Mörder kennen keine Grenzen. Horst Bosetzky

Mörder kennen keine Grenzen - Horst Bosetzky


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suchte sich in einem Kaufhaus ein hellgrünes und ein malvenfarbenes Unterkleid aus und berechnete schon wieder deren Wirkung auf ihre Verehrer. Mit einem Mal war die gedrückte Stimmung verflogen, als habe sie eine kleine Flasche Sekt getrunken. Sie beschloss, eine Curry-Wurst zu essen und sich dann um achtzen Uhr im Kino einen Western anzusehen. Nach der Vorstellung konnte sie dann Babsy abholen und sehen, wie die Konjunkturlage war.

      In der Nähe des Kinos fand sie eine hölzerne Imbissstube mit ein paar fleckigen Barhockern. Sie rutschte auf den ersten besten hinauf, winkte dem knollennasigen Inhaber und bestellte eine Curry-Wurst.

      „Scharf?“

      „Nee, mittel. Und ’n kleines Helles!“

      Hinten in der Ecke hantierte ein Jüngling in einer weinroten Lederjacke an einem Spielautomaten. Nach ein paar Sekunden fiel ihr ein, dass er schon mal bei ihr gewesen war. Doch jetzt mied er ihren Blick, offenbar gehörte das rundliche Mädchen vor der Musikbox zu ihm, und er schämte sich.

      Miezi lief das Wasser im Mund zusammen, sie hatte mächtigen Hunger. Fast riss sie dem Mann mit der Knollennase den Pappteller aus der Hand. Schon hatte sie den ersten Bissen aufgespießt.

      „Na, Miezi, schmeckt’s?“

      Sie fuhr herum, fast glitt sie vom Barhocker. „Ach – du bistet! Opa Melzer hat ma schon erzählt, dass de wieda im Lande bist.“

      „Da staunste, wa?“ Der Mann, bei dessen Anblick sie zusammengezuckt war, schlug ihr lachend aufs Hinterteil. „Mensch, mach den Mund zu, sonst kommt ’ne Flieje rinn! Meister, ’nen doppelten Korn, aber ’nen kalten, wenn’s jeht!“

      Miezi starrte auf den länglichen Pappteller und kratzte mit ihrem hölzernen Pieker den Tomaten-Ketschup zusammen.

      „Wo warste denn die janze Zeit üba?“, fragte sie schließlich.

      „Na, weg!“ Der Mann grinste und stürzte den kühlen Klaren hinunter. Er war etwas jünger als sie und hatte gelocktes rötliches Haar. Er hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Mitglied einer Gang, die auf ihren Motorrädern die Stadt unsicher gemacht hatte, Sparringspartner in einer kleinen Boxschule, Helfer in einem Zirkus, Mitglied einer Einbrecherbande, die sich auf Nerze spezialisiert hatte, Zuhälter von Babsy und Miezi, Ladearbeiter bei der AEG, Busschaffner bei der BVG und schließlich Matrose auf einem verrosteten griechischen Frachter. Zwischendurch hatte er sich in den Zellen von Plötzensee und Tegel erholt und weitergebildet.

      „Warst wohl wieda in Tejel, wa?“, wollte Miezi wissen.

      „Nee, in Kapstadt, Bombay und Hongkong!“

      „Biste mehr jefahren oder haste mehr jesessen?“

      „Frag doch nich so dämlich!“ Er warf zwei Münzen auf die blaue Resopalplatte. „Stimmt so! Komm, jehn wa!“

      Er zog Miezi aus der warmen Imbissstube und legte draußen den Arm um ihre Schulter. Er war etwas kleiner als sie, untersetzt und stämmig, so dass sie figürlich gar nicht zueinander passten. Auf seinem dunklen Anorak spielten Lichtreflexe.

      „Was willste denn nu machen?“

      „Wir tun uns wieda zusammen! Dein Ziegenhals is ja nu weg ...“

      Miezi blieb stehen und sah ihn an. Scheinwerfer streiften sie, über ihnen rumpelte die Hochbahn, gelbe Taxenschilder leuchteten auf, Ampeln sprangen von Rot auf Gelb und Grün, Menschen hasteten vorbei, mit Gesichtern wie Masken, von bunten Plattenhüllen lächelten langmähnige Stars, ein Kofferradio plärrte, die Straße drehte sich, drehte sich immer schneller, sie saß in einem Karussell. Von irgendwoher kam eine heisere Stimme, die ihr fremd war.

      „Ick mach nich mehr mit, ick hab die Neese voll!“

      „Wohl varückt jeworden, wa?“

      „Nee, aba jeheilt! Ick komm schon durch, ick brauch dir nich!“

      „Du hast ja ’ne Macke!“ Der Mann schlug sich gegen die Stirn, blieb aber beherrscht. Er wirbelte Miezi herum und nahm sie in die Arme. „Ick komm noch mit zu dir ruff und dann bequatschen wa allet!“

      „Kommt nich in die Tüte!“ Sie versuchte sich loszumachen.

      „Ick hab ma so uff dir jefreut, keene kannet so wie du! Eene Mal wenigstens, ja ...?“

      „Lass mich los!“

      „Du kommst mit!“

      „Ick schreie gleich!“

      „Nu sei doch vernünftich, ick zahle ooch dafür!“

      „Hau ab, du stinkst mir zu sehr!“ Miezi riss sich los und lief über die Fahrbahn. Reifen quietschten, ein grauer Opel geriet ins Schleudern, der Mann sprang auf den Bürgersteig zurück.

      Miezi flüchtete sich in den schwach erleuchteten Kassenraum des Kinos und spähte vorsichtig durch die Scheibe. Aber der Mann verfolgte sie nicht. Aufatmend löste sie sich eine Karte für die fünfzehnte Reihe und verschwand im abgedunkelten Zuschauerraum, in dem kaum mehr als ein Dutzend Leute die Werbespots verfolgten. Sie ließ sich neben einem älteren Ehepaar nieder und kramte in ihrer Tasche nach einem Kaugummi. Am liebsten hätte sie geheult.

      Der Schreck saß ihr noch immer in den Gliedern, und vom Kulturfilm und von der Wochenschau bekam sie kaum etwas mit. Was nun? Sie fühlte sich unendlich hilflos.

      Dann flimmerte der Hauptfilm über die breite Leinwand. Sie wusste nicht einmal den Titel. Aber die Handlung riss sie schließlich mit. Eine vorgeschobene Präriestadt war unter die Herrschaft einer kleinen Banditenclique geraten und wurde von ihr tyrannisiert und ausgebeutet. Nur Tim, ein junger und natürlich gut aussehender Farmer, hatte den Mut, es mit den Bösewichtern aufzunehmen. Schließlich streckte er im letzten Showdown den Anführer der Banditen nieder und befreite die dankbare Stadt. Aber ohne die Hilfe der schönen Maggy hätte er es natürlich nie geschafft.

      Als das Licht anging, hatte Miezi sich wieder beruhigt. Geld war kein Problem, das hatte sie. Sie würde am nächster Morgen nach Hannover fliegen und sich dort eine kleine Wohnung nehmen. Bestimmt würde sie irgendwo als Serviererin ankommen. Von Minute zu Minute schrumpften die Hindernisse zusammen, die eben noch himmelhoch gewesen waren.

      Auf dem Nachhauseweg traf sie Babsy, die auf dem Weg zu ihrem Revier war. Miezi erklärte ihr kurz, dass sie ihre Tage früher als erwartet bekommen habe, und stieg dann die zwei Stufen zur Heißen Ecke hinauf, um noch schnell ein Bier zu trinken. Die Curry-Wurst von vorhin hatte Durst gemacht.

      Kaum hatte sie hinten an der Toilettentür Platz genommen, als auch schon Rulle Ruhlsdorf neben ihr saß.

      „Is dir ’ne Laus üba de Leba jeloofen?“, wollte Rulle sogleich wissen. „Du kiekst ja wie ’n Auto.“

      „Dat jeht dir ’n feuchten Kehricht an.“ Miezi leerte ihr Tulpenglas zur Hälfte. Sie mochte den spillrigen Ruhlsdorf nicht, er roch wie ein Pferd und war von einer fürchterlichen Ausdauer. Außerdem hatte er eine Hasenscharte.

      „Wenn de auf Tour bist, könn wa jehn, ick kann ma kaum noch halten.“

      „Nee, heute is nischt.“

      „Hastet wohl nich mehr nötich, wa? Na schön, jibt ja ooch noch andere!“

      Ruhlsdorf schwirrte ab. An der Theke traf er mit seinem Freund Jünne Drognitz zusammen. Er deutete auf Miezi und flüsterte Drognitz etwas ins Ohr. Der bullige Drognitz nickte nur kurz. Wenig später zahlten sie und verließen die Heiße Ecke.

      Miezi blieb noch eine Weile sitzen, erst gegen zweiundzwanzig Uhr trat sie auf die menschenleere Naunynstraße hinaus. Es hatte angefangen zu regnen, von Nordosten her blies ein kalter Wind durch die Straßen, in den meisten Fenstern waren die Lichter verloschen, hin und wieder hastete ein vermummter Fußgänger an ihr vorbei, vor einem Seifengeschäft wurde eine Autotür zugeschlagen. Miezi zog ihren Schal fester um den Hals und beschleunigte ihre Schritte. Die Würfel waren gefallen, und sie war eigentlich froh darüber. Es würde schon klappen, und wenn nicht, dann konnte sie


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