Spur ins andere Kontinuum: Weg in die Galaxis. Antje Ippensen
28. Januar 2093
Oberleutnant Ewald Martell blickte auf den Hauptbildschirm des spindelförmigen Prospektorenraumers CARMEN DIAZ. Das Prospektoren- und Forschungsraumschiff der Harry F. Lorre-Corporation war auf einer besonderen Mission; es brachte Menschen und Material nach Katta, den dritten Planeten der Sonne Ral, 12 367 Lichtjahre von der Erde entfernt. Anfang September 2092, vor etwas mehr als vier Monaten hatte die PLUTO II diesen Planeten entdeckt, als sie unbekannten Signalen aus den Tiefen der Galaxis folgte. Damals befand sich der jetzige Oberleutnant und Leiter des Astrolabs an Bord der PLUTO II. Im November 2092 dann war er zur CARMEN DIAZ gewechselt; hier hatte er eine Aufgabe gefunden, die ihn wirklich reizte.
Der spindelförmige Prospektorenraumer der HFL-Corporation besaß eine Länge von 200 Metern und maximalen Durchmesser von 42 Metern. Im ersten Drittel befand sich das Bord-Observatorium in Form einer Kugelausbuchtung. Das schlank auslaufende Heck des Raumers wurde von einem metallenen Ring mit einem Strahlenkranz umgeben. Achtundvierzig Teleskop-Landestützen konnten einen Bodenunterschied bis zu drei Meter ausgleichen. Im Ringwulst des Heckbereiches waren 5 DaCern- und 3 Transitions-Triebwerke untergebracht. Zusätzlich verfügte die CARMEN DIAZ über sechs ausfahrbare Düsentriebwerke für Flüge in explosiver Atmosphäre, die sich im Rumpfbereich Ende des ersten, Anfang des zweiten Drittels befanden.
Ganz bestimmt war es interessant und aufregend an Bord der PLUTO II, doch dem stillen zuverlässigen Mann lag es nicht so sehr, ständig in Alarmbereitschaft zu leben. Abenteuer musste er nicht ständig haben, es gefiel ihm wesentlich besser, sich auf ein Ziel zu konzentrieren und in relativer Ruhe zu arbeiten. Aber der Ruf des Weltraums ließ ihn nicht mehr los – wie bei fast allen, die jemals die Erde verlassen hatten, um im All festzustellen, dass es so unendlich viel Neues zu entdecken gab.
So hatte sich Ewald Martell für das relativ ruhige Leben an Bord eines Prospektoren- und Forschungsschiffes entschieden, vor allem auch, als er hörte, dass die CARMEN DIAZ den Auftrag hatte, Katta erneut aufzusuchen. Der Oberleutnant konnte sich noch an seine erste Reise dorthin erinnern, und er wusste, dass er jetzt hier war, um die Hinterlassenschaften der verschwundenen Bewohner dieses Planeten zu untersuchen. Und nach aller menschlichen Voraussicht bestand keine Gefahr mehr, dass es noch einmal zu solch ungeklärten Vorfällen kommen würde, wie er sie an Bord der PLUTO II erlebt hatte.
Martell blickte auf den Bildschirm und war wieder einmal beeindruckt von den ungeheuren Ausmaßen dieser Stadt. Eine Unzahl an Gebäuden reihte sich aneinander, jedes von ihnen riesig – und doch so ungeheuer klein, wenn man die Türme betrachtete, die wie schlanke Stiele in den Himmel ragten.
Bei der Ausdehnung der planetengroßen Stadt musste es sich um ein vielköpfiges Volk gehandelt haben, dessen Verschwinden praktisch von heute auf morgen mehr als nur ein Rätsel aufgab.
Martell freute sich auf die vor ihm liegenden Aufgaben; er besaß die Ruhe und Zielstrebigkeit, sich in ein Problem zu verbeißen und daran zu arbeiten, bis sich eine Lösung ergab. Aufgeben kam für ihn auf keinen Fall in Frage.
Und so glaubte er, dass ihn hier vielleicht die Herausforderung seines Lebens erwartete.
Die CARMEN DIAZ hatte den Auftrag, eine Forschungsstation einzurichten, einen Außenposten, in dem Menschen für eine bestimmte Zeit leben würden, während ein regelmäßiger Pendelverkehr zwischen Erde und Katta stattfinden sollte. Aufgrund der enormen Kosten jedoch musste eine solche Station effizient geführt werden. Nur die besten Leute sollten hierher fliegen, damit gewährleistet war, dass sie auch keine Zeit und kein wertvolles Material verschwenden würden.
Die größte Stadt der bekannten Milchstraße bot natürlich selbst noch eine Menge Ressourcen, aber wohnen mochte dort niemand, der von der Erde kam. Dabei bot Katta mit einem Durchmesser von 9 994 Kilometern und einer Schwerkraft von 0,95 fast ideale Zustände für Menschen.
Aus dem mitgebrachten Material wurde ein Camp errichtet, das bald einer eigenen kleinen Stadt glich, deren Zentrale der Landepunkt des Raumschiffes am Rande der gigantischen Stadt war. Vor Tausenden von Jahren hatte dieser Ort als Raumhafen gedient.
Martell meldete sich freiwillig zu dem Team, das die ersten Vorstöße in die Stadt unternehmen sollte. Er hatte noch gut in Erinnerung, dass es damals von Robotern regelrecht gewimmelt hatte – und jetzt blieb alles ruhig, sehr zu seiner Verwunderung. Eine Ruhe, die dem Oberleutnant nicht so recht behagte. Doch als er daran dachte, dass Khuur, der damals letzte Bewohner, regelrecht in den Freitod gegangen war, verstand er irgendwie, dass die Maschinen, die auf eine seltsame Art und Weise mit ihm verbunden gewesen waren, ihren Sinn verloren hatten.
Das jedenfalls war die erste Spekulation, als das Team mit Martell in die Stadt eindrang und überall nur zerstörte und deaktivierte Roboter vorfand.
*
LÄNGST HATTE MARTELL, der als Erster Offizier das Kommando leitete, Anweisung gegeben, die Waffen wieder einzustecken. Die Menschen waren unter Beachtung aller möglichen Vorsichtsmaßnahmen in die riesige Stadt eingedrungen. Die Aufregung über die Ausmaße und das seltsame Aussehen hatten sich längst wieder etwas gelegt. Die Bauten hier waren unvorstellbar hoch, selbst für Menschen, die in Ballungsräumen aufgewachsen waren und für die ein Wolkenkratzer nicht ungewöhnlich war.
Über diesen gigantischen Gebäuden jedoch erhoben sich Türme, die wie Stiele wirkten, so schlank und zerbrechlich. Die wiederum wurden an ihren spitzen Enden von Kugeln gekrönt, deren Bedeutung bis heute noch niemandem vollständig klargeworden war. Dass es sich um Sendeanlagen handelte, war eine ebenso unhaltbare Spekulation wie die Annahme, es könnte sich um eine Art Stromversorgung handeln. Eine ganz mutige Theorie warf sogar den Gedanken auf, es könnte sich dabei um eine ständige mentale Beeinflussung der Bevölkerung handeln – beziehungsweise gehandelt haben, denn von einer permanenten Strahlung war weder etwas zu spüren, noch zeigten die Instrumente eine solche an.
Doch wer einmal die Silhouette dieser Stadt im Licht der Sonne Ral gesehen hatte, vorzugsweise wenn die Palette der Rottöne durch die langwellige Strahlung bei Sonnenuntergang noch verstärkt wurde, vergaß sie nie wieder. Dieses Feuerwerk schmerzte in den Augen, doch es brannte sich förmlich in die Seele, selbst bei den hartgesottenen Raumfahrern, die von sich behaupteten, dass es im Universum nichts mehr gäbe, was sie noch beeindrucken könne.
Die Menschen im Team um Martell kamen sich angesichts der riesigen Bauten schon fast wie Ameisen vor. Mittlerweile vermieden sie es, den Blick an den Wänden hochschweifen zu lassen. Es war einfach zu deprimierend. Stattdessen lugten sie um die Ecken oder in Öffnungen, deren Sinn nicht immer ganz klar war.
»Da liegt etwas, Sir«, rief plötzlich Sergeant Gus Baker, einer der Altgedienten der Besatzung. Er hatte längst seinen Blaster auf dieses Ding gerichtet, aber Martell winkte ab.
»Das scheint mir einer der Roboter zu sein, die wir beim ersten Anflug gesehen haben. Arbeits- und Reparaturmaschinen. Damals auf der PLUTO haben wir festgestellt, dass diese nicht gefährlich sind.«
Es handelte sich um große unförmige Kästen, wie alles in und an dieser Stadt klobig war. Aus den eckigen Körpern ragten überall Stacheln, bei denen es sich um Antennen und vermutlich auch Tentakel handelte, mit denen gearbeitet und hantiert worden war. Der Roboter war jedoch energetisch tot.
»Mann, fünf Tonnen Schrott auf einem Haufen, mindestens«, murmelte der Sergeant, jetzt jedoch gebührend beeindruckt.
»Ja, und dann stellen Sie sich mal vor, dass wir damals von rund dreihundert dieser Dinger angeflogen wurden, die ganz begierig darauf waren, ihre Tentakel in unser Raumschiff zu bohren. Die wollten uns helfen, aber das wussten wir natürlich nicht«, merkte Martell trocken an. »Keiner von uns hat sich damals besonders wohlgefühlt.«
Der Sergeant schluckte, als er sich die Situation bildlich vorstellte.
»Los, weiter, ich glaube nicht, dass dieses Ding uns irgendwelche Fragen beantworten wird«, ordnete der Oberleutnant an. »Wir sollten jetzt auch einfach mal in ein Gebäude hineingehen, hier draußen auf den Straßen werden wir vermutlich nichts weiter finden als noch mehr von diesen