihenfolge kann man vielleicht sogar umdrehen, aber ...“
„Noch etwas“, unterbrach Berringer sie. Er holte das Streichholzbriefchen aus seiner Tasche. „Kennt jemand von euch ein Lokal Kreuzherreneck?“
„Ja, das ist hier in der Düsseldorfer