Killer im August: 11 Thriller. A. F. Morland
war ein voller Erfolg gewesen. Seither konnte Cantrell auch nachts sehen. Ein feiner Kranz weißer Narben erinnert heute noch an jenes folgenschwere Attentat.
Zwei Straßen lagen zwischen dem Buick und dem Police Headquarters Building, als sich Carol Cantrell im Bungalow in Western Springs meldete. „Ich hätte auf meinen Vater hören und diesen Ingenieur aus Philadelphia heiraten sollen“, seufzte die junge Frau des Anwalts, nachdem Cantrell ihr eröffnet hatte, dass sie bereits alle mitten in der neuen Arbeit steckten.
Cantrell schmunzelte. In Situationen wie dieser holte Carol immer diesen Schlappschwanz aus Philadelphia aus der untersten Schublade raus, um ihn ihm vor die Nase zu halten.
Der Anwalt gab lachend zurück: „Als ich das letzte Mal von deinem Ingenieur hörte, war er gerade dabei, mit Pauken und Trompeten bankrott zu machen, Darling.“
„Er wäre mit mir in die Berge gefahren!“
„Mit welchem Geld denn? Und was glaubst du, wie schön es in den Bergen ist, wenn hinter jedem Felsen ein Gläubiger lauert. Sind Butch und Silk da?“
„Butch fängt gerade an, sich zu betrinken, Silk steht unter der Dusche.“
„Sag Butch, er soll auf Milch umsteigen. Er wird heute noch gebraucht. Kann ich ihn mal haben?“
„Aber gern.“ Carols Stimme verschwamm. Vermutlich hielt sie Jack jetzt den Hörer hin. Cantrell zwang seinem Buick einen südwestlichen Kurs auf. Er lenkte das Fahrzeug mit einer Hand. Mit der anderen telefonierte er. Butch kam. Er räusperte sich in Cantrells Ohr. „Ja, Chef?“, meldete er sich dann. Der Anwalt brannte sogleich ein Auftrags-Feuerwerk ab. Jack O'Reilly und Morton Philby - den sie wegen seines Seidenticks Silk nannten - sollten sich an Alex Sossiers Arbeitsplatz mal umsehen und umhören ... Plötzlich ein Lkw von links. Cantrell musste blitzschnell auf die Bremse latschen und das Lenkrad kräftig nach rechts herumreißen. Er benötigte dafür beide Hände. Der Telefonhörer klapperte auf den Wagenboden. Cantrell presste die Zähne zusammen, als der Buick auszubrechen drohte. Mit viel Geschick verhinderte er ein Schleudern und damit eine große Katastrophe, denn es waren eine Menge Fahrzeuge unterwegs. Mindestens eines davon hätte er frontal gerammt, wenn er nicht so blitzartig reagiert hätte. Der Fahrer des Lkw verwechselte Gas mit Bremse. Dazu hupte er.
Cantrells Buick verfehlte er. Aber den nachkommenden Chrysler erwischte er dafür voll. Ein gewaltiger Aufprall. Die Chryslertüren. sprangen auf. Der Beifahrer flog in hohem Bogen aus dem Fahrzeug. Der Fahrer wäre wahrscheinlich auch davongeflogen, wenn ihn das Blech nicht eingeklemmt hätte. Der Lkw schob den Chrysler fünf Meter vor sich her. Dann stoppte er. Als der Laster stehen geblieben war, sprang dessen Fahrer heraus. Der Mann hatte ein rotes Schnapsgesicht und stand unsicher auf den Beinen. Aufgebrachte Leute kamen von allen Seiten angerannt. Sie fielen über den Mann her und wollten ihn lynchen. Cantrell hielt den Buick an. Möglicherweise brauchte der Lkw-Fahrer jetzt Hilfe. Aber da schrillten schon Polizeipfeifen. Zwei Cops kamen gelaufen. Sie warfen sich mit einer wahren Todesverachtung in die wabernde Menschenmenge, wühlten sich durch die Leiber hindurch, bis zum Kern des Ärgernisses vor. Der Lkw-Fahrer war bereits übel zugerichtet. Aber es ging ihm noch besser, als es ihm in fünf Minuten gegangen wäre. Den Cops fiel die undankbare Aufgabe zu, den unverantwortlichen Lkw Fahrer vor den wütenden Leuten in Schutz zu nehmen. Cantrell setzte seine Fahrt fort. Ein Streifenwagen wimmerte heran. Und dann flog ein Rettungsauto durch die Straße, dem Unfallort entgegen.
Cantrell angelte den Hörer des Autotelefons wieder hoch. Butch war nicht mehr dran. Der Anwalt tippte noch einmal die Rufnummer seines Bungalows in den Apparat. Butch war augenblicklich wieder da. „Was war denn auf einmal los, Chef?“
„Ein Lkw wollte mich als Kühlerverzierung haben“, sagte Cantrell trocken. „Betrunkener Fahrer ...“
„So ein Schwein!“, ereiferte sich O'Reilly.
„Er hat bereits gekriegt, was er verdiente“, erwiderte Cantrell. „Du weißt Bescheid. Sobald Silk unter der Dusche hervorkommt, macht ihr euch auf die Socken.“
„Okay, Chef.“
„Gib mir jetzt Carol.“
„Hier ist sie schon“, sagte Butch.
„Ja, Tony?“
„Du kennst doch die Bellevue-Apartments.“
„Natürlich.“
„Setz dich in deinen VW und fahr da mal hin. Unterhalte dich ein wenig mit dem Tagportier. Steck ihm Geld zu. Das macht solche Leute in der Regel sehr gesprächig.“
„Was will ich von ihm wissen?“, fragte Carol.
„Lass dir alle Mädchen beschreiben, die Alex Sossier in letzter Zeit angeschleppt hat. Vielleicht ist ein Girl dabei, das wir durch Zufall kennen. Während du den Tagportier anzapfst, mache ich dasselbe beim Nachtportier. Jeder Hinweis kann wichtig sein. Selbst der kleinste.“
„Ich weiß, worauf es ankommt“, sagte Carol.
„Umso besser. Also dann, Darling. An die Arbeit.“
Die Pamberton-Warenhäuser hatten eine zentrale Verkaufsförderungsabteilung. In der Praxis hieß das, dass die Schaufenstergestaltung an einem einzigen Ort entworfen, die Dekorationen für sämtliche Schaufenster zentral angefertigt und später an alle Pamberton-Häuser ausgeliefert wurden. Das sparte Zeit, Geld und Nerven. Und es gab die Garantie, dass sämtliche Pamberton-Auslagen überall in Chicago wie ein Ei dem anderen glichen. Hermitage Street 2635. Das war die Anschrift der Zentrale.
Ein schlanker Bau aus Glas und Beton. Die Fenster waren nicht zu öffnen. Die Luft, die die Klimaanlage erzeugte, war weit besser als die, die von draußen reingekommen wäre. Eine Luft, mit Ionen aufgeladen, mit Ozonen angereichert. Eine Luft wie in den Rocky Mountains, ziemlich hoch oben, weit über der Baumgrenze. Ideale Arbeitsbedingungen also. Drei Geschosse dieses Hauses gehörten Pamberton. Hier saß die Nervenzentrale der Verkaufsförderungsabteilung, Hier wurde in nächtelangen Sitzungen entschieden, wie die Schaufenster zu Ostern, Pfingsten, Weihnachten und dazwischen auszusehen hatten. Und Alex Sossier hatte hier das große Zepter geschwungen. Bis gestern. Heute saß er vermutlich auf Wolke sieben und dachte darüber nach, was er falsch gemacht hatte.
Butch und Silk falteten sich aus dem schwarzen Chevrolet Chevelle Malibu Coupe. Philby - er sah aus wie ein sensibler Künstler, hatte aber brettharte Handkanten - richtete die elegante Krawatte. Blau mit weißen Tupfen. Ein gleichfarbiges Stecktuch in der Brusttasche des gut geschnittenen Sommeranzugs.
O'Reilly war die adrette Aufmachung seines Freundes ein Dorn im Auge. Er selbst trug Jeans und ein T-Shirt, das seinen Muskelpaketen kaum Herr wurde. Grinsend stichelte er: „Bist ja schon schön genug, Kleiner. Und die Krawatte hat sich seit unserer Abfahrt von Western Springs um keinen Millimeter verschoben. Also was soll die dämliche Herumfummelei?“
Morton Philby warf dem Freund einen ärgerlichen Blick zu. „Hör auf, an mir herumzunörgeln. Jeder soll auf seine Art glücklich werden. Habe ich mit einem Wort erwähnt, dass du aussiehst wie ein Penner?“
Butch blieb stehen. Er ließ die Faust wie einen Hammer auf und ab wippen. „Den Penner nimmst du jetzt auf der Stelle zurück!“
„Aber ja“, sagte der drahtige Detektiv. Er grinste. „Die Wahrheit ist eben nicht jedermanns Sache.“
Silk ging weiter. Butch folgte ihm wie ein Straßenräuber. „Dir gewöhne ich dein loses Mundwerk auch noch mal ab!“, schnaubte der blonde Hüne.
„Ich hab mich nur verteidigt“, erwiderte Philby. Sie erreichten den gläsernen Eingang des Glas-Beton-Hauses. Ein Portier mit Holzbein plusterte sich vor ihnen auf und zeigte ihnen, dass er sein Gehalt nicht umsonst bekam. Sie wiesen ihre Detektivlizenzen vor, sprachen von Sossier und dass sie gern mit einigen seiner Kollegen reden würden. Der Portier nickte gnädig und gab ihnen einen Leitfaden mit auf den Weg.
Im Erdgeschoss befanden sich die Werkstätten. Hier wurden die entworfenen Dekorationselemente angefertigt.
Im ersten Stock gab es